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2. Sonntag nach Trinitatis (30.6.19)


„Lebensmittel“ umsonst anbieten

24.  Juni 2001

2. Sonntag nach Trinitatis

Partnerschaft St. Markus Uyole, Tansania

Jesaja 55,1-3b


Da steht einer auf dem Markt und schreit, ein Marktschreierund bietet seine Produkte an - Nahrungsmittel: „Kommt her, kauft und esst!“ Er bietet laut schreiend Getränke an - Wasser, Milch und Wein: „Kommt her und kauft – kauft ohne Geld!“

„Was es umsonst gibt, wird gering geachtet“, hören wir manchmal und sagen wir manchmal und denken wir manchmal. Da ist was Wahres dran. Solche Bedenken plagen diesen Marktschreier aber offenbar nicht. 

Solche Bedenken plagen mich auch nicht, was z. B. den Gottesdienst anbetrifft. Oder sollten wir vielleicht doch Eintritt nehmen? Würden dann mehr kommen und dem Gottesdienst mehr Bedeutung beimessen?

Geld haben die Menschen offensichtlich, an die sich der Marktschreier wendet, aber sie geben es für Produkte aus, die nichts taugen: „Warum gebt ihr Geld aus für Brot, das nicht satt macht?!“

„Bei mir kriegt ihr was Gutes zu essen“, schreit der Marktschreier, „was Köstliches! Kommt her, so werdet ihr leben.“

Lebensmittel bietet der Marktschreier an. Wasser, das Grundlebensmittel überhaupt. Alles Leben ist aus dem Wasser entstanden – übrigens ohne dass einer jemals dafür bezahlt hätte. Der Schöpfer war stets unentgeltlich tätig. Das Leben ist ein Geschenk, und so wird es auch bleiben. 

Menschliches Leben entsteht weiterhin aus dem Wasser, dem Fruchtwasser im Leib der Mutter. Der Mensch besteht überhaupt vor allem aus Wasser. Und ohne Wasser können wir nicht leben, können wir nicht überleben. Wir würden verdursten, bevor wir verhungern würden. Für uns ist dies kein reales Problem. In den Dürregebieten Afrikas aber ist es ein Problem. Menschen verdursten und verhungern. In unserer Partnergemeinde Uyole und in Tansania kommt dies vielleicht nicht vor, aber in Afrika insgesamt und weltweit sind es Millionen von Menschen, die in der Folge von Wassermangel ihr Leben verlieren. 

Wasser dient dem Überleben. Den Ärmsten der Armen kann es nur geschenkt werden, wenn es denn überhaupt zur Verfügung steht. 

Milch ist ein eben solches Lebensmittel. Das neugeborene Kind wird ohne Milch nicht überleben. Wir haben davon reichlich. Wir kaufen es wie selbstverständlich an der nächsten Ecke. Wer in Uyole eine Kuh hat, der hat eine gute Einnahmequelle. Denn Milch wird gebraucht und Milch ist ein kostbares Gut. Wir als St. Markus haben unseren Partnern vor einigen Jahren eine Kuh finanziert – dem Frauenkreis, als eine Hilfe, das Gemeindeeinkommen zu steigern und den Menschen dort zu helfen.

Leben ist aber mehr als Überleben. Wenn das Leben erst einmal gesichert ist, dann suchen wir nicht mehr nur nach dem, was notwendig ist, sondern auch nach dem, was gut und schön und köstlich ist. Wein brauchen wir nicht zum Überleben. Wein ist gut für die Feier des Lebens. In Uyole ist Wein nicht erlaubt. Unsere Partner sagten uns: „Wenn erst angefangen wird, Alkohol zu trinken, dann gibt es kein Halten mehr.“ Das Alkoholverbot ist eine ganz praktische Entscheidung. In Uyole macht es offenbar Sinn, Alkohol grundsätzlich zu verbieten, und das kann auch andernorts Sinn machen. Aber Wein ist nicht unchristlich. 

Wein ist ein biblisches Symbol für die Feier des Lebens. Jesus hat Wasser in Wein verwandelt – bei einer Hochzeit. Eine Hochzeit nur mit Wasser – das wäre doch schade! 

Das Leben ist es wert, gefeiert zu werden. Wir nehmen es manchmal wie selbstverständlich hin. Oder nörgeln gar an diesem und jenem herum. Aber das Leben ist jeden Tag einer feierlichen Besinnung wert. Und gute zwischenmenschliche Beziehungen sind auch der Feier wert. Auf gute zwischenmenschliche Beziehungen können wir natürlich auch mit einem Glas Wasser anstoßen. Aber der Wein ist das Symbol der Feier. 

Leben ist mehr als Überleben. Was brauchen wir zum Leben im Sinne dieser besonderen Qualität? Manche Jugendliche können ohne ihr Handy nicht mehr leben. Natürlich können sie ohne Handy leben. Aber ohne so ein Teil in der Hand und am Ohr verliert das Leben für sie – für einige von ihnen – irgendwie erheblich an Qualität. Was ist Jugendlichen in Uyole in dieser Hinsicht wichtig? Ich weiß es nicht. Ein Handy vielleicht noch nicht. Was ist uns wichtig? Was macht für uns das Leben im Sinne eines Qualitätsbegriffs aus? Abends schön Essen gehen? Ab und zu ein gutes Buch lesen? Schöne Musik hören? Reisen können? Sich was gönnen können?

Die Leute damals im babylonischen Exil – aus der Situation stammt unser biblischer Text – die Leute damals hatten vielleicht ihre Heimat Israel im Sinn, wenn sie vom schönen Leben träumten. Aber diejenigen, die die Hoffnung schon aufgegeben hatten, jemals zurückkehren zu können in ihre Heimat, die haben vielleicht auch schon manches in der babylonischen Fremde angenommen, was ihnen eine Art Ersatzbefriedigung verschaffte, was für sie einen Ausgleich für den Verlust der Heimat darstellte und ihnen das Leben auf eine neue Weise lebenswert machte.  

Gegen diese Art der Ersatzbefriedigung polemisiert offenbar unser Bibeltext: „Warum gebt ihr Geld für Brot, das nicht satt macht?!“ Das soll so viel heißen wie: Warum lasst ihr euch auf die babylonischen Sitten und Gebräuche ein, auf das babylonische Denken und Glauben – und gebt dafür auch noch Geld aus? Habt ihr denn eure Heimat vergessen, habt ihr denn vergessen, was zuhause gilt, eure Wurzeln, euren Glauben, habt ihr euren Gott vergessen, der euch das Leben geschenkt hat, der euch aus Ägypten in die Freiheit geführt hat? 

„Warum gebt ihr Geld für Brot, das nicht satt macht?“ Wir können aus diesen Worten die Kampfsituation heraushören, in der sich die Menschen damals befanden, den Konflikt der Werte.

Was sind für uns die bedeutsamen Dinge des Lebens? Diese Frage könnten wir umformulieren in die Frage: „Wofür geben wir unser Geld aus?“ Aber auf diese Weise würden wir vielleicht doch nicht zu der Antwort kommen, die wir suchen.

Ich könnte im Sinne des Marktschreiers vielleicht sagen: „Warum gebt ihr Geld aus für Lotto und Toto? Ein Millionengewinn macht euren Seelen auch nicht satt!“

Ich werde so etwas nicht sagen. Obwohl mit dem Kauf des Lottoscheins durchaus die Sehnsucht verbunden sein kann, das Leben in einem grundsätzlichen Sinne irgendwie geregelt zu kriegen, die diversen Probleme des Lebens gelöst zu kriegen und die schönen und köstlichen Seiten des Lebens genießen zu können. 

Das Glück unseres Lebens können wir nicht kaufen. Geld kann manchmal ganz hilfreich sein. Aber die eigentlich wichtigen Dinge des Lebens sind mit Geld nicht zu erwerben, Zuneigung und Liebe zum Beispiel.

Das ist es ja, was es uns in der Kirche und in unserer Gemeinde so schwermacht, Geld zu nehmen für das, was wir in unserer Gemeinde anbieten. „Kirche muss umsonst sein“, diese Vorstellung sitzt ganz tief in uns drin. Und das hat im Wesentlichen auch seine Berechtigung. Ich sage bewusst „im Wesentlichen“. Die Liebe Gottes können wir nicht für Geld anbieten. Die können wir nur, wie der Marktschreier in Babylon, umsonst auf den Markt bringen. Wem sie darum nichts wert ist, weil sie umsonst ist, gut, der soll teuer bezahlen, wovon er meint, das würde seiner Seele besser dienen.

Die Liebe Gottes ist gratis, das muss weiter bei uns erfahrbar sein. Trotzdem müssen wir als Gemeinde zunehmend für das eine oder andere Geld nehmen. Dies einzusehen und umzusetzen, war ein Lernprozess, ein durchaus schmerzlicher Lernprozess, und ist es noch. 

Da müssen wir einfach unterscheiden lernen. In Uyole hat die Gemeinde das gleiche Problem. Sie muss, um die Gemeinde wirtschaftlich zu erhalten, Geldeinnahmen erzielen, z. B. demnächst vielleicht durch Betreiben eines Gästehauses. Die Kuh und den Milchverkauf hatte ich schon erwähnt. Es gibt aber auch immer mal ein neues Projekt. Aber Eintritt in den Gottesdienst werden sie auch in Uyole nicht nehmen. Und die Kollekte ist eine freiwillige Gabe und wird es auch bleiben. 

Die Lebensmittel, die der Marktschreier anzubieten hatte, und die anzubieten auch unsere Aufgabe als Kirche und Gemeinde ist, die Lebensmittel im übertragenen Sinne – die den Durst und den Hunger der Seele stillen –, die haben wir zu verschenken. Wir geben sie weiter als Gaben, die wir bereits als Geschenk empfangen haben. Wir geben sie umsonst weiter. Möge es nicht vergeblich sein. 

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, über Jesaja 55,1-3b am 24. Juni 2001)

wnein@hotmail.de    © Wolfgang Nein 2013