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Himmelfahrt (25.5.17)


Zwei Wesensarten - zwei Abschiede

5. Mai 2005

Himmelfahrt

Apostelgeschichte 1,3-4(5-7)8-11


Christi Himmelfahrt, ein kirchliches Fest - was feiern wir da eigentlich? Worum geht es da eigentlich? Welche Bedeutung hat dieses Fest?

Es ist vielleicht gut, sich Christi Himmelfahrt zunächst einmal als geradezu erforderliches Fest im Laufe des Kirchenjahres vorzustellen. Jesus war gekreuzigt und begraben worden, dann war er auferstanden, er war wieder da, und was nun? Er konnte nicht noch einmal sterben - also: Er fährt gen Himmel, kehrt auf diesem Wege zu seinem göttlichen Vater zurück.

Das Kirchenjahr bietet uns eine Folge von Festen, die uns die einzelnen Etappen des Lebens und Wirkens Jesu nachvollziehen lassen. Das beginnt mit der Adventszeit, der Ankündigung der Geburt Jesu und Vorbereitungszeit auf seine Geburt. Dann Weihnachten, das Fest seiner Geburt. Dann Epiphanias, die Taufe Jesu, dann die Passionszeit, die Leidenszeit Jesu und Vorbereitung auf seinen Tod. Dann Gründonnerstag, sein letztes Abendessen mit den Jüngern und Einsetzung des Abendmahls. Dann Karfreitag, Tag der Kreuzigung, dann Ostern, das Fest der Auferstehung Jesu.

Die Auferstehung wirft in der Tat die Frage auf: Wie geht es weiter? Denn nun ist Jesus wieder da und erscheint seinen Jüngern als Auferstandener. Das irdische Wirken Jesu hat zwei Etappen. Sterben kann er nicht noch einmal. Also: Er fährt gen Himmel.

Dies ist - aus der Sicht der Jünger, der zweite Abschied von ihrem geliebten Herrn. Der erste Abschied war ein brutal erzwungener - durch die Kreuzigung Jesu. Der zweite Abschied ist ein - wir könnten sagen - freiwilliger. Aber das wäre nicht der richtige Ausdruck. Es ist der - vielleicht könnten wir sagen: der souveräne Abschied innerhalb eines, wie wir jetzt feststellen können, göttlichen Plans.

Für die Jünger ist es ein schmerzlicher Abschied, der Abschied von einem geliebten Menschen. Die Jünger, so dürfen wir uns das wohl vorstellen, waren noch ziemlich verwirrt durch den Gang der Ereignisse. Das Wiedersehen mit Jesus als Auferstandenem hatte sie durcheinandergebracht, sodass sie hin- und herschwankten zwischen Freude und Erschrecken. Und nun, nachdem sie ihn noch einmal mehrfach erlebt hatten, ein weiterer Abschied. Das dürfte für sie etwas viel gewesen sein. Wir können uns vorstellen, wie sie gen Himmel schauten – mit offenem Mund - und nicht recht wussten, was sie nun denken sollten.

Diese gewisse Ratlosigkeit und Unbeholfenheit hat sich in etwas Handfestes verwandelt, indem der Himmelfahrtstag auch als Vatertag genutzt wird. Da weiß man, was man zu feiern hat.

Aber wir wollen jetzt bei Christi Himmelfahrt bleiben. Die biblischen Feste sagen: Vierzig Tage ist Jesus als Auferstandener erschienen.  40 - das eine symbolträchtige Zahl. Vierzig Jahre dauerte die Wüstenwanderung, als das Volk Israel aus der Knechtshaft in Ägypten ins gelobte Land zog. Vierzig Tage dauerte der Aufenthalt Jesu in der Wüste zu Beginn seines Wirkens, als er vom Teufel versucht wurde. Und nun also noch einmal am Ende seines irdischen Wirkens: vierzig Tage als Auferstandener. Auch die Wahl dieses Zeitraums macht deutlich, dass das Ganze einen planmäßigen Charakter hat. Das ganze Erscheinen Jesu schildern uns die biblischen Texte als einen göttlichen Plan. Jedes Jahr vollziehen wir im Kirchenjahr diesen göttlichen Plan nach, indem wir mit Festen die verschiedenen Stationen feiern.

Das irdische Wirken Jesu hat zwei große Etappen. Die erste endet mit der Beisetzung im Grab. Die zweite endet mit der Himmelfahrt. Diese beiden Etappen verdeutlichen die beiden Wesensseiten Jesu, seine menschliche und seine göttliche. War Jesus nur Mensch oder war er Mensch und Gott zugleich? Um diese Frage hat es im Lauf der Kirchengeschichte - im 4. Jahrhundert vor allem - heftigen Streit gegeben. Im Nizänischen Glaubensbekenntnis ist das Ergebnis des Streites formuliert: „Jesus Christus, Gott von Gott, eines Wesens mit dem Vater ... hat Fleisch angenommen und ist Mensch geworden.“

Für uns sind beide Wesensarten Jesu wichtig: seine menschliche und seine göttliche. Sie drücken sich sehr anschaulich in dem doppelten Ende seines Wirkens auf Erden aus: in seiner irdischen Bestattung nach seinem Auftreten als leibhaftiger Mensch und der Himmelfahrt nach seinem Auftreten als Auferstandener.

Diese anschauliche Darstellung der doppelten Wesensart Jesu kann uns auch die Augen öffnen über uns selbst: Haben nicht auch wir diese zweifache Wesensart: eine menschlich-leibhaftige und eine überirdisch-göttliche? Wird unser Ende nicht auch ein doppeltes sein - dass wir zum einen irdisch bestattet werden, zum anderen aber gen Himmel fahren und in die Arme unseres göttlichen Schöpfers zurückkehren?

Wir werden - nach der irdischen Bestattung - vielleicht nicht vierzig Tage lang unseren Lieben als Auferstandene erscheinen, obwohl - vielleicht in gewisser Weise doch -; jedenfalls werden wir unseren Lieben über die irdische Bestattung hinaus noch sehr gegenwärtig bleiben. Im Schmerz des Abschieds werden wir unseren Lieben immer noch so intensiv erscheinen, als wären wir noch da. Und unseren Lieben wird es noch eine Zeit lang sehr schwer fallen zu begreifen, dass wir wirklich gestorben sind. Sie werden innerlich hin- und hergerissen sein und es noch nicht fassen wollen und können. Aber dann werden sie nach einer gewissen Zeit - Schritt für Schritt - doch begreifen und akzeptieren, dass die eine Etappe zu Ende ist, die Zeit unseres leibhaftigen Daseins. Ihr Blick wird dann nicht mehr nur fixiert sein auf das irdische Grab. Sie werden auch nach oben schauen - und uns im Himmel wähnen - in einer Wolke, über den Wolken, oder auch nicht da oben, auch wenn sich der Blick dann vielleicht des Öfteren mal nach oben richtet. Sie werden, unsere Lieben, dann vielleicht die Augen schließen und uns in ihren Gedanken, in den Bildern des Herzens lebendig bleiben lassen, mit uns reden, nacherleben, was gewesen ist, uns befragen, was wir jetzt wohl sagen und tun würden, und im Herzen mit uns in Verbindung bleiben.

Wir haben eben auch diese beiden Seiten - man mag es Leib und Seele nennen. Wir waren schon da, bevor wir leibhaftig geboren wurden - in dem Wunsch vielleicht zweier Menschen, die sich ein Kind wünschten, und wir werden bleiben in den Herzen derer, die uns gerngehabt haben und weiter gernhaben über den Tod hinaus.

Aber auch da, wo diese menschlichen Liebesbeziehungen nicht da sind, bleibt es wahr, dass wir mehr sind als Fleisch und Blut. Auch wenn uns kein Mensch vorher so recht gewünscht hat und keiner hinterher mehr so recht an uns denkt, sind wir doch - und das können wir nun nur mit den Worten des Glaubens formulieren - sind und bleiben wir doch geliebte Kinder des göttlichen Schöpfers. Aus der Liebe Gottes heraus werden wir geboren. Und in die liebevoll geöffneten Arme Gottes kehren wir am Ende zurück. Das gilt für jeden Menschen. Dies ist unser Glaube und unser Menschen- und Gottesbild.

In diesem Sinne eben dürfen wir das ganze Erscheinen Jesu Christi verstehen: dass er uns über unsere menschliche und allzu menschliche Seite hinaus unsere göttliche Seite, das Heilige an uns, noch einmal ganz deutlich hat erleben lassen, unsere Gottesebenbildlichkeit: dass wir nicht nur ein Haufen Materie, Fleisch und Haut und Knochen, Wasser vor allem, sind, sondern dass wir auch diese übermaterielle Seite haben.

Im Volk Israel war Jesus als Christus, als Messias, auch zunächst nur als Wunsch vorhanden. Dann erschien Jesus als Christus leibhaftig. Dann verschied der leibhaftige Jesus. Der Christus aber blieb. Während der leibhaftige Jesus als irdischer Leichnam nicht mehr existent war, blieb der Christus als göttliche Gestalt lebendig bis auf den heutigen Tag und bewegt unsere Herzen noch hier und jetzt.

Christus ist gen Himmel gefahren, in das Reich Gottes, heim zu seinem göttlichen Vater. Der Himmel ist aber wirklich nicht da oben.  Der Himmel dort oben ist aber ein eindrückliches Sinnbild für das Göttliche - wegen der unfassbaren endlosen Weite und Ewigkeit. Für Gottes Größe und Großartigkeit erscheint der Himmel da oben als einzig passende Wohnstätte. König Salomo hatte, als er den Tempel in Jerusalem baute, in diesem Sinne Zweifel daran, dass Gott in dieses Haus Gottes hineinpassen könnte: „Sollte Gott wirklich auf Erden wohnen?“, fragt er sich selbst. „Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen - wie sollte es dann dieses Haus tun, das ich gebaut habe?“ Natürlich passt Gott da nicht hinein in den Tempel, nicht einmal ein Zipfel seines göttlichen Mantels - jedenfalls in einer Hinsicht nicht. In anderer Hinsicht aber vielleicht doch. Denn die Größe Gottes zeigt sich eben auch in jedem, auch dem allerkleinsten Detail dieser Schöpfung und auch in dem, was gar keinen Raum beansprucht, in allem Übermateriellen nämlich. In dieser Hinsicht passte Gott auch in den Tempel in Jerusalem, passt er in jede Kirche und passt er in das Herz eines jeden Menschen.

Jesus ist also - als der Christus, der Auferstandene - gen Himmel gefahren. So feiern wir heute also seine göttliche Wesensart, seine Verbindung zu Gott, dem Schöpfer, seinem Schöpfer und unser aller Schöpfer. Seine Himmelfahrt ist auch unsere Himmelfahrt. Wir dürfen uns zueignen, was er getan hat. Wir sind, wie es Paulus einmal gesagt hat, mit ihm gestorben und begraben und auferstanden. Das vollziehen wir in der Taufe nach - und kehren mit ihm in die Arme unseres göttlichen Schöpfers zurück. Er zieht uns alle nach und bewahrt uns damit auf ewig in der göttlichen Liebe. Dies ist jetzt sehr theologisch formuliert.

Aber vielleicht kann uns dies doch noch einmal die Augen öffnen für die andere Dimension unseres Daseins. Da ist mehr als das Materielle, mehr als das, was vor Augen ist. Dieses Mehr, diese andere Dimension ist sehr geheimnisvoll, aber durchdrungen von einer allumfassenden Liebe zu diesem ganzen Dasein und allen Menschen und allen Geschöpfen.

Dieser Glaube an die göttliche Seite unseres Menschseins möge uns mit Lebenskraft und Lebensfreude erfüllen und uns ein liebevolles und friedliches Miteinander schenken.

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, am 5. Mai 2005)

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