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30.12.17-6.1.18


Das Wort wurde Mensch

Johannes 1,14a


„Wir sahen seine Herrlichkeit“ - dieses Sehen ist wörtlich zu nehmen; denn zuvor heißt es: „Das Wort wurde Fleisch“ - oder anders übersetzt: „Das Wort wurde Mensch“. Die Augen hatten also eine leibhaftige Gestalt vor sich, eine menschliche Gestalt, und konnten deren Tun beobachten. Zuvor war nur davon geredet worden, dass ein Erlöser kommen sollte, ein Messias, ein Friedefürst, Gottheld, Wunderrat. Zuvor war nur geredet worden - Worte, Gedanken, Ideen, Versprechungen, Verheißungen. Da stand etwas auf dem Papier, da hingen Worte in der Luft.

Dann wurden diese Worte begreifbar, im wörtlichen Sinne, sie wurden Fleisch, sodass man sie anfassen konnte mit Händen in Form dieser menschlichen Gestalt. Man konnte mit allen Sinnesorganen in sich aufnehmen, was diese Gestalt darstellte. 

Wenn wir von Gott reden, kann das seitdem nicht mehr nur ein abstraktes Reden sein. Es ist nicht mehr nur ein Reden über Ideen. Wir philosophieren nicht. Wir reden über Gott, indem wir über einen Menschen reden. 

Wenn mich jemand fragt, was für mich Gott bedeutet, antworte ich am liebsten: „Sehen Sie sich diesen Jesus Christus an, was er gesagt und getan hat, wie er gelebt hat, wie er gewesen ist, wie er mit Menschen umgegangen ist, wie er sich in verschiedenen Lebenssituationen verhalten hat, wie er mit Lebensproblemen umgegangen ist. Da ist eine ganze Menge zu beobachten. All das gibt uns Aufschluss darüber, wie wir - als Christen - Gott verstehen. Im 1. Johannesbrief sind diese Beobachtungen mit einem Wort zusammengefasst: „Gott ist die Liebe.“

Bei diesem Wort wird dann wieder klar: Gott ist nichts Abstraktes. Denn Liebe ist etwas Konkretes, etwas, das sich nur im Lebensvollzug ereignen kann zwischen lebendigen Gestalten. Zwar kann man unendlich viel darüber reden, aber die Liebe selbst ist die in menschlicher Gestalt vollzogene Hinwendung zum anderen, zum Gegenüber, zum „Du“.

Das Christentum ist in diesem Sinne letztlich doch keine Buchreligion. Dieses Buch gibt zwar Anstöße, aber es verweist uns ganz schnell weg von sich selbst, hin zur konkreten Lebenswirklichkeit. Wir sollen nicht beim Lesen der Schrift stehenbleiben, sondern sollen das Leben beobachten, sollen Menschen anschauen, denn in menschlicher Gestalt begegnet uns Gott immer neu, in menschlicher Gestalt gibt er uns Hoffnung, Zuspruch und einen Auftrag. In dieser Weise kommt auch der Glaube an Christus zu seiner eigentlichen Entfaltung, indem wir so konkret antworten, wie wir angesprochen sind: also nicht nur durch Lesen und Reden über dieses Buch, sondern indem wir durch unseren eigenen Lebensvollzug Hoffnung, Zuspruch, Vergebung lebendig, anschaulich erlebbar werden lassen. 

(Morgenandacht in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, 7. Januar 1986)

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