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8.-14.10.17


Die sanfte Gewalt Gottes

1. Johannes 5,4b



Worte können sehr verschieden wirken - je nach dem, in welchem Zusammenhang sie gesprochen werden. Mit Blick auf die Bewohner jener Weltgegend, die vor 500 Jahren die Bekanntschaft des Kolumbus machten, hat dieser Satz „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat“ unangenehme Nebenklänge. Als die Sieger stehen uns die spanischen Eroberer und als die Besiegten die von ihnen entdeckten Bewohner der neuen Welt mit ihrer bis dahin unbekannten Kultur vor Augen.

Und dann heißt es im 1. Johannesbrief im übernächsten Satz weiter: „Dieser ists, der gekommen ist durch Wasser und Blut, Jesus Christus; nicht im Wasser allein, sondern im Wasser und im Blut.“

Durch das Wasser des Atlantik ist Christus zu den Ureinwohnern des heutigen Amerika gekommen, und nicht nur durch das Wasser der Taufe, sondern auch durch das Blut des Schwertes. 

Natürlich sind die Worte im 1. Johannesbrief so nicht gemeint. Aber im Zusammenhang des gestrigen Gedenktages ergeben sich bei diesen Worten solche Gedankenverbindungen. Geschichtliche Tatsache ist dies eben auch: Mission durch das Schwert. 

Wenn wir die Worte vom Sieg des Glaubens in den Mund nehmen, dann können wir Missverständnisse erzeugen. Der Sieg des Glaubens im Sinne Jesu Christi ist mit Sicherheit kein Sieg durch das Mittel der Gewalt und durch das Mittel der Unterdrückung. Christus ist am Kreuz gestorben. Er selbst war ein Opfer der Gewalt. Sein Sieg ist anderer Art. Sein Sieg ist vergleichbar der Kraft, die aus Trümmern Blumen wachsen lässt, die aus kranken Leibern gesunde Kinder hervorkommen lässt und die den tollwütigsten Krieger in den Schlaf sinken lässt. Die sanfte Gewalt Gottes hat Christus zum Sieg verholfen. Es ist die Kraft der Liebe, deren Saat - einmal ausgestreut - nicht mehr zunichtegemacht werden kann. 

Selbst die Eroberer, die im Namen Jesu Christi in der neuen Welt Unheil anrichteten, haben die gute Saat mit ausgestreut. Auch sie ist aufgegangen und hat inmitten des Unheils der vergangenen 500 Jahre auch viele schöne Blumen hervorgebracht. 

Die Geschichte Lateinamerikas ist, wie allerdings unsere ganze menschliche Geschichte, eine Geschichte voller Unmenschlichkeiten. Aber wir können denen nicht Recht geben, die sagen, es habe sich seit Christus nichts verändert. Doch, die scheinbare Ohnmacht des Liebenden hat sich als die wahre Macht erwiesen. Der sich selbst zum Opfer gemacht und sein eigenes Leben hingegeben hat, hat den Sieg errungen - in den Augen derer, die an die Kraft der Liebe zu glauben vermögen.

(Morgenandacht in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 13. Oktober 1992)

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