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3.-9.12.17


Warten - auf wen?

Sacharja 9,9


Advent bedeutet für uns „warten“, warten wie auf einen Besuch. Wir bereiten uns vor, und wir warten. Warten auf wen? Wen hätten wir gern einmal bei uns?

Sacharja kündigt uns einen Besuch an: „Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer.“ Wie können wir uns diesen Besuch vorstellen?

König - damit ist von Christus her verstanden wohl nicht jemand gemeint, der wegen seines Titels Autorität besitzt, sondern der diesen Titel hat, weil er eine Autorität ist von seiner ganzen Art her: ein Mensch, der treu ist, unerschütterlich in seiner Treue wie ein Fels, der zum Wesentlichen vordringt, der uns die Tiefe unseres Lebens erfahren lässt, der uns erleben lässt, wie großartig unser Leben doch ist.

Ein Mensch, der die Verstrickungen löst, in denen wir gefangen sind, der uns befreit, so dass wir uns ganz neu bewegen können, der die Verklemmungen in unserer Brust auflöst, sodass Lebensgeister in uns erwachen, die bisher nur geschlummert haben.

Ein Mensch, der Kraft ausstrahlt, nicht so, dass wir im Kontrast zu ihm nun besser wüssten als vorher, wie schwach wir sind, sondern so, dass die in uns verborgenen Kräfte geweckt werden und wir spüren, wie stark wir selbst doch sein können.

Ein Mensch, der uns und alles in hellem Licht erstrahlen lässt, nicht weil er selbst so grell leuchtete, sondern weil er wie eine zentrale Quelle der Kraft die unzähligen Lichter in uns, in unserem Leben, im ganzen Dasein zum Leuchten bringt.

Ein Mensch also, ein großartiger, der seine Größe nicht darin hat, dass er uns spüren lässt, wie klein wir sind, sondern darin, dass wir an ihm wachsen können. Ein Mensch, demgegenüber wir uns nicht eingestehen müssen, wie wenig wir sind, wie wenig wir können, wie wenig wir haben. Ein Mensch, der uns aufbaut, der uns erhebt, der uns und unserem Leben und unserem ganzen Dasein eine unendlich große Würde gibt. Ein wahrhaft göttlicher Mensch.

Der König, ein Gerechter. Gerecht - nicht, indem er uns an irgendwelchen abstrakten Normen misst. Gerecht, indem er uns gerecht wird, uns ganz persönlich. Das ist ganz subjektiv. Uns gerecht wird, indem er uns ganz individuell das zukommen lässt, was unserem Leben dient.

Der König, ein Helfer. Einer, der uns voranbringt, der in uns und für uns Neues schafft. Der nicht zu uns kommt - und dann geht es uns noch schlechter als vorher. Sondern einer, der uns wohltut und uns Schönes erleben lässt.

Einen solchen Besuch hätte ich gern, hätten wir wohl alle gern. Einen solchen Besuch haben wir vielleicht auch schon gehabt, haben wir vielleicht des öfteren und merken es gar nicht. Ein solcher Besucher kann äußerlich unscheinbar sein.

Advent ist die Zeit des erwartungsvollen Wartens auf diesen besonderen Besucher, die Zeit des Hinhörens und Hinschauens, des Sich-selbst-öffnens, des Aufnehmens, des Sich-ergreifen-lassens. Hören wir hin, schauen wir hin, öffnen wir uns, nehmen wir auf, lassen wir uns ergreifen! 

(Morgenandacht in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, 2. Dezember 1980)

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