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23.-29.7.17 


Weltweite Familie

Epheser 2,19


Biblische Sätze erhalten eine besondere Aussagekraft, wenn sie in eine konkrete Lebenswirklichkeit hineingesprochen werden. Zu unserer gegenwärtigen Lebenswirklichkeit gehört die Erfahrung, dass Ausländer, aber auch Deutsche aus den Ostgebieten, und insbesondere hilfesuchende Ausländer, von einem Teil unserer Gesellschaft als Belastung und Bedrohung empfunden werden. In zum Teil unwürdigen und unmenschlichen Äußerungen und Aktionen kommt dies zum Ausdruck.

In einem solchen Kontext wird eine Aussage wie die unseres Wochenspruchs umso wohltuender klingen: „Ihr seid nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.“ Mit dem Glauben an Jesus Christus ist eine Herabsetzung von Ausländern und Zugereisten nicht zu vereinbaren. Ganz im Gegenteil: Zum Wesen unseres christlichen Glaubens gehört die universale menschliche Verbundenheit im Geiste der Geschwisterlichkeit. Es klingt zwar abgenutzt und altmodisch und vielleicht auch frömmelnd und unecht, wenn sich Christen als Schwestern und Brüder anreden. Aber das Bild von der großen Familie - „Gott unser aller Vater und Jesus Christus unser gemeinsamer Bruder“ - dieses Bild gibt das Wesen des christlichen Glaubens treffend wieder. 

Paulus lag vor allem daran, die Nichtjuden, Heiden, wie das Neue Testament sagt, in die christliche Gemeinschaft mit hineinzunehmen. Aber er wandte sich nicht nur an Juden und Nichtjuden, sondern überhaupt an Menschen unterschiedlicher Nationalität, Sprache und Kultur, an Menschen in der heutigen Türkei, in Griechenland und Italien. Er wandte sich an Menschen, denen er von Christus erzählen und die er für den Glauben an Christus gewinnen wollte. Dies tat er mit großem Einfühlungsvermögen und Respekt vor der Andersartigkeit derer, mit denen er ins Gespräch zu kommen versuchte. 

Die Kirche macht heute trotz ihrer wunderbaren geistlichen Grundlage nicht immer den Eindruck einer großen Familie - und auch nicht einer guten Familie. Die Gemeinschaft ist vielfach zerrissen und gespalten - im Großen wie im Kleinen. Das Bild von der Familie ist somit mehr Verheißung als Wirklichkeit. An der Wirklichkeit gemessen mögen diejenigen, die es mit der Verheißung ernst nehmen, wie naive Träumer erscheinen. Aber wie gut, wenn solche Träume noch nicht in den täglichen Lebenserfahrungen untergegangen sind. 

(Morgenandacht in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, 11. Juli 1989)

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