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11. Sonntag nach Trinitatis (1.9.19)


Danken

23. August 2009

11. Sonntag nach Trinitatis 

Lukas 18,9-14


Dankbarkeit kann manchmal völlig danebengehen. Eigentlich ist es schön, wenn einer dankbar ist. Kinder erziehen wir dazu, sich zu bedanken. Und zum Christsein gehört es grundlegend, dankbar zu sein für das Leben, für jeden einzelnen Tag, für  Essen und Trinken, für liebe Menschen um uns herum, für das, was wir können und haben und sind. Im Dank drückt sich das Wissen davon aus, dass vieles, und zwar Grundlegendes, nicht wir selbst uns gegeben haben, ja, gar nicht haben geben können, sondern dass wir im Grunde und zuallererst Empfangende sind. 

Dennoch kann das Danken auch völlig danebengehen. 

Unser Predigttext berichtet uns von zwei sehr unterschiedlichen Menschen. Sie haben eines gemeinsam: Sie gehen beide in den Tempel, um sich dort an Gott zu wenden. Sie sind beide keine, wie wir mit einem Fremdwort sagen würden, Atheisten. Für beide spielt Gott eine Rolle in ihrem Leben. Sie erkennen beide jemanden über sich an, der mehr ist als der Mensch. An ihn wenden sie sich, um ihm etwas vorzutragen über sich selbst. Sie sagen ihm beide etwas sehr Persönliches, etwas, das mit ihrer Persönlichkeit und ihrem Verhalten zu tun hat.  

Was die beiden voneinander unterscheidet, ist das, was sie vorbringen, und die Art, wie sie mit Gott reden. Beides lässt darauf schließen, dass sie ganz unterschiedliche Persönlichkeiten sind mit sehr unterschiedlichem Selbstverständnis und unterschiedlichem Verhältnis zu Gott und den Mitmenschen. 

Der eine fängt sein Gebet an mit den Worten: „Ich danke dir, Gott.“ Das ist doch wunderbar - so weit. Wenn einer so anfängt, kann er dann noch etwas falsch machen? Ja, das kann er, wie uns die Fortsetzung seiner Rede auf unangenehme Weise spüren lässt. „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute: Räuber, Betrüger, Ehebrecher ...“

Was ist so unangenehm an der Fortsetzung seiner Rede? Hat er nicht zu Recht Grund zur Dankbarkeit dafür, dass er sich nicht schuldig gemacht hat in dieser und jener Weise wie manche andere? Ist es nicht sogar anerkennenswert, dass er sich darüber im Klaren ist, dass sein ethisches Wohlverhalten nicht nur sein eigenes Verdienst ist sondern göttliche Gnade? Ja, rechtschaffen zu sein, ist eine göttliche Gnade. Wir tragen zwar eine eigene Verantwortung für unser Verhalten. Dieser Verantwortung gerecht werden zu können, liegt aber letztlich nicht nur in unserer eigenen Hand. Denn wir haben uns nicht selbst geschaffen. 

Was kann Eva dafür, dass sie sich durch die Schlange hat verführen lassen, und was kann Adam dafür, dass er sich durch Eva hat verführen lassen, wenn Gott, der Schöpfer, ihnen beiden das Gen der Verführbarkeit eingepflanzt hat?! Ist nicht letztlich Gott, der Schöpfer, selbst für diesen ethischen Mangel verantwortlich? 

Und ist der Schöpfer umgekehrt dann nicht auch letztlich dafür verantwortlich, dass jemand die Kraft hat, sich den Verführungen zu widersetzen und ein ethisch einwandfreies Leben zu führen?

Ist es nicht die Freiheit Gottes, die einen so zu erschaffen und die anderen anders zu erschaffen? Beklagen sich dann nicht die einen zu Recht über den ungerechten Gott, der sie benachteiligt? Und sind die anderen dann nicht zu Recht Gott dankbar für das Privileg, von einigen ethischen Mängeln frei zu sein? 

Ja, die Souveränität Gottes kann uns sowohl Anlass zur Klage über den ungerechten Gott als auch Anlass zur Dankbarkeit gegenüber dem gnädigen Gott sein. 

Der erste Beter in unserem Text bedankt sich für die Gnade Gottes. Er weiß es zu schätzen, dass er sich nicht hinreißen lässt zu unrechtem Verhalten. Er bedankt sich bei Gott dafür und trägt auch vor, dass er regelmäßig seinen Dank in Form von zweimaligem Fasten pro Woche und Abgabe des Zehnten zum Ausdruck bringt. Ist das nicht alles in bester Ordnung?

Nein, ist es nicht. Aber was ist denn nun so unangenehm an der Art seines Dankes? „Ich danke dir dafür, dass ich nicht so bin wie die anderen“, was ja so viel bedeutet wie: „Ich danke dir dafür, dass du mich nicht so mangelhaft erschaffen hast wie die anderen?“ 

Zweierlei macht seinen Dank so unangenehm: Zum ersten die selbstgerechte Selbstüberschätzung, zum zweiten der Mangel an Barmherzigkeit gegenüber den anderen. 

Um beim zweiten zu beginnen. Der erste Beter ist sich zwar seines unverdienten Privilegs bewusst, sich ethisch tadellos verhalten zu können. Und er ist dankbar dafür, dass Gott ihm gnädig ist. Aber wie sieht er die anderen, die nicht Privilegierten, diejenigen, die sich in der unterschiedlichsten Weise dazu hinreißen lassen, Unrecht zu begehen? Sie sind für ihn offenbar Menschen, von denen man sich am besten fernhält. Der Predigttext formuliert das anschaulich mit den Worten: „Der eine stand für sich und betete.“ Er stand für sich. Dem anderen wollte er gar nicht so nahe kommen. Denn er hielt sich selbst für etwas Besseres. Der Predigttext formuliert das ganz drastisch: „Er maßte sich an, fromm zu sein, und verachtete die anderen.“

Nun soll er Räuber und Betrüger und Ehebrecher zwar nicht gut finden. Aber sich so selbstgerecht von den anderen als etwas Besseres abzugrenzen, hat etwas Unbarmherziges, Unmenschliches. Denn, und das ist das zweite, er übersieht dabei etwas Wichtiges: dass er zwar ein weitgehend frommer und rechtschaffener Mensch sein mag, dass er aber dennoch weit davon entfernt ist, ein Engel zu sein. 

Wie weit wir rechtschaffen oder nicht rechtschaffen sind, hängt nicht zuletzt auch von dem Maßstab ab, mit dem wir unser Verhalten messen. Bezüglich der öffentlichen Gesetze mag jemand behaupten, er habe sich nie etwas zu schulden kommen lassen. Diese Behauptung wird zwar ohnehin wohl niemand wirklich zu Recht aufstellen können. Das sei aber mal dahingestellt. Aber an dem Maßstab, den uns Jesus in der Bergpredigt vorlegt, ist definitiv kein Mensch frei von Sünde. Denn am Maßstab Jesu gemessen tötet auch der, der seinen Mitmenschen mit Worten traktiert, und begeht auch derjenige schon Ehebruch, der eine andere Frau mit begehrlichen Augen anschaut. Wir mögen dies für übertrieben halten. Was aber Jesus deutlich machen will, ist dies: dass die ethische Reinheit sehr relativ ist und es zur Selbstgerechtigkeit führt, wenn wir uns die ethische Latte so hinhängen, dass wir selbst hinüberkönnen, andere aber an ihr scheitern. 

Die unbarmherzige, selbstgerechte, überhebliche Art macht den Dank des ersten Beters so unangenehm. 

Der zweite Beter ist sich seiner sündhaften Art voll bewusst, wagt kaum nach oben zu schauen und bittet Gott demütig um Vergebung. 

Wir können nicht wirklich sagen, dass er der Bessere von den beiden ist. Denn er ist ein Betrüger. Aber er ist sich immerhin des von ihm begangenen Unrechts bewusst. Er weiß, dass er auf Vergebung angewiesen ist. Diese erbittet er: „Gott sei mir Sünder gnädig“ - und, das dürfen wir wohl unterstellen, er erbittet die Vergebung, um sich dann - erleichtert - auf den Weg der Besserung zu begeben. 

Dieses Letzte müssen wir in der Tat unterstellen, denn sonst wäre sein Gebet unredlich. Ihm könnte nicht vergeben werden, wenn er seine Reue nicht wirklich ernst meinte und er es nicht wirklich ernsthaft vorhätte, sich zu ändern. 

Wer das nur dahersagt: „Entschuldigung, Entschuldigung" oder „Tut mir leid, tut mir leid“, um sich damit lästiger Vorhaltungen und einer Bestrafung zu entziehen und dann weiterzumachen wie bisher, der verwirkt den Segen der Vergebung. Da wäre dann die eigentlich gute und sinnvolle und anerkennenswerte Bitte um Vergebung ebenso unangenehm wie der Dank des ersten Beters.

Aber der zweite Beter unseres Predigttextes meint es mit seiner Reue ernst.

Diese beiden Menschen also stehen im Tempel und beten zu Gott. Wenn nun Gott leibhaftig vor ihnen stehen würde, sie anschauen und ihre Worte hören würde, was würde er dann wohl sagen? Es wäre zu schön, wenn wir das sicher wüssten. Wir wissen es nicht. Aber wir können uns unsere Gedanken darüber machen. 

Müsste Gott den ersten Beter nicht von seinem hohen Ross herunterholen und ihm sagen: „Gut, dass du dich so anständig verhältst. Und gut, dass du deinen Anstand als Gnade zu schätzen weißt. Aber sei nicht so überheblich. Geh mal selbstkritisch in dich, prüfe dich, ob, wenn nicht dein äußeres Verhalten, so doch vielleicht dein Herz in Wirklichkeit eine Mördergrube ist. Bedanke dich nicht stolz und erhobenen Hauptes für deine Tadellosigkeit, sondern nimm die Gnade der ethischen Reinheit in Demut an. Sonne dich nicht in deinem Privileg, sondern lass es dir eine Verpflichtung sein, den anderen zu helfen, von ihrem Hang zum Unrecht wegzukommen und den Weg der Besserung zu beschreiten. Sei barmherzig mit den anderen - und schau mal, ob du von einem reuigen Sünder nicht vielleicht sogar etwas lernen kannst!“ 

Und was würde Gott dem reuigen Sünder wohl sagen? Vielleicht einfach: „Dir sind deine Sünden vergeben. Geh hin, und sündige hinfort nicht mehr!“

Jesus sagt: „Dieser, der reuige Sünder, ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener, der erste Beter.“ Und er schließt mit dem Satz, der zum Sprichwort geworden ist: "Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.“

Jesus hat dies zu den Menschen seiner Zeit und seines Volkes gesagt. Er meint damit aber auch uns. Also nehmen wir seine Worte ernst und bewegen wir sie im Herzen und lassen wir sie uns eine Mahnung und Hilfe sein, in Demut zu danken und in ernsthafter Reue täglich neu den Weg der Besserung zu beschreiten!

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 23. August 2009)

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