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Lukas 19,10


Im Sinne Jesu Christi zählen eigentlich wir alle zu den Verlorenen. „Verloren gegangen“ soll heißen: Einen verkehrten Lebensweg eingeschlagen haben, und zwar sich von der schöpfungsmäßigen Bestimmung entfernt haben, gegen den Willen des Schöpfers leben. Das hat mit Schuld zu tun, mit ganz persönlicher Schuld und mit Verstrickung in die größeren Zusammenhänge der Schuld. Insofern ist das Verlorensein immer die Konsequenz zurechenbaren Verhaltens. Umkehr ist möglich.

Was gemeint ist, ist in der Paradiesesgeschichte besonders eindrücklich geschildert: Der Mensch wird schuldig, indem er sich gegen den Willen seines Schöpfers wendet. Er verspielt damit die unmittelbare Nähe zu seinem Schöpfer. Er verliert das Paradies und läuft künftig verloren in der Welt umher. Jesus Christus schließlich geht ihm nach und bietet ihm die Nähe zum Schöpfer neu an.

Eigentlich zählen alle Menschen zu den Verlorenen, auch die Pharisäer. „Ich bin nicht um der Gesunden willen, sondern um der Kranken willen gekommen. Eigentlich zählen im Sinne Jesu Christi alle Menschen zu den Kranken, auch die Pharisäer, die Jesus nur scheinbar mit diesen Sätzen zu den Gesunden, den nicht Verlorengegangenen rechnet. Er will Ihnen sagen: „Wenn ihr meint, dass ihr ganz und gar in Ordnung und keiner Hilfe bedürftig seid, dann könnt ihr auch nichts mit dem anfangen, was ich anzubieten habe. Nur wer sich selbst als krank und verloren begreift, wer Heilung begehrt und von einer verkehrten Lebensweise umkehren möchte, wird etwas mit mir anfangen können.“

Von daher hat sich Jesus Christus insbesondere denen zu gewandt, die aufgrund ihrer persönlichen Lebensumstände am ehesten in der Lage waren, sich selbst und die Zusammenhänge, in denen sie lebten, selbstkritisch zu betrachten. Das waren eben Menschen, die krank waren, solche, die so offensichtlich schuldig geworden waren,  dass sie in offenem Konflikt mit anderen lebten, solche, die so arm, schlecht angesehen oder sonst wie benachteiligt waren, dass sie unter großem gesellschaftlichen Druck standen.

Jesus Christus ist für alle Menschen gekommen, aber nicht jeder Mensch begreift sich zu jeder Zeit seines Lebens als seiner Hilfe bedürftig.

Dass wir in unseren Kirchen bestimmte Altersschichten kaum antreffen, hat sicherlich auch damit zu tun, dass in gewissen Lebensphasen die Zufriedenheit mit sich selbst und die Selbstsicherheit besonders groß und die Fähigkeit, die eigenen Mängel, Schwächen, Fehler, Abhängigkeiten zu erkennen, besonders gering sind.

Wir tun seitens der Kirche gut daran, wenn wir im Umgang mit anderen Menschen so ähnlich verfahren, wie es Jesus Christus getan hat: dass wir allen ein offenes Angebot machen, aber niemandem aufdrängen, was er nicht nötig zu haben meint. Wir haben mehr als genug zu tun, wenn wir uns denen zuwenden, die unsere Zuwendung wollen. Diejenigen, die aufgrund ihrer persönlichen Lebenssituation Jesus Christus geradezu brauchen, sind diejenigen, die uns in erster Linie anbefohlen sind.

(Morgenandacht in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 10. Juli 1984)

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