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13.-19.5.18


Wendezeit

Johannes 12,32


Die Zeit zwischen Himmelfahrt und Pfingsten ist „Wendezeit“. Hier findet eine Drehung statt - um 180°.

Kurz nach Himmelfahrt schauen die Jünger noch zurück auf den, der von ihnen Abschied genommen hat - auf unbestimmte Zeit.

Sie schauen zurück auf ihre Geschichte mit ihm: wie alles angefangen hatte, fast unmerklich, wie sie mit ihm gegangen waren, mit einem Unbekannten, wie sich ihnen die Augen auftaten vor ungläubigem Staunen, wenn sie ihn handeln sahen, und wie sie ihren Ohren kaum zu trauen wagten, wenn sie ihn reden hörten.

Sie schauen zurück auf ihre Geschichte mit diesem Mann, der in ihnen eine große Hoffnung hatte wachsen lassen, der sie dann in einen jähen Abgrund der Verzweiflung hatte stürzen lassen und der sie dann wieder aufgerichtet hatte zu einer noch größeren Hoffnung.

Und nun sind sie allein, ohne ihn, auf den all ihr Denken und Fühlen so lange bezogen gewesen war. Wenn sie morgens aufgestanden waren, hatten sie gewusst: Er ist da, er wird unseren Tagesablauf bestimmen. Und sie konnten sich sicher sein, dass es ein wunderbarer Tag werden würde, ein Tag voller Wunder.

Nun ist ihnen ihre innerste Mitte genommen. Es ist, als trieben sie umher wie ein führungsloses Schiff im riesigen Ozean. In ihren Erinnerungen versuchen sie, den verlorengegangenen Halt wiederzuerlangen.

Sie schauen zurück in diesen ersten Tagen nach Himmelfahrt.

Aber die Jünger sind noch nicht am Ende ihres Lebens angekommen. Sie haben noch Leben vor sich. Sie haben noch Leben zu gestalten, Verantwortung zu tragen, Entscheidungen zu fällen. Sie können nicht in ihrer Wehmut verharren. Sie müssen nach vorn schauen und nach vorn gehen.

Wenn sie das Vergangene nicht vergangen sein lassen wollen, dann müssen sie ihre Erfahrungen mit ihm nun in ihr eigenes Wollen und Tun hineinnehmen. Sie  müssen nun selbst reden und selbst handeln, selbst den Tag gestalten, und, wo möglich, auch selbst Wunder vollbringen. Er soll dabei sein, in allem gegenwärtig sein, in seinem Geist soll alles geschehen. In eigener Verantwortung wollen sie nun reden und handeln, doch in Verantwortung vor ihm, in voller Mündigkeit, doch als sein Mund. Sie wollen nun seinen Weg weitergehen in alle Welt.

Die Zeit zwischen Himmelfahrt und Pfingsten ist „Wendezeit“.

(Morgenandacht in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, am 15. Mai 1988

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