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10.-16.9.17


Liebevoll mitleiden, sympathisch!

Mattäus 25,40


Wer einen anderen Menschen wirklich gern hat, der wird mit ihm leiden, als wäre es sein eigenes Leid, und wird sich mit ihm freuen, als wäre er selbst beschenkt worden. So ist doch dieser Satz zu verstehen: Weil sich Christus von Herzen mit den Menschen - und gerade mit den Geringsten - verbunden fühlt, trifft ihr Schicksal ihn selbst im Herzen. 

Überhaupt besteht das Leiden Christi nicht vor allem darin, dass man ihm selbst Schmerzen zufügt. Christus litt an den Schmerzen, die exemplarisch sind für das, was Menschen gemeinhin einander zufügen. 

Ginge es nur um das individuelle Leiden Jesu, wäre er für uns bedeutungslos geblieben. Denn er wäre nur einer der vielen Milliarden armseliger, geschundener Kreaturen gewesen. Was man ihm angetan hat, ist für uns jedoch zur Offenbarung dessen geworden, wie wir miteinander umgehen und umgehen sollten.

Das Kreuz ist von daher zum Abbild unseres zutiefst gestörten Verhältnisses zueinander geworden. Christus hilft uns, eine Einsicht neu zu gewinnen, die unsere zwischenmenschlichen Beziehungen nicht unberührt lassen kann: Dass nämlich jedem Menschen etwas Göttliches innewohnt, und zwar die Liebe des Schöpfers, und dass darum jeder Mensch eine, wie wir weltlich formuliert sagen würden, eine unantastbare Würde hat. 

Im Freundeskreis lassen wir diese Einsicht fast wie selbstverständlich gelten. Aber in anderen Beziehungen, zum Beispiel gegenüber Behinderten, gegenüber Ausländern, gegenüber Andersdenkenden fällt es uns gar nicht mehr so leicht, in dem anderen das geliebte Kind Gottes zu erkennen. 

In unpersönlichen Beziehungen gar, wie zum Beispiel zwischen Produzenten und Käufern ihrer Produkte, wird der zu erzielende Gewinn nicht selten als ein Sachzwang angesehen, der keine sentimentalen Rücksichtnahmen auf das Göttliche im Menschen duldet. 

Und was zwischenstaatliche Beziehungen angeht, wird es von manchen als fast subversiv empfunden, wenn einer unterstellt, dass auch die Menschen der anderen Seite von Gott geliebte Wesen sind. Christus erlaubt uns nicht, irgendeinen Menschen aus der Liebe Gottes auszugrenzen, sei er nun gering oder auch nur gering geachtet. Er macht uns deutlich, dass wir unser eigenes Leben verfehlen und ihn verkennen würden, wenn wir ihn nicht in unserem Nächsten suchten. 

Wir leben alle davon, dass wir nicht nach unseren menschlichen Schwächen, sondern nach unserer gottgegebenen Würde behandelt werden. Wie schön ist es, wenn es uns hier und da gelingt, nach dieser Einsicht auch unsere Beziehungen zu unseren Mitmenschen zu gestalten.

(Morgenandacht in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 7. September 1982)

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