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2. Sonntag vor der Passionszeit (24.2.19)


Die erste Christin Europas

Sexagesimae

2. Sonntag vor der Passionszeit

27. Januar 2008

Apostelgeschichte 16,9-15


Es geht heute um die Kraft des Wortes. Worte können auch missverstanden werden. Darum zunächst vorbeugend eine kleine Erläuterung zu der Bezeichnung Mazedonien. Wenn dieser Name in unserer Gemeinde fällt, denken einige vielleicht an unsere Mazedonen, die kleine orthodoxe Gemeinde, die hier in unserer Kirche regelmäßig seit etwa 16 Jahren ihre Gottesdienste hält. Unsere Mazedonen sind aber nicht die Mazedonen, von denen in unserem Text die Rede ist. Da liegt nicht nur der 2000jährige Abstand dazwischen, sondern es handelt sich um eine Bevölkerung anderer Herkunft. Unsere Mazedonen aus der 1991 unabhängig gewordenen Mazedonischen Republik auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien sind überwiegend slawischer Herkunft. Die Einwanderung slawischer Stämme in das Gebiet des Balkan vollzog sich im 6.-7. Jahrhundert, also mehr als ein halbes Jahrtausend nach den Missionsreisen des Apostels Paulus, von denen wir heute eine Szene als Predigttext vor uns haben. Bei den in der Apostelgeschichte erwähnten Mazedonen handelt es sich um eine Bevölkerung, die den griechischen Stämmen zuzurechnen ist. Der Ort Philippi liegt an der nordgriechischen Küste.

Das nur in Kürze vorweg - als kleiner Hinweis darauf, dass ein einzelnes Wort - Mazedonien - schon in die Irre führen und Missverständnisse auslösen kann. Und nicht nur Missverständnisse, sondern auch heftigen Streit und auch politische - bis hin zu gewalttätigen und kriegerischen - Auseinandersetzungen. Um die Benutzung der Bezeichnung „Mazedonien“ haben sich die Griechen und die Mazedonen lange politisch gestritten. Man könnte sagen: Es geht doch nur um ein Wort! Aber ein Wort ist eben mehr als ein Wort. Hinter einem Wort steht ein Inhalt und steht eventuell eine lange Geschichte. Ein Wort kann auch mit Gefühlen verbunden sein, mit Gefühlen der Identität, der Zugehörigkeit. Ein Wort kann Besitzansprüche zum Ausdruck bringen. Ein Wort kann Erinnerungen guter und böser Art wecken und Aktivitäten auslösen, die auch von guter und böser, von konstruktiver oder zerstörerischer Art sein können. 

Es geht heute um das Wort Gottes. Der kurze Episteltext aus dem Hebräerbrief sagte dazu: „Das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert.“ Dieses Bild gilt auch für manches andere Wort. Es gibt viele Worte die wahrlich kein Spielzeug sind. Viele Worte sind mit Bedacht zu benutzen. Zu bedenken ist ihre Wirkung. Denn die Wirkung kann lebensentscheidend sein - im Positiven wie im Negativen.

Unser Predigttext liefert dafür ein Beispiel. Paulus war auf Bitten eines Mazedoniers, der ihm Traum erschienen war, mit dem Schiff nach Mazedonien gereist - in die Stadt Philippi, zu jener Zeit eine römische Kolonie. Am Sabbat geht er an einen Fluss, wo er die Gebetsstätte der kleinen jüdischen Gemeinde vermutet. Dort trifft er eine Gruppe von Frauen. Paulus setzt sich mit seinem Begleiter nieder und redet. Und dann heißt es: „Eine Frau mit Namen Lydia, eine Pupurhändlerin, hörte zu. Gott tat ihr das Herz auf, so dass sie achtgab auf das, was Paulus sagte.“ Sie hörte aufmerksam zu - und dann ließ sie sich taufen.

Für diese Frau haben die Worte des Paulus eine lebensverändernde Wirkung gehabt. Sie wurde Christin, die erste Christin Europas.

Wir können uns fragen: Wie ist es dazu gekommen? Interessant ist, dass hier eine einzelne Frau genannt wird. Es war doch eine Gruppe von Frauen, zu der Paulus geredet hatte. Aber es war diese eine, bei der die Worte des Paulus eine besondere Wirkung erzielten. Von den anderen ist nicht die Rede. Auch sie hatten wohl gehört - aber die Worte hatten in ihnen offensichtlich nichts Bemerkenswertes ausgelöst.

Über Lydia heißt es: „Gott tat ihr das Herz auf.“ 

Ja, das ist erforderlich. Denn zur Wirkung des Wortes gehört zweierlei: Das Wort selbst und der Boden, auf den es fällt, wie es im Gleichnis von der dreifachen Saat so schön bildhaft zum Ausdruck gebracht ist. Das Wort ist wie ein Samenkorn. Es kommt nicht überall zur Wirkung. Es braucht den fruchtbaren Boden.

Zum Wort gehört zweierlei - ja, eigentlich sogar dreierlei oder noch besser gesagt viererlei.

Es ist nicht immer nur das Wort selbst, das bei dem Zuhörer oder der Zuhörerin eine Wirkung auslöst. Es spielt auch noch eine Rolle, wer das Wort sagt. Es können zwei dasselbe sagen - und das Gesagte kommt doch ganz unterschiedlich an. 

Paulus war eine starke Persönlichkeit. Wenn er sprach, hatte das bestimmt eine ganz andere Wirkung, als wenn irgendjemand dasselbe  sagte. Paulus war ein Mensch mit Überzeugungen, ein Überzeugungstäter. Zunächst war er ein überzeugter gesetzestreuer Jude gewesen. Als solcher hatte er die Christen anfangs verfolgt. Dann hatte er ein Bekehrungserlebnis. Der Saulus wurde zum Paulus. Daraufhin engagierte er sich mit dem Einsatz seiner ganzen Person und seines Lebens für die Verbreitung des christlichen Glaubens über die Grenzen von Israel hinaus - auf dem Gebiet der heutigen Türkei bis hin nach Griechenland und Italien. 

Davon dürfen wir wohl ausgehen, dass Lydia von den Worten des Paulus in Verbindung mit Paulus als Persönlichkeit beeindruckt war. Er muss ihr glaubwürdig erschienen sein. 

Es kann einer z. B. viel von der Liebe Gottes zu allen Menschen reden. Wenn der Betreffende sich selbst lieblos verhält und Lieblosigkeit ausstrahlt, dann haben es die Worte um so schwerer ernst genommen zu werden.

Die Frage bleibt, warum die anderen Frauen von Paulus und seinen Worten offenbar nicht so nachhaltig beeindruckt waren wie Lydia. Das wird in unserem Text nicht erklärt. Wir erfahren auch nicht, warum Lydia sich durch Paulus zum christlichen Glauben bekehren ließ. Es heißt lediglich: „Gott öffnete ihr das Herz.“ Ansonsten erfahren wir nur das Ergebnis: Sie ließ sich taufen. Und sie lud Paulus und seinen Begleiter in ihr Haus ein.

Gott öffnete ihr das Herz. Damit ist die Unverfügbarkeit des Glaubens zum Ausdruck gebracht. Sie haben vielleicht auch schon mal jemanden sagen hören: „Ich möchte ja glauben, aber ich kann nicht.“

Es ist ein Geschenk, ein Gottesgeschenk, wenn wir glauben können, wenn wir Gottvertrauen in uns haben, wenn wir die Kraft zur Vergebung und zur Versöhnung in uns spüren, wenn wir in der Lage sind, uns trösten zu lassen, uns helfen zu lassen, uns Mut machen zu lassen. Es ist ein Geschenk, wenn wir die innere Bereitschaft zur Dankbarkeit haben, zur Zufriedenheit, zur Freude auch über Kleinigkeiten, wenn wir überhaupt Lebensfreude und Lebenswillen in uns tragen, auch wenn vieles schwierig ist. Es ist ein Geschenk, wenn wir in der Lage sind zu unterscheiden zwischen unseren Leistungen und dem, was wir dem Schöpfer verdanken, und wenn wir unterscheiden können zwischen unserer Verantwortung und dem, was wir in die Hand Gottes legen dürfen. Es ist ein Geschenk, wenn wir die Großartigkeit des Menschen in Demut betrachten können und stolz sein können in aller Bescheidenheit. Es ist ein Geschenk, wenn wir uns zu Hause fühlen können in einer fremden Welt, wenn wir fremden Menschen als geliebten Schwestern und Brüdern begegnen können.

Was hat sich in Lydia abgespielt, als sie Paulus zuhörte? Gott öffnete ihr das Herz. Was aber war es im einzelnen, das ihr das Herz öffnete? Welche Aussagen, welche Inhalte? Lydia wird sicherlich auch ihr Hirn geöffnet haben und verstandesmäßig zu überprüfen versucht haben, was  Paulus erzählte. Sie war Geschäftsfrau, Purpurhändlerin. Aber der Verstand allein wird nicht ausgereicht haben, um die Worte des Paulus in rechter Weise zu erfassen. Unser Verstand hat enge Grenzen. Das Herz nimmt mehr und anderes wahr. Manchmal sagen wir: Wir handeln dem Bauch heraus, womit wir auch meinen: Da ist noch mehr als unser Kopf. Da ist auch noch das Gefühl, eine Verstehensebene und Entscheidungsquelle anderer Art. 

Das Herz von Lydia war ein fruchtbarer Boden für die Saat des Evangeliums, die Paulus mit seinen Worten ausstreute. 

War es die spezielle Persönlichkeit von Lydia, waren es bestimmte Erfahrungen, die sie gemacht hatte, die sie so aufnahmebereit machten? 

Sie war eine gottesfürchtige Frau, heißt es in unserem Text. 

Das bedeutet: Sie war keine Jüdin, aber sie war am jüdischen Glauben interessiert. Ihr waren folglich die religiösen Hintergründe nicht unbekannt, von denen auch Paulus herkam. Da sie als Nichtjüdin aber nicht so fest eingebunden war in die jüdische Tradition, hatte sie vielleicht eine gewisse Offenheit - auch für etwas Neues. So, wie es heute viele Menschen gibt, die ein distanziert interessiertes Verhältnis zum christlichen Glauben haben - und auch mal hier schauen und mal da schauen. Diese interessierte Offenheit mag ein guter Boden gewesen sein für die Worte des Paulus. 

Und vielleicht kam noch hinzu, dass sie eine Frau war. Das waren die anderen auch. Vielleicht hat es sie aber besonders berührt, dass sie als Ansprechpartnerin in religiösen Dingen ernstgenommen wurde. Das war zu jener Zeit keineswegs selbstverständlich.

Wir wissen nicht, was es im einzeln war, das den Wunsch in Lydia auslöste sich taufen zu lassen. Wir können uns selbst auch die Frage stellen: „Warum sind wir Christen?“ Wenn es nicht nur die Vorgabe durch unsere Eltern ist, die Kindtaufe, die bloße Tradition -  und wir uns fragen: „Gibt es Gründe, aus denen wir ganz bewusst und willentlich dem christlichen Glauben zugehören wollen?, was würden wir antworten? Ist es die Friedens- und Liebesbotschaft? Der Schutz des Schwachen, die Barmherzigkeit, die Vergebung, das Ja zum Leben und zum Menschen? 

Was es bei Lydia war, wissen wir nicht. Was aber feststeht, ist dies: Sie wurde die erste Christin Europas. Der christliche Glaube in Europa hat mit ihr, mit einer Frau, seinen Anfang genommen. Ihr Haus wurde die Urzelle der ersten christlichen europäischen Gemeinde. 

Als Paulus und sein Begleiter Silas kurz darauf ins Gefängnis kamen und die beiden dann wieder entlassen wurden, fanden sie bei Lydia noch einmal Unterkunft, bevor sie schließlich weiterreisten. 

So fing es mit dem christlichen Abendland an: mit den Worten des Apostels Paulus und einer offenherzigen Frau.

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 27. Januar 2008)

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