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26.2.-4.3.17


Zum Guten provozieren


Jesus geht nach Jerusalem. Er geht - freiwillig - in die Höhle des Löwen. Er weiß: In Jerusalem wird er verspottet, misshandelt, angespien, ausgepeitscht, getötet werden. Das alles ist er bereit auf sich zu nehmen. Er weiß sich zu diesem Leiden beauftragt - um einer guten Sache willen - oder besser gesagt: nicht um einer Sache willen, sondern um der Menschen willen. Er setzt sich bewusst allen menschlichen Bösartigkeiten aus, um deutlich zu machen: Ich lasse mich nicht zum Hass provozieren. Ich bleibe meinem Auftrag treu, die Menschen erfahren zu lassen, dass sie - trotz allem - liebenswerte und geliebte Geschöpfe sind. Diesen Auftrag hat Jesus sich nicht persönlich ausgedacht. Er weiß sich vielmehr zu diesem Auftrag berufen, aus der Geschichte seines Volkes heraus - und durch den, dem wir unser Leben verdanken und der unser Leben in seinen Händen hält.

Todesmutig in die Höhle des Löwen gehen - das kann man aus unterschiedlichen Gründen tun, und es ist dann wirklich nicht dasselbe. Der Todesmut allein ist nicht die Qualität, die besondere Anerkennung verdient. Ein Märtyrer ist nicht schon an sich eine ehrenwerte Person. Es kommt darauf an, mit welcher Absicht und für wen er sein Leben zu lassen bereit ist.

Wenn Jesus nach Jerusalem hinaufzieht, ist er nicht einem Soldaten vergleichbar. Denn Jesus geht ohne Waffen, und er will nicht Leben vernichten. Er will allen ein neues Leben ermöglichen.

Aber er ist auch nicht dem Terroristen zu vergleichen, der zugrunde zu gehen bereit ist, wenn es ihm nur gelingt, Rache zu üben und die Staatsmacht zu unrechtmäßigen Gewalttaten herauszufordern, die dann als Rechtfertigung dienen könnten, einen noch umfassenderen Gegenangriff durchzuführen. 

Jesus will nicht zerstören. Der Einzug Jesu nach Jerusalem ist zwar eine bewusste Provokation. Er weiß, dass sich Menschen, einschließlich seiner treuesten Freunde, ins Unrecht setzen werden, wenn er da auftaucht: durch Gewalttat, durch Verrat, Verleugnung, durch Feigheit ... Aber am Ende wird er wieder vor ihnen stehen und ihnen sagen: Trotz allem, was ihr mir angetan habt, bleibe ich euch wohlgesonnen. Ich bleibe bei euch allezeit, ich bleibe euch brüderlich, freundschaftlich verbunden.

Dies ist wie ein Lehrstück über Schuld und Vergebung, eine göttliche Dramaturgie auf Hoffnung, ein Angebot an uns. Das Stück muss jedes Jahr neu aufgeführt werden. Wir brauchen den heilsamen Impuls immer wieder.

(Morgenandacht von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, am 25.2.2003)

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