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25.-31.3.18


Wir haben schon jetzt das ewige Leben

Johannes 3,14b.15


Ewiges Leben: Gemeint ist sicherlich nicht, dass unser jetziges Leben ewig so weitergeht. Das wird sich wohl auch kaum jemand wünschen. Das Leben ist anstrengend und mühselig und voller Bedrohungen. Ich höre manchmal auch jüngere Menschen, denen es gut geht, sagen: „100 Jahre alt möchte ich nicht werden, nicht einmal 90, und ewig leben möchte ich schon gar nicht.“

Ewiges Leben: Die Moslems stellen sich vor, dass dann nur noch die schönen Dinge weitergehen. So können sie es im heiligen Buch ihrer Religion lesen. Wenn sie sich in ihrem Leben redlich nach den Vorschriften ihres Glaubens verhalten haben, werden sie nach dem Tod in ein Paradies eingehen. Dort werden sie es so bequem und schön haben wie nie zuvor: Man sitzt auf durchwobenen Polstern hingelehnt einander gegenüber, umkreist von unsterblichen Jünglingen mit Kelchen und Kannen. Man kann trinken, ohne berauscht zu werden und ohne Kopfschmerzen zu bekommen. Man kann die Früchte essen, die man begehrt, und Fleisch, wie man es sich selbst wählt. Man hört kein Geschwätz und keine Beschuldigung, nur das Wort „Friede“, „Friede“.

Dieses Bild vom ewigen Leben sieht ganz nach einer allzu naiven Verlängerung unseres jetzigen Lebens aus, aus dem dann nur all das herausgefiltert ist, was uns jetzt bedrückt und missfällt.

Ewiges Leben: Jesus hat in verschiedenen Gleichnissen deutlich gemacht, dass alles ganz anders kommt, als man es sich vorstellt. Das Senfkorn, das man auf den Acker sät, wird nachher zu einem Baum. Dem kleinen Senfkorn selbst kann man nicht ansehen, was später einmal daraus werden wird. Es ist deshalb müßig, darüber zu spekulieren, was einmal sein wird.

Ewiges Leben: Das ist das ganz Andere, das Grenzenlose, das alle Begrenzungen Überschreitende. Wir sind dagegen eingezwängt in die zeitlichen Grenzen von Geburt und Tod. Nur eine begrenzte Zahl von Jahren ist uns gegeben. Wir sind eingezwängt in unseren Körper. Wir können nicht davonfliegen, nicht davonlaufen.  Der Körper ist schwer und starr.  Es ist oft ein mühsames Geschäft, ihn mitschleppen zu müssen. Und er fordert sein Recht, unser Körper, er will zu essen und zu trinken haben. Er will Medikamente haben, er will gepflegt werden.

Wir sind eingezwängt in unsere begrenzten Begabungen.  Wir können nicht schön singen, wenn uns nicht die entsprechende Stimme mitgegeben ist. Wir können nicht in verschiedenen Sprachen sprechen, wenn uns nicht die Begabung mitgegeben ist, Sprachen zu lernen.

Wir sind eingezwängt in unsere Lebensumstände: Wir sind in diesem Land, zu einer bestimmten Zeit, als Kind bestimmter Eltern, in einer bestimmten Umgebung groß geworden. Das alles hat uns in einer bestimmten Weise geprägt.

Vieles wäre zum Beispiel anders gewesen, wenn wir dreißig Jahre später geboren worden wären.

Wir sind eingezwängt in unsere Erfahrungen: Wir haben bestimmte Dinge erlebt. Davon können wir uns nicht einfach lösen. Unsere Erfahrungen haben einen Einfluss darauf ausgeübt, wie wir jetzt denken und fühlen, wie wir das Leben sehen, mit welcher Lust und welchem Willen wir an das Leben herangehen.

Wir sind auch eingezwängt in die Erfahrung von Leid, Misserfolg, Schuld. Wir haben Dinge erlebt, die uns niedergedrückt haben, Enttäuschungen mit anderen und mit uns selbst.

Das alles bestimmt uns, zwängt uns ein, hält uns fest, hält uns gefangen. Wir können nicht einfach sagen: „Ich möchte ganz anders sein, ich möchte ganz anderswo sein.“ Wenn wir es auch oftmals gern sagen würden. Wir halten Ausschau nach dem, was uns befreit, nach dem ganz Anderen, das uns aus der  Gefangenschaft unserer vielfältigen Begrenzungen herausführt.

Mit dem Alter werden wir bescheiden. Wir lernen die kleinen, unscheinbaren Dinge wahrzunehmen, und lernen, aus ihrer Kraft zu leben.

Ein Sonnenstrahl kann uns die Schwere unseres Körpers vergessen lassen. Das erste zarte Grün der Knospen kann uns mehr bedeuten als manche niederdrückende Erfahrung unseres Lebens. Die bunten Farben der ersten Frühlingsblumen können die Dunkelheiten unseres Lebens so zurückdrängen wie die trüben Tage des Winters. Das Lächeln eines Kindes zählt mehr als tausend Grimassen des Bösen, die wir zuvor gesehen haben.

Und dass sich ein Mensch hingegeben hat, um an seiner grenzenlosen Liebe zu uns keinen Zweifel zu lassen, das lernen wir als Erlösung zu begreifen. Die Begrenzungen unseres Lebens sind alle noch da. Aber sie können uns nicht mehr einzwängen. Wir leben frei in den Grenzen, die uns gesetzt sind. Der Geist ist mächtiger als der Leib. Die Liebe ist stärker als alle Kräfte des Todes. Wir leben noch in den Grenzen der Zeit und haben doch schon das ewige Leben.

(Morgenandacht in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, am 14.4.1981)

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