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1. Sonntag nach Epiphanias (12.1.20)


Beziehungspflege durch gelebte Wertschätzung

11. Januar 1998

1. Sonntag nach Epiphanias

Römer 12,1-8


Zum Jahreswechsel hat sich vielleicht jeder von uns zumindest für einige Augenblicke Gedanken gemacht über das eigene Leben, über das, was gewesen ist, und das, was nun kommen könnte, was gelungen, was nicht so gut gelungen war und was man vielleicht besser machen könnte - die guten Vorsätze eben.

Es ist immer nützlich, mal innezuhalten, ein wenig nachzudenken über sich selbst und die Dinge des Lebens. Mit einer solchen Anregung zum Nachdenken ist auch jeder Gottesdienst verbunden. Den Anstoß zum Nachdenken gibt uns in der Regel ein Text aus der Bibel, heute ein paar Sätze aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom. Paulus sagt - ich verkürze das mal: „Gebt euren Leib hin als ein Gott wohlgefälliges Opfer; das sei für euch der wahre Gottesdienst.“

Dieser Satz hat, wie ich finde, eine ganz wunderbare Aussage. Das merkt man vielleicht nicht beim ersten Hören.

Es fällt hier das Wort „Gottesdienst“ - den haben wir ja gerade. Es kommt das Wort „Opfer" vor, also etwas, was wir geben unter einem gewissen Aufwand, und hier steht das Wort „Leib", euer Leib, also unser Leib - und das sind doch wir, mit unserer ganzen Person.

Das Stichwort „Opfer“ im Zusammenhang mit „Gottesdienst“ erinnert uns an alte Zeiten, an altertümliche Zeiten, als Opfer gebracht wurden auf dem Altar. Da wurden Gaben des Feldes auf den Altar gelegt und verbrannt, es wurden Tieropfer dargebracht, es gab sogar Menschenopfer; auch dafür gibt es in der Bibel Hinweise. Das Verbrennen hatte den Sinn, die Gaben aufsteigen zu lassen zu demjenigen, für den sie bestimmt waren.

Das Alte Testament enthält viele Seiten mit Vorschriften über den Opferkult: Was da abzuliefern sei und wie bei der Opferung vorzugehen sei - das ist wirklich aus unserer Sicht alles sehr altertümlich. Es wäre aber verkehrt, das zu belächeln. Es ging ja um etwas außerordentlich Bedeutsames. Es ging um das Verhältnis „Gott-Mensch“. Und wo es um dieses Verhältnis geht, da geht es um unser Verhältnis zum Leben, zum Dasein, zu dem Urgrund unserer Existenz.

Das heißt doch, dass das hinter dem Opferkult stehende Grundthema auch unser Thema ist: Wie stehen wir zu Gott, wie stehen wir zu unserem Leben, zu unserem Dasein?

Der alte Opfergedanke ist, obwohl er einerseits sehr altertümlich ist, unter uns immer noch sehr lebendig, wenn auch nicht in der Form, dass wir ein Opfer auf den Altar legen und es anzünden würden. Aber dass z. B. jemand etwas Wertvolles von sich gibt in der Hoffnung, Gott möge dies wohlwollend zur Kenntnis nehmen und einen heißen Wunsch erfüllen, das kommt immer wieder vor.

Es ist und bleibt ja ein Problem, ein Dauerproblem für uns alle, ein existentielles Problem, dass so vieles in unserem Leben unverfügbar ist. Vieles in unserem Leben - und gerade manches besonders Wichtige - können wir uns nicht selbst geben. Wir können es z. B. nicht machen oder erarbeiten oder erzwingen, dass uns jemand gernhat. Was können wir dann aber tun? Da kommt eben mancher auf die Idee: Vielleicht hilft ein Opfer, vielleicht lässt sich Gott, der Herr über alles Unverfügbare, damit doch irgendwie auf unsere Seite ziehen.

Wir sollten auch dieses Vorgehen nicht belächeln. Denn dieses Vorgehen ist doch sehr gut nachvollziehbar. Das Problem ist ja ein gravierendes. Irgendwie wollen wir unsere Wünsche, unsere Sehnsüchte erfüllt sehen. Als ein Akt der Hilflosigkeit, der Verzweiflung vielleicht sogar, ist ein solches Vorgehen verständlich.

Aber bei näherem Nachdenken kommen wir dann vielleicht doch zu dem Ergebnis, dass die Gott-Mensch-Beziehung sich nicht auf dieser Ebene abspielen kann: dass sich diese Beziehung also wohl doch nicht über solche Gaben, über Opfer, über wertvolle Geschenke regeln lässt. Das wäre ja auch in unserer zwischenmenschlichen Beziehung bedenklich, wenn das Dingliche da eine allzu große Rolle spielen würde, wenn die Qualität einer Beziehung davon abhängen würde, was und wieviel man sich gegenseitig gibt.

Der Volksmund sagt zwar: „Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft.“ Aber auch damit ist nicht gemeint, dass diese kleinen Geschenke der Grund, sondern eher der Ausdruck einer bestehenden Freundschaft sind.

Wenn z. B. Eltern ihren großgewordenen und vielleicht schon außer Haus lebenden Kindern ab und zu mal was zustecken, dann tun sie das ja wahrscheinlich nicht, um damit die Beziehung zu den Kindern aufrechtzuerhalten, sondern weil es einfach ihrer elterlichen Liebe entspricht, den Kindern auch auf diesem Wege ab und zu etwas Gutes zu tun. Die Liebe der Kinder quasi kaufen zu wollen, also durch materielle Gaben erhalten zu wollen, wäre eher problematisch und letztlich untauglich. Dann müssten die Eltern ja selbst den Verdacht schöpfen: „Unsere Kinder lassen sich bei uns nur noch blicken, wenn wir ihnen etwas geben.“ Das wäre ja gar nicht gut.

Die materielle Gabe für sich genommen ist nicht das Problem, sondern ihre Bedeutung, ihre Funktion. Wird sie eingesetzt, um eine Beziehung herzustellen und zu erhalten, oder ist sie der Ausdruck einer bestehenden Beziehung? Das ist im Einzelfall gar nicht so leicht zu entscheiden. Wenn eine reiche Frau und ein armer Mann heiraten, wird sie vielleicht lange die Frage in sich tragen: „Hat er nun mich oder mein Geld geheiratet?“

Beim gottesdienstlichen Opferkult, also der Mensch-Gott-Beziehung, war das sicherlich auch die Frage: War das Opfer Mittel zum Zweck, sich Gott gefügig zu machen, oder war es der Ausdruck einer dankbaren Gottesbeziehung?

Paulus will unter Bezugnahme auf den Opferkult jedenfalls sagen: Euer Opfer soll nicht irgendein Ding sein, nicht irgendeine Frucht des Feldes, nicht irgendein Tier oder sonst irgendeine Sache, mag sie euch auch besonders viel wert sein, sondern gebt euch selbst mit eurer ganzen Person in die Beziehung ein. Das wäre der echte überzeugende Ausdruck einer guten Gott-Mensch-Beziehung. Das wäre so ähnlich wie, wenn jemand sagen würde: „Kommt mich besuchen, lasst eure Geschenke zu Hause, die sind unwichtig, Hauptsache ihr seid selbst da.“

Um diese Art der Beziehung geht es, die vor jeder materiellen Gabe bereits da ist. In der Eltern-Kind-Beziehung kann man im Allgemeinen davon ausgehen, dass Eltern ihr Kind bereits im Vorwege, sozusagen schon vor der Geburt, gernhaben, und dass dann alles, was sie dem Kind Gutes tun, was sie dem Kind geben, auch an Materiellem, eben Ausdruck dieser bereits vorhandenen guten Beziehung ist. So sollen wir uns, sagt Paulus, auch das Verhältnis Gottes zu uns vorstellen.

Es ist also eine Liebesbeziehung bereits da. Und darum brauchen wir nun unsererseits nicht zu meinen, wir müssten diese Beziehung erst bauen durch irgendwelche materiellen Gaben. Wir können diese Liebesbeziehung als gegeben hinnehmen. Die angemessene Antwort, wenn uns an der Beziehung liegt, wäre, mit unserer ganzen Person zu antworten, also mit allem was wir sagen und tun, mit unserem ganzen Verhalten zum Ausdruck zu bringen, dass wir diese Beziehung wertschätzen.

Um das noch einmal menschlich zu sagen: Das wäre z. B. so ähnlich wie, wenn sie zu ihm sagt: „Lass den Diamanten im Geschäft. Wenn du mich wirklich liebst, nimm dir doch ein bisschen Zeit für mich“ - oder so ähnlich.

Paulus drückt das natürlich alles viel theologischer aus: „Gebt euch selbst mit eurem Leib“, d. h. mit eurer ganzen Person in die Beziehung ein. Das ist das in Anführungszeichen „bessere" Opfer „und erweist euren Wunsch, mit Gott verbunden zu sein, dadurch, dass ihr euch darum bemüht, seinen Willen zu erkennen und zu tun, also so zu leben, euch so verhalten, wie es der Liebe Gottes zu euch entspricht.“

Wir dürfen unser Verhältnis zu Gott - und das heißt unser Verhältnis zu unsrem Dasein - gern mit dem Verhältnis zu einem Menschen vergleichen. So, wie wir in einer guten zwischenmenschlichen Beziehung nicht über den anderen verfügen können und es der guten Beziehung auch nicht angemessen wäre, über den anderen verfügen zu wollen, so ist es auch mit unserer Beziehung zu Gott, mit unserer Beziehung zu unserem Dasein: Da können und sollen wir nichts zwingen.

Das angemessene Verhältnis zu unserem Dasein, zur Tatsache unserer Existenz, ist zunächst einmal dies: dass wir unser Leben mit allem Drum und Dran, so, wie es nun einmal ist, mit Dankbarkeit annehmen - dass wir dankbar annehmen, dass wir beschenkt sind mit dieser Gabe Gottes an uns, mit den vielen Segnungen des Lebens. Ebenso wäre es unserer Beziehung zu Gott, unserem Schöpfer, angemessen, die Gabe des Lebens als eine Aufgabe annehmen, als eine Aufgabe, so zu leben, dass wir dieser Beziehung damit die Ehre erweisen.

Das wäre ja auch die optimale Eltern-Kind-Beziehung, wenn Kinder auf die Liebe der Eltern entsprechend antworten würden: in Dankbarkeit für das Geschenk des Lebens und für alles, was die Eltern für sie getan haben, und mit einem Leben, das diese Dankbarkeit zum Ausdruck bringt, das die Liebe also weiterführt und weitergibt.

Es geht im Gott-Mensch-Verhältnis also um eine Beziehung, um eine gute, angemessene Beziehung. Es ist völlig in Ordnung, dass wir immer wieder Vergleiche aus unseren zwischenmenschlichen und familiären Beziehungen heranziehen. Das machen auch die biblischen Texte so. In der Evangelienlesung von der Taufe Jesu sagt eine himmlische Stimme: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ Da haben wir’s doch wieder. Gott, der Vater, Jesus, der Sohn. In eben diesen persönlichen Kategorien dürfen wir unser Gottesverhältnis verstehen. Wir sind alle Kinder Gottes.

Das könnte also zu unseren guten Vorsätzen für das neue Jahr gehören: dass wir dieser Beziehung zu Gott unserem Schöpfer, und dem Vater Jesu Christi die Ehre erweisen durch ein Leben in seinem Sinne. Das wäre eine besonders schöne Form des Gottesdienstes.

(Predigt in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 11. Januar 1998)

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