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23.-29.4.17


Dennoch!

1. Petrus 1,3


Zwischen Geburt und Wiedergeburt liegt der Tod. Die Theologin Dorothee Sölle hat einmal gesagt: „Wirklich leben kann man erst, wenn man einmal gestorben ist.“ Damit wollte sie sagen: Wer das tiefe Tal des Todes durchschritten hat, empfängt das Leben neu in einer vorher nicht gekannten Weise. Durch die Erfahrung abgrundtiefen Leids eröffnen sich dem Leidenden neue, wunderbare Dimensionen des Lebens, die dem vom Glück Verwöhnten verschlossen bleiben.

Natürlich kann die Erfahrung des Leids auch zu ganz anderen Ergebnissen führen. Diese anderen Ergebnisse sind aber eben nicht die einzig möglichen. Das Leiden ist nicht nur etwas, was es zu vermeiden, zu verhindern und zu beseitigen gilt und was wir gelegentlich zu leugnen und gleichgültig zu übersehen geneigt sind. Es gilt auch und vielmehr, das Leiden als eine bestehende, unvermeidbare und unleugbare Erfahrung anzunehmen. Wo dies gelingt, kann Leben neu empfangen werden.

Hiermit möchte ich nicht einer Verherrlichung des Leids das Wort reden. Damit wäre allen Leidenden ein weiteres Unrecht zugefügt. Aber was wir schon von dem biologischen Vorgang her kennen: dass die Geburt mit Schmerzen verbunden ist und sich das Leben in einem langen, beschwerlichen Prozess entwickelt, das ist eben auch für die Wiedergeburt wahr: Auch das neue Leben wird auf dem Wege leidvoller Erfahrungen erworben. 

Jesus Christus hat leiden und sterben müssen, bevor er auferstanden ist. Die neue Dimension des neuen Lebens ist das Dennoch: Dennoch liebe ich dich, Mensch, nach allem, was du mir angetan hast. Und: Dennoch ist das Leben eine wunderbare Gabe - trotz aller Mühen und Beschwerlichkeiten. 

Vergebung ist nicht möglich ohne Schuld, Heilung ist nicht möglich ohne Krankheit. Diese Einsicht ist kein Aufruf zu Schuld und Krankheit. Vielmehr sollen wir wissen: Wo Schuld und Krankheit sind, da ist noch nicht alles verloren, da ist nicht nur Finsternis, sondern da ist der Ort, wo sich Wunderbares ereignen kann. Wo Schuld ist, da kann die Erfahrung der Vergebung gemacht werden. Wo Krankheit ist, da kann die Erfahrung der Heilung gemacht werden. Kurz: Wo gelitten wird, da kann die Erfahrung rettender Liebe gemacht werden. So ist die Auferstehung Jesu Christi zu einer Hoffnung für alle Leidenden, zur Hoffnung für uns alle geworden. Das Leiden ist die Herausforderung zur liebevollen Zuwendung. Die Liebe ist die Dimension des wahren Lebens.

(Morgenandacht in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, am 17.4.2001)

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