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Himmelfahrt (6.5.18)


Wohin nach der Auferstehung?

25. Mai 2006

Himmelfahrt

Lukas 24,50-52


Als ich einmal mit einer Gruppe von Pastoren durch Israel reiste, gelangten wir auch an den Ölberg in Jerusalem. Dort wurde uns der Fußabdruck Jesu gezeigt, sein letzter, bevor er gen Himmel fuhr.

Wir sind uns wohl einig darin, dass es sich dabei nicht um einen echten Fußabdruck Jesu handelt. Es gibt zwar Fußabdrücke von Dinosauriern. Die sind auch nach Millionen von Jahren noch nachweisbar. Aber der angebliche Fußabdruck Jesu dient vermutlich eher dazu, Touristen anzulocken. Vielleicht soll auch einfach nur ein biblisches Thema veranschaulicht werden, um die andächtige Besinnung ein wenig zu erleichtern.

Wir haben heute den Himmelfahrtstag. 40 Tage nach Ostern feiern wir die Himmelfahrt Jesu. 40 Tage vor Ostern begann die Fastenzeit, die Hinführung auf das Fest der Auferstehung. Die Zahl 40 spielt in der Bibel immer wieder eine Rolle. 40 Jahre zum Beispiel dauerte die Wanderung des Volkes Israel durch die Wüste. 40 Tage verbrachte Jesus in der Wüste, bevor er mit seinem Wirken begann. Die Zahl 40 bezeichnet einen Zeitraum der Wende, der Buße und Besinnung.

In der kirchlichen Kunst ist die Himmelfahrt Jesu in unzähligen Varianten anschaulich dargestellt worden. An manchen Orten soll am Himmelfahrtstag eine Christusfigur im Gottesdienst hochgezogen worden sein. Das Bedürfnis nach Anschaulichkeit ist da. Mit der Wirklichkeit hat das aber wenig zu tun.

Der Evangelist Matthäus berichtet gar nicht von einer Himmelfahrt Jesu. Auch in den ältesten Abschriften des Markusevangeliums ist nichts von einer Himmelfahrt Jesu zu lesen. Im Johannesevangelium auch nicht. Nur der Evangelist Lukas lässt sich bei diesem Thema recht anschaulich aus, wie er das bei der Geburt Jesu auch schon gemacht hat. Von Lukas haben wir die bekannte Weihnachtsgeschichte.

Das Bedürfnis nach Anschaulichkeit ist ein sehr menschliches Bedürfnis. Es stellt sich für uns auch die Frage: Wie ist es nach der Auferstehung Jesu weitergegangen? Nach seinem leibhaftigen Leben ist Jesus gekreuzigt und ins Grab gelegt worden. Nachdem er dann als Auferstandener umhergegangen war - wie sah danach sein Ende aus? Noch einmal sterben konnte er nicht. Gar nichts über das Ende zu sagen, wäre unbefriedigend. Bei Matthäus gibt Jesus auf dem Berg als Letztes seinen Jüngern den Auftrag zur Taufe: „Geht hin in alle Welt, ...“ Und als er ausgeredet hat, ist Schluss. Das Evangelium ist zu Ende. Da fragt man sich schon: Und dann - wo ist er dann geblieben? Da kommt bei Matthäus aber nichts mehr.

Lukas lässt uns diesbezüglich nicht hängen. Er berichtet von einer Himmelfahrt Jesu - in seinem Evangelium und anschließend auch in seiner Apostelgeschichte. An das Markusevangelium ist in späteren Abschriften ein Himmelfahrtsbericht hinzufügt worden.

Die Frage „Wie kommt das Wirken Jesu als Auferstandener zum Abschluss?“, wird also so beantwortet: „Nach seinem Wirken als Auferstandener ist Jesus gen Himmel gefahren.“

Diese Antwort hat im Rahmen der biblischen Schilderungen eine gewisse Logik. Denn die neutestamentlichen Texte schildern uns Jesus als einen Menschen, der mehr ist als ein Mensch. Sie schildern ihn uns als einen Menschen, der von Gott kommt, als Sohn Gottes, der hier auf Erden seinen göttlichen Auftrag erfüllt. Da macht es dann Sinn, dass er am Ende zu Gott zurückkehrt. Als Reich Gottes wird uns der Himmel genannt, die unendliche Weite des Himmels; denn nur sie erscheint geeignet, die Größe Gottes zu fassen.

Wenn wir von Gott reden, können wir nur in Bildern reden. Auch wenn wir vom göttlichen Wirken Jesu reden, müssen wir Bilder zur Hilfe nehmen.

Wenn wir von Gott reden, reden wir vom unerklärlichen Grund unseres Daseins. Und wenn wir von Jesus Christus reden, dann reden wir über die Frage, wie wir in diesem unergründbaren Dasein sinnvoll leben können.

Es ist ein Reden mit vielen Unbekannten. Es fehlen uns letztlich die Worte. Aber die biblischen Texte haben es doch geschafft, eine schöne und wichtige Botschaft zu formulieren, die uns noch nach 2000 Jahren bewegt und uns hilft, unser Leben in Würde zu gestalten.

Manch einer hat Probleme mit der biblischen Redeweise. Gerade ein solcher Bericht wie der von der Himmelfahrt Jesu mag dem einen oder anderen sehr sonderbar erscheinen. Aber es handelt sich beim biblischen Reden eben um bildhaftes Reden. Erst wenn man darauf verzichtet, die bildhafte Sprache wörtlich zu nehmen, und sich stattdessen fragt: „Was steckt dahinter? Was soll eigentlich ausgesagt werden?“, stoßen wir auf das Eigentliche. Und dieses Eigentliche ist ein ganz wunderbarer Schatz an Erfahrungen und Gedanken und Gefühlen, die alle mit dem Geheimnis unseres Daseins zu tun haben und mit der Frage, wie wir dieses geheimnisvolle, unergründliche Dasein bestehen können.

Das Leben ist ja nicht ganz einfach. Und wir haben uns das Leben nicht ausgesucht. Aber wir sind nun mal da und wollen auch gern und bewusst und in einer Weise leben, dass wir selbst von Herzen Ja zum Leben sagen können und es uns und unseren Mitmenschen gut dabei geht.

Für die Menschen zur Zeit Jesu war das Leben wahrlich auch nicht leicht. Sie gehörten einem Volk an, das schon damals seit Jahrhunderten um seine Existenz gekämpft hatte und das sich immer wieder mit den Grundfragen des Daseins hatte auseinandersetzen müssen. Die Menschen hatten bittere Erfahrungen hinter sich, aber auch Erfahrungen der Bewahrung und Errettung. Sie hatten ein Konzept für ihr Leben als Volk in Form eines Glaubens an einen Gott, der sich gerade sie zu seinem Volk auserwählt hatte, einen Glauben, zu dem ganz wesentlich ein detailliert ausgeführtes System von rechtlichen Regelungen gehörte. Und sie hatten eine Hoffnung, die Hoffnung, dass sie als Volk und als Einzelne eines Tages endlich zur Ruhe kommen würden. Es war die Hoffnung auf einen Gott-König, einen König mit gottgleichen Fähigkeiten, einen König aller Könige. Für manche war das damals eine mehr politische Hoffnung.

Dann aber kam Jesus von Nazareth. In ihm erkannten einige Menschen damals einen König und Retter ganz anderer Art, einen König der Herzen, einen, der nicht die Welt veränderte, sondern der etwas anders machte hier im Inneren des Menschen - und der auf diesem Umweg dann durch Menschen das eine und andere in dieser Welt zum Guten verändert hat.

Die Jünger Jesu waren diesem Wundermann aus Nazareth, diesem besonderen, sonderbaren und wunderbaren Mann aus Nazareth gefolgt - durch die Dörfer Galiläas und dann nach Jerusalem hinein. Sie hatten diesen Mann aus Nazareth bewundert, oftmals nicht verstanden, waren immer wieder erstaunt gewesen über seine außergewöhnlichen Taten, über seinen unkonventionellen Umgang mit Menschen, den Randständigen der Gesellschaft insbesondere. Sein souveräner Umgang mit den Vorschriften der Religion hatte sie erschreckt. Und vollkommen verunsichert und niedergeschlagen waren sie, als derjenige, auf den sie so große Hoffnungen gesetzt hatten, gefangen genommen, ins Gefängnis geworfen, verurteilt und am Kreuz hingerichtet wurde.

Ihr Schrecken vergrößerte sich um eine weitere Dimension, als es hieß, er wäre auferstanden.

Und dann kommt es zum letzten Abschied. Eine letzte Begegnung, hoch oben auf dem Berg, dann entschwindet er vor ihren Augen. Und während sie, wie Lukas es schildert, noch gen Himmel schauen, hören sie eine Stimme, die ihnen sagt: „Was schaut ihr gen Himmel? Er wird wiederkommen.“

Er wird wiederkommen. Aber vorerst ist er nicht mehr da. Und sie als Jünger sind allein - mit ihren Erfahrungen, mit seinen Worten, mit all dem, was sie erstaunt und was sie noch gar nicht verarbeitet und noch gar nicht so recht verstanden haben.

Sie sind nun auf sich selbst zurückgeworfen. Sie stehen nun vor einer großen Aufgabe. Sie stehen vor der Aufgabe, selbstständig zu werden, mit eigenen Worten zu formulieren und weiterzugeben und in eigene Lebenspraxis umzusetzen, was sie erlebt haben, was er ihnen gesagt hat, was er gemeint hat.

Diese Aufgabe muss ihnen im Augenblick des Abschieds noch viel zu groß und unlösbar erschienen sein. Aber er hatte ihnen ja Hilfe versprochen. Sie soll ihnen in kürze zuteilwerden, am Tag der Pfingsten. Sie werden ausgestattet werden mit einer inneren Kraft, dem Heiligen Geist. Der wird sie stark machen. Aber die Aufgabe wird bleiben: mit eigenem Verstand und Herz zu verarbeiten, was sie gehört und erlebt hatten, und zu mündigen Nachfolgern jenes Jesus von Nazareth zu werden, der für sie zum Christus geworden war, zum König ihrer Herzen.

Auch wir stehen vor dieser Aufgabe: mündige Christen zu sein. Wir können nicht, wie die ganz kleinen Kinder, einfach nur tun, was uns gesagt wird, und einfach nur nachsprechen, was uns vorgesprochen wird. Auch in Glaubensdingen müssen wir uns selbst Gedanken machen und unsere eigenen Überlegungen und Empfindungen in eigene Worte zu fassen und in eigene Lebenspraxis umzusetzen versuchen.

Die Jünger Jesu konnten damals auf ihre eigenen leibhaftigen Erfahrungen mit Jesus zurückgreifen. Wir haben die Überlieferung in Form der biblischen Texte, das, was andere vor uns an Erfahrungen und Gedanken aufgeschrieben haben.

Wir werden in der eigenständigen Erarbeitung unseres Glaubens zu Ergebnissen kommen, die in manchem gleich oder doch ähnlich, in manchem aber auch unterschiedlich sind. Manches an Fragen wird bleiben, und manche Fragen werden sich im Laufe unseres Lebens auf immer wieder neue Weise beantworten. Die eine und einzige Wahrheit wird niemand zu erkennen vermögen. Sie bleibt in demjenigen verborgen, der der unergründliche Urgrund des Seins ist und der uns in menschlicher Gestalt nahegekommen ist.

Jesus ist gen Himmel gefahren und hat uns mit seiner Person und seinem ganzen Wirken den Himmel aufgeschlossen. Wir haben ein wenig Einblick erhalten, ein wenig Inspiration und ein wenig Kraft mitzuhelfen, dass mehr Himmlisches auf Erden erfahrbar wird.

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, am 25. Mai 2006)

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