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6. Sonntag nach Trinitatis (28.7.19)


Unser Stellvertreter

6. Sonntag nach Trinitatis

26. Juli 1992

Römer 6,3-8(9-11)


Heute wäre es besonders sinnig zu taufen. Denn die Lesungen dieses Gottesdienstes und der Predigttext sind auf die Taufe bezogen. Als Evangelium haben wir den sog. Taufbefehl Jesu gehört. Der lautet - ich verkürze etwas: „Geht hin und macht zu Jüngern alle Völker: Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ 

Die Lesung der Epistel, die auch der heutige Predigttext ist, nimmt inhaltlich zur Taufe Stellung. Der Apostel Paulus macht sich hierin Gedanken darüber, was die Taufe bedeutet. Seine Gedanken sind nicht gerade einfach. Aber das soll ja nun Aufgabe der Predigt sein, mit etwas einfacheren Worten das wiederzugeben, was Paulus aussagen möchte. 

„Wißt ihr nicht“, fragt er, „dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft?“ Verstehen Sie diesen Satz? Oder den nächsten: „So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln.“ 

Taufe und Tod werden hier in Beziehung zueinander gesetzt. Und ein Vergleich mit Jesus Christus wird hergestellt. Diese beiden Aspekte möchte ich ein wenig erläutern. 

Taufe und Tod - im Zusammenhang mit der Taufe ist der Tod nicht als das leibliche Ende unseres Lebens gemeint. Der Tod ist hier im übertragenen, im symbolischen Sinne gemeint. Am einfachsten ist es vielleicht, wir erinnern uns daran, wie die ersten Christen getauft wurden: Sie stiegen in einen Fluß und wurden ganz untergetaucht. Diese Art der Taufe gibt es ja auch heute noch an manchen Orten. Gar nicht so weit von uns entfernt, in der Grindelallee, bei unserer ökumenischen Nachbargemeinde, den Baptisten, wird auch getauft durch vollständiges Untertauchen: Da ist im Gottesdienstraum hinter dem Altar eine entsprechende Vertiefung, mit Wasser gefüllt, da steigen Pastor und Täufling hinein, und der Täufling wird dreimal ganz untergetaucht. Danach müssen sich beide natürlich erst einmal abtrocknen und umziehen, und dann nehmen sie weiter am Gottesdienst teil. 

Warum erwähne ich das Taufen durch Untertauchen? Weil das Untertauchen den Tod veranschaulichen soll: Der alte Adam wird ertränkt, d. h. der sündhafte Mensch wird ertränkt, zu Tode gebracht, und ein neuer Mensch wird geboren, der Mensch nämlich, der nun im Zeichen der Vergebung lebt. 

Die Taufe wird als eine Wiedergeburt, als eine zweite Geburt bezeichnet: Der Mensch erblickt zum zweiten Mal das Licht der Welt. Beim ersten Mal war er ganz leiblich - aus dem Fruchtwasser im dunklen Mutterleib hervorgetreten und hatte das Licht des Tages erblickt. Bei der Taufe wird der Mensch aus dem Taufwasser herausgehoben und erblickt das Licht der Welt in der Gestalt Jesus Christus, der ja im Johannesevangelium gesagt hat: „Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern das Licht des Lebens haben.“ 

So ist das also zunächst einmal gemeint, wenn im Zusammenhang mit der Taufe vom Tod die Rede ist: Der Tod ist symbolisch gemeint als das Ende eines früheren Zustands. Das Alte ist vergangen, und nun beginnt etwas Neues. Der alte Zustand war geprägt durch die Sünde, der neue Zustand ist geprägt durch die Vergebung. 

Vielleicht sollte ich das zur weiteren Verdeutlichung noch mit einer zwischenmenschlichen Beziehung vergleichen: Der Zustand vorher könnte wie folgt aussehen: Sagen wir, zwei Menschen leben zusammen. Der eine tut mal etwas, was den anderen verletzt. Dann macht der andere etwas, was seinem Partner wehtut. Im Verlauf des Miteinanders kommt das dann immer wieder vor, dass mal der eine, mal der andere an dem anderen schuldig wird. Jeder von beiden merkt sich das innerlich, macht sich sozusagen im Inneren Notizen über die Vergehen des anderen. Und - das kann man sich dann fast ausrechnen, eines Tages, wenn das Maß voll ist und das Fass zum Überlaufen kommt, gibt es Krach und die Beziehung ist am Ende. 

Das wäre also dem Zustand vorher, dem Zustand vor der Taufe, zu vergleichen, der eben so aussieht: Die Sünde, die Schuld häuft sich Schritt für Schritt an - bis zu einer nicht mehr tragbaren Last. Der Mensch wird an ihr zerbrechen samt seinen mitmenschlichen Beziehungen. 

Das Nachher im Sinne der Taufe könnte, um es noch einmal im Bild der zwischenmenschlichen Beziehung zu sagen - folgendermaßen aussehen: Die beiden leben zusammen; immer mal wieder tut der eine etwas, was er dem anderen lieber nicht hätte antun sollen. Aber immer wieder verzeiht einer dem anderen, so, wie es sich die beiden schon von Anfang an vorgenommen hatten. So leben die beiden glücklich miteinander bis zum Ende ihrer Tage, obwohl sie aneinander vielleicht ähnlich oft schuldig geworden sind wie das zuvor genannte Paar. Nur haben sie es nicht zu einer Anhäufung der Schuld kommen lassen, sondern haben immer gleich wieder die Last abgetragen, unter der die Beziehung zueinander andernfalls hätte zerbrechen können. 

So also ist auch das Nachher im Sinne der Taufe zu verstehen: Der Getaufte lebt im Zeichen der Vergebung. Das Vorher, die Anhäufung der Schuld, ist der Weg in den menschlichen Tod. Das Nachher, die Vergebung, ist die Eröffnung neuen Lebens, der lebenslange tägliche Neubeginn, das lebenslange täglich neue Geschenk des Lebens. So also können wir den Zusammenhang zwischen Taufe und Tod verstehen. 

Nun stellt Paulus noch den Zusammenhang her zwischen der Taufe und Jesus Christus. Das Untertauchen bei der Taufe stellt er in Beziehung zum Kreuzestod Jesu. Und das Herausheben aus dem Wasser setzt er in Beziehung zur Auferstehung Jesu. In der Taufe ist das Sterben und Auferstehen Jesu nachgebildet. Es findet hier noch einmal statt, individuell zugunsten des Täuflings. 

Was Paulus sagen will, ist dies: Sterben und Auferstehen Jesu waren ein stellvertretendes Geschehen zu unseren Gunsten. Wer sich taufen läßt, nimmt durch die Taufe dieses stellvertretende Geschehen für seine Person an. 

Ich möchte dieses Element der Stellvertretung auch mit einem Bild zu verdeutlichen versuchen. Gestern Abend sind die olympischen Spiele eröffnet worden. Die Sportler der verschiedenen Länder wollen wieder um die Medaillen kämpfen. Zu Hause oder auch vor Ort sind die Zuschauer dabei und sehen sich das an. Was geschieht zum Beispiel bei den deutschen Zuschauern, bei uns, sofern wir sportbegeistert sind? Wir wünschen uns möglichst viele Medaillen für unsere eigenen Sportler. Im Tiefsten unserer Seele kann es sogar folgendermaßen aussehen: Wenn die deutschen Sportler siegen, haben wir das Gefühl, wir, im Fernsehsessel, siegen mit. Und wenn die deutschen Sportler verlieren, haben wir das Gefühl, wir ganz persönlich haben auch mitverloren. 

Das jedenfalls gibt es, gerade beim Sport: Wir identifizieren uns mit dem anderen; der Sportler ist wie unser Stellvertreter, er handelt für uns, zu unseren Gunsten oder Ungunsten: Sein Sieg ist unser Sieg, seine Niederlage ist unsere Niederlage. 

Ich selbst habe mich jedenfalls schon oft genug ertappt, dass ich mich zum Beispiel geärgert habe, dass gerade unsere Mannschaft am Tor vorbeigeschossen hat, wobei ich mir im selben Augenblick eingestehen musste, dass ich selbst schon arg aus der Puste wäre, wenn ich im Dauerlauf nur einmal um das Sportfeld laufen sollte. Von unserem Stellvertreter allerdings, dem Sportler, erwarten wir, dass er das schafft, wozu wir selbst nicht in der Lage sind. 

Wir können dies als ein Bild nehmen, das uns etwas über die Taufe aussagt. Das Sterben und Auferstehen Jesu Christi war ein stellvertretendes Geschehen zu unseren Gunsten. Jesus Christus hat in seiner Person den Sieg errungen über die Sünde. Er hat das geschafft, wozu wir selbst nicht in der Lage sind. Er hat ein Leben in Liebe zum Menschen geführt und hat dies durchgehalten bis zum bitteren Ende. So, wie der Sportler auf das Siegerpodest steigt, so ist Jesus Christus eingegangen in die Herrlichkeit Gottes. 

Seinen Sieg über die Sünde und seinen Lohn dürfen wir uns zueignen als den Unsrigen. Beim Sport ist das letztlich allerdings doch anders. Wenn wir bei Verstand sind, werden wir uns eingestehen müssen, dass wir einer Illusion erlegen waren. Der Sportler hatte nicht für uns, sondern für seinen eigenen Ruhm gekämpft und für das Geld, das er verdienen kann. Er kennt uns auch gar nicht, und wir sind ihm in Wirklichkeit egal. 

Das stellvertretende Handeln Jesu ist aber für uns gemeint, für uns ganz persönlich, für jeden Einzelnen von uns. 

Wenn wir uns taufen lassen, dann lassen wir eine Handlung an uns geschehen, die uns den Sieg und den Lohn Jesu persönlich zueignet. Durch die Taufe sind wir mit Christus gestorben und auferstanden. 

Die Kraft der Taufe liegt, wenn sie in diesem Sinne verstanden und ernst genommen wird, darin, dass wir uns mit unseren Schwächen nicht alleingelassen wissen. Wir sehen zwar unsere Schwächen und können sie auch eingestehen, aber wir brauchen uns dennoch nicht als Verlierer zu fühlen. Wir befinden uns auf der Seite des Siegers; von ihm her erlangen wir unsere Würde, unsere Ehre, unseren Lohn. 

Dies alles sind jetzt sehr viele Bilder gewesen. Bilder der Bibel und Bilder unseres Lebens. Von Gott und von dem, was er an uns getan hat und tut, können wir nur in Bildern reden. Worum es letztlich geht, ist, kurz gesagt, dies: Es geht um unser Menschsein, es geht um unsere Existenz als fehlerhafte, schuldhafte Wesen, die zum Leben angewiesen sind auf Annahme, auf Vergebung, auf Trost, auf Liebe. Durch Christus wird uns das Ja Gottes zuteil. In der Taufe wird es uns persönlich zugesprochen. 

Die Taufe ist das Geschenk eines neuen Lebens an uns. Sie ist eine Gabe und dann auch eine Aufgabe, unser Leben im Sinne dieser Gabe zu führen. 

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 26. Juli 1992)

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