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18.-24.6.17


Wir und unsere Rollen

Lukas 10,16


In der Gemeinde, in der ich tätig war, bevor ich nach St. Markus kam, gab es - und gibt es vielleicht noch - einige evangelikale Gruppen. Einer aus diesen Gruppen sagte mir einmal, als wir über Gottesdienste sprachen: „Wenn Sie auf der Kanzel stehen, kann das alles schön und richtig sein, was Sie sagen. Es ist aber nicht das Wort Gottes, das von der Kanzel kommt, sondern das Wort Neins.

Diese Kritik macht deutlich, dass unterschieden wird zwischen dem persönlichen und dem überpersönlichen Anteil unseres Redens - und übrigens auch unseres ganzen Verhaltens. Besonders versucht man das bei einem Pastor zu unterscheiden - und vor allem eben, wenn er auf der Kanzel steht: Da spricht nun nicht Herr X (oder Frau X) , sondern der Heilige Geist durch ihn (oder sie).

Es ist klar, dass es sehr schwierig ist, den jeweils persönlichen vom überpersönlichen Anteil zu unterscheiden. Entsprechend schwierig ist es auch, die Reaktion des Hörers einzuordnen. Es kann in der Tat so sein, dass die Ablehnung einer Predigt in Wirklichkeit die Ablehnung der Kirche oder die Ablehnung des Glaubens an Jesus Christus zum Ausdruck bringt. Insofern darf man die Ablehnung - wie auch die Zustimmung - nicht unbedingt persönlich nehmen. Manchen Leuten kann ein Prediger sagen, was er will: Wenn die Betreffenden wissen, dass es ein Pastor ist, der da redet, bleiben sie innerlich verschlossen. Das Umgekehrte ist auch anzutreffen: Manchen Menschen kann ein Prediger erzählen, was er will, wenn es ein Pastor ist, der redet, hören sie unendlich geduldig und wohlwollend zu.

Unser Reden - und unser ganzes Verhalten - ist in diesem Sinne mehrschichtig. Das bringt Schwierigkeiten, aber auch Erleichterungen mit sich.

Diese Mehrschichtigkeit unserer Äußerungen erlebt jeder von uns in vielfältiger Weise. Wenn wir z. B. als Deutsche im Ausland sind, nimmt man uns als der Deutsche oder die Deutsche wahr. Und je nach dem, wie die anderen den Deutschen gegenüber voreingenommen sind, positiv oder negativ, so werden sie auch reagieren. So können wir ganz unversehens - ganz unabhängig von unserer persönlichen Art - auf Ablehnung oder auch auf Sympathie stoßen.

Wir sind mehr als nur wir selbst. Wir spielen - auch - eine ganze Menge Rollen: als Pastor, als Christ, als Deutscher, als Erzieherin, als Mutter, als Kind. Die Vorzüge und Belastungen dieser Rollen dürfen wir nicht unserem persönlichen Konto zuschreiben. 

Persönliches und Überpersönliches zu unterscheiden, ist oftmals nicht leicht, das kann uns selbst zu schaffen machen, das kann auch unsere zwischenmenschlichen Beziehungen komplizieren.

Oftmals ist es wohl einfach so, wie unser Wochenspruch es sagt: dass, wer uns als Angehörige der christlichen Kirche annimmt, damit zum Ausdruck bringt, dass er Christus annimmt, und dass, wer uns ablehnt, damit zum Ausdruck bringt, dass er Christus ablehnt.

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 8. Juni 1999)

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