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3. Sonntag vor der Passionszeit (9.2.20)


Himmlische Gerechtigkeit

8. Februar 2009

Septuagesimae

3. Sonntag vor der Passionszeit

Matthäus 20,1-16


Wenn Sie zwei kleinen Kindern Gummibärchen geben, dem einen Kind ein gelbes, dem anderen ein rotes, dann kann es sein, dass das erste Kind mit dem gelben von Ihnen verlangt: „Ich möchte auch ein rotes Gummibärchen!“ 

Das Verlangen nach Gerechtigkeit steckt in uns wie ein natürlicher Trieb, gespeist zum einen aus der Sorge, wir könnten zu kurz kommen, gespeist zum anderen aus dem durchaus edlen Wunsch, alle Menschen mögen zu ihrem, wie auch immer definierten Recht kommen. Zwischen diesen beiden Polen spannt sich das Thema Gerechtigkeit in seinen sehr unterschiedlichen Varianten aus. 

Wir haben als Evangelienlesung das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg gehört. Sie arbeiten unterschiedlich lange, erhalten am Abend aber alle den gleichen Lohn. Diejenigen, die mit der Arbeit am Morgen angefangen und am längsten gearbeitet haben, beschweren sich, obwohl sie doch den Lohn empfangen, den der Weinbergbesitzer ihnen zugesagt hatte: einen Silbergroschen. Sie sind gleichwohl erbost. Denn sie empfinden gleiche Bezahlung für ungleiche Leistung als ungerecht. Wir können ihre Unzufriedenheit wohl nachempfinden. 

Der Weinbergbesitzer stellt den unzufriedenen Arbeitern dann die Frage: „Ärgert ihr euch, weil ich so großzügig bin?“ Die Arbeiter müssten darauf wohl mit Ja antworten. Sie missgönnen ihren Arbeitskollegen der späteren Stunden die unverdient gute Bezahlung. 

Im realen Arbeitsleben dürfte das Vorgehen des Weinbergbesitzers wohl als problematisch angesehen werden, weil Leistung und Lohn in einem berechenbaren und durchschaubaren und verlässlichen Verhältnis zueinander stehen müssen. Wenn wir wissen, mit welchem Lohn wir rechnen können, können wir uns überlegen, ob und in welchem Umfang wir die dafür erforderliche Leistung zu erbringen bereit sind. Das Vorgehen des Weinbergbesitzers erzeugt eine Verunsicherung. „Hätten wir doch auch später angefangen zu arbeiten!“, könnten sich z. B. diejenigen sagen, die schon am frühen Morgen dabei waren.

Vom realen Arbeitsleben einmal abgesehen hat das Verfahren des Weinbergbesitzers in menschlicher Hinsicht aber auch eine sehr sympathische Seite. 

Unterstellen wir einmal, dass alle Arbeiter gern den ganzen Tag gearbeitet hätten. Nur sind einige von ihnen erst später eingestellt worden, weil der Weinbergbesitzer vorher noch nicht daran gedacht hatte, dass er sie alle noch brauchen würde. Vielleicht hatten sich diese Arbeiter auch zuerst auf einem anderen Marktplatz vergeblich um Arbeit bemüht und waren dann zum nächsten Markt weitergezogen in der Hoffnung, dort Arbeit zu finden.

Hier sind sie nun angestellt worden, aber leider erst spät, sodass sie eigentlich nur noch einen geringen Lohn hätten verdienen können. „Pech gehabt!“ könnte man sagen. „So ist das Leben nun mal – ungerecht. Die einen haben Arbeit, die anderen haben keine. Die einen haben eine volle Stelle, die anderen können nur ein paar Stunden arbeiten. Das ist die Ungerechtigkeit des Lebens!“

In dieser Situation tritt nun der Weinbergbesitzer mit seinem überraschenden Verhalten auf. Er zahlt allen gleichen Lohn – unabhängig von der Anzahl der Arbeitsstunden. Er gleicht damit, so könnten wir nun sagen, die Ungerechtigkeit des Lebens wieder aus und stellt Gerechtigkeit her. Das muss aus der Sicht derjenigen, die das Pech gehabt hatten, die Arbeit erst spät bekommen zu haben, geradezu als Geschenk des Himmels erscheinen. Und so meint Jesus es ja auch. Er erzählt diese Geschichte als Gleichnis, um etwas über das Himmelreich auszusagen.

Was den einen als himmlische Gerechtigkeit erscheint, empfinden die anderen dagegen aus ihrer sehr irdischen Sicht als ungerecht. Uns soll diese Geschichte nun zum Nachdenken anregen.

Das Leben ist in vielfacher Hinsicht ungerecht – wenn wir das Leben des einen mit dem Lebens des anderen vergleichen. Dafür kann der einzelne Mensch oftmals gar nichts. Die einen werden in eine Situation hineingeboren, in der sie von Anfang an z. B. Hunger leiden und Krankheiten schutzlos ausgeliefert sind. Die anderen wachsen in jeder Hinsicht behütet auf.

Manche Menschen, ja weltweit gesehen, sehr viele eigentlich, haben reichlich Grund, ihre Lebenssituation zu beklagen. Sie könnten sich mit ihrer Klage an den göttlichen Schöpfer wenden: „Gott, warum tust du uns das an, dass wir hungern und darben müssen?“ Die anderen könnten sich beim Schöpfer für das Privileg, rundum versorgt zu sein, bedanken – freudig und/oder auch beschämt.

In unserer kleinen Geschichte sind die Menschen mit ihren so unterschiedlichen Lebenssituationen gleichnishaft dargestellt in den Arbeitern, die zu unterschiedlichen Zeiten für die Arbeit im Weinberg eingestellt werden. Die Privilegierten sind diejenigen, die schon morgens anfangen dürfen zu arbeiten. Am schlechtesten sind diejenigen dran, denen nur noch eine Arbeitsstunde bleibt.

Nun erleben wir aber, dass den Benachteiligten ihre Benachteiligung nicht zum Verhängnis wird. Sie erhalten nicht nur ein bisschen Kleingeld, das hinten und vorne nicht gereicht hätte, um den Kindern zu Hause etwas für das Abendessen zu kaufen. Nein, sie erhalten – wie die anderen – einen Silbertaler, damit sie gut über den nächsten Tag kommen. 

Der Weinbergbesitzer ist mit den Benachteiligten barmherzig. Der Weinbergbesitzer steht in dieser Geschichte gleichnishaft für Gott. Gott ist barmherzig. Diese Botschaft will Jesus vermitteln. Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Das Himmelreich bricht an, ja es ist schon angebrochen – in ihm, Jesus, den manche als den Sohn Gottes bezeichnen. Ja, manche sagen: „Gott ist auf die Erde gekommen als Mensch. Er ist zu seinen Geschöpfen gekommen, um ihnen in ihren schwierigen Lebensverhältnissen beizustehen.“

Gott selbst ist erschienen, um seinem Geschöpf Mensch Erleichterung zu schaffen, um ihm Wege zu zeigen, mit den Ungerechtigkeiten des Lebens fertig zu werden – durch eine andere Art von Gerechtigkeit, eine himmlische Gerechtigkeit, die von Barmherzigkeit und Liebe geprägt ist. 

Was im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg auf den ersten Blick ungerecht und weltfremd erscheint, ist in der realen Welt so ungewöhnlich gar nicht. Durch die soziale Gesetzgebung in unserem Staat wird durchaus dem Tatbestand Rechnung getragen, dass manche Menschen durch die Lebensverhältnisse benachteiligt sind und einer besonderen Hilfe bedürfen. 

Es gibt in unserer Gesellschaft viele Menschen, die überhaupt nicht arbeiten und doch Geld empfangen. Im Falle unserer Gesellschaft ist der Weinbergbesitzer der Staat. Es gibt einfach nicht genug Arbeit für alle – und da sollen diejenigen nicht leer ausgehen und gar verhungern müssen, die zwar gern arbeiten würden, aber keine Arbeit finden. 

Die barmherzige Art des Weinbergbesitzers ist in die soziale Gesetzgebung unseres Staates eingeflossen. Das schafft ein bisschen – in Anführungszeichen – „Himmel auf Erden“. Manche von denen, die das Privileg haben, durch ihrer eigenen Hände Arbeit Geld verdienen zu können, bringen immer mal wieder ihre Verärgerung darüber zum Ausdruck, dass die anderen so gut davonkommen. Aber recht bedacht, können wir alle einmal in die Situation der Unterstützungsbedürftigkeit geraten.

Es ist gut und wichtig, dass es nicht nur die Art von Gerechtigkeit gibt, die in der Kopplung von Leistung und Lohn besteht. Es muss auch diese himmlische Gerechtigkeit geben, die die Ungerechtigkeiten des Lebens ein wenig ausgleicht, die von Barmherzigkeit und Liebe geprägt ist, die sich leiten lässt von dem, was dem einzelnen Menschen in seiner je besonderen Art und Lebenssituation gerecht wird. 

Das Leben stellt sich sehr unterschiedlich dar – aus der Sicht des Starken so und aus der Sicht des Schwachen anders. Was dem einen als gerecht erscheint, erweist sich für den anderen als ungerecht. 

Paulus haben wir vorhin gehört mit seinem Bild vom Wettlauf. Es können nicht alle gleich schnell laufen. Es gibt Sieger und Verlierer. Die Verlierer bedürfen der besonderen und besonders liebevollen Aufmerksamkeit.

Unsere Gesellschaft braucht zum einen die kalkulierbare Entlohnung – nicht zuletzt als Leistungsanreiz. Sie braucht aber auch den leistungsunabhängigen Lohn aus Gründen der Menschlichkeit. 

Geld ist zudem nicht alles. Es gibt Menschen, die leisten ganz viel und verzichten freiwillig auf Bezahlung. Sie erbringen Leistungen ehrenamtlich, für die andere bezahlt werden. Das ist sehr ehrenwert und des Dankes wert und auch ein kleiner, aber ganz wichtiger und wertvoller persönlicher Beitrag dafür, dass sich ein wenig Himmel auf unserer Erde entfalten kann. 

Es ist überhaupt wichtig, dass wir manche Lebensbereiche frei halten von der gegenseitigen Aufrechnung von Geben und Nehmen. In der Familie, im Freundeskreis, überhaupt überall dort, wo es um persönliche Beziehungen geht, gehört es zum Wesen der menschlichen Verbindung, dass wir uns nicht bei allem, was wir tun, fragen: „Was und wie viel bekomme ich dafür?“

Schenken von dem, was wir haben, Zeit schenken, uns selbst schenken, dem anderen geben, was ihm Recht ist, das hat etwas Himmlisches. In Jesus Christus ist ein Stück Himmel zur Erde gekommen, in seiner Barmherzigkeit und Liebe. Wir sind in seine Nachfolge gerufen. Möge die Gerechtigkeit Gottes sich ausbreiten in aller Welt. 

(Predigt in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 8. Februar 2009)

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