Predigt, Predigten, Predigtsammlung, Bibelauslegung, Andachten, Morgenandachten, Wochenspruch, Wochensprüche, Hoheluft, Hamburg-Hoheluft, Wolfgang Nein, St. Markus

12.-18.3.17


Sind wir unverbesserlich?


Dass Jesus Christus für uns sterben musste, erschien mir am Anfang meines theologischen Denkens unverstehbar. Insbesondere die Sündenbocktheorie gefiel mir nicht und machte mir das Nachdenken über den Tod Jesu Christi zu einer unangenehmen Aufgabe. Es war mir eine grausige Vorstellung, dass Gott durch die Sünden der Menschen so sehr in seinem Rechtsempfinden verletzt sein sollte, dass er zur Heilung seiner Wunde den Tod eines Menschen bräuchte. Und dass er dann, um den Sünder selbst vor der gerechten Strafe zu schützen, seinen eigenen Sohn in den Tod habe gehen lassen. Die ersatzweise Opferung seines Sohnes als Zeichen der Liebe Gottes zu verstehen, fiel mir schwer. Mir erschien die Vorstellung altertümlich und recht unmenschlich, dass es erforderlich sein sollte, jemanden zur Sühne für das Unrecht sterben zu lassen, weil sonst die Waage der Gerechtigkeit nicht wieder im Gleichgewicht wäre. Mir schien, man sollte solche Vorstellungen eher zu überwinden versuchen, statt sie noch weiter zu verbreiten. Vielleicht haben Sie diese Schwierigkeit mit der Kreuzestheologie auch mal gehabt - oder haben sie immer noch.

Mir ist aber inzwischen klar geworden, dass das Opfer eines Menschen in der Tat - bedauerlicher- und schrecklicherweise - geradezu eine Notwendigkeit sein kann, um Menschen aus ihrer Schuldverstrickung zu befreien und ihnen die Augen zu öffnen über sich selbst. Allerdings nicht um ein gestörtes Rechtsempfinden wieder in Ordnung zu bringen. Nein, das Problem liegt auf der Seite dessen, der Unrecht tut - also auf unserer Seite - darin, dass wir so schwer begreifen und so schwer zum Guten zu bewegen sind. 

Es gibt den Satz: „Es muss erst etwas passiert sein!“ - vorher begreifen wir nicht. Da kann einer zehnmal mahnend den Zeigefinger heben und reden und warnen und drohen und versprechen. Oft genug bleiben gut gemeinte Worte wirkungslos. Erst wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, kommt das böse Erwachen. Erst nach dem Unfall wird an der gefährlichen Kreuzung die Ampel installiert. Beispiele könnten wir uns jede Menge ausdenken. Es ist eigentlich ein Trauerspiel, aber es ist eben wohl doch notwendig gewesen, dass Gott keinen anderen Weg mehr sah, als zu diesem pädagogischen Mittel zu greifen.

Sein Reden von der Liebe zueinander, von Recht und Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, das er durch zahllose Menschen hatte ausrichten lassen, das hatte alles noch nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Er war auf taube Ohren gestoßen. Selbst das Reden und Handeln Jesu Christi blieb unverstanden. Gott musste die Menschen erst in das tiefste Unrecht hineingeraten lassen, erst dann würden sie vielleicht zur Besinnung kommen. Er musste sie erst seinen Sohn umbringen lassen, dann würden ihnen vielleicht die Augen darüber aufgehen, wer da eigentlich die ganze Zeit zu ihnen geredet hatte und vor wem sie ihre Ohren verschlossen hatten. Die Liebestat Gottes ist geradezu als eine Verzweiflungstat Gottes anzusehen, eine Verzweiflungstat, um diesem unverständigen Menschengeschlecht doch noch etwas beizubringen.

Leider haben auch dadurch Menschen nicht ein für allemal gelernt. Es ist noch zu vielen Katastrophen gekommen. Und auch jetzt noch gilt: Bevor nicht etwas passiert, wird sich nichts ändern. Man muss schon skeptisch hinzufügen: Wenn sich doch wenigstens dann etwas ändern würde!

Uns Christen steht es gut zu Gesicht, schon vorher zu hören, zu lernen und umzukehren. Die Besinnung, das Nachdenken über uns selbst, über unser Leben - im Angesicht des Kreuzes, im Angesicht der hinter uns liegenden Katastrophe - die ernsthafte Besinnung ist unsere Aufgabe. Sie ist es, die uns zur Veränderung unseres Lebens bewegen soll.

(Morgenandacht in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, am 2. März 1999)

wnein@hotmail.de    © Wolfgang Nein 2013