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Pfingstmontag (21.5.18)


Geist und Kirche

5. Juni 2006

Pfingstmontag

Epheser 4,11-15


Auf die Frage: „Was feiern wir Pfingsten?“, können wir formelhaft zwei Antworten geben: „1. Pfingsten ist das Fest der Ausgießung des Heiligen Geistes und 2. Pfingsten ist das Gründungsfest der Kirche.“

Der Geist und die Kirche - das sind die beiden grundlegenden Themen von Pfingsten. Böse Zungen haben gesagt: „Jesus Christus hat uns den Geist gegeben und die Christen haben die Kirche daraus gemacht.“ Womit gesagt werden soll: Mit der Gründung der Kirche ist der Geist auf der Strecke geblieben.

Ich möchte dieser kritischen Bewertung dessen, was nach Pfingsten geschehen ist, nicht zustimmen. Aber es lohnt sich, über dieses spannungsgeladene Verhältnis von Geist und Kirche einmal nachzudenken.

Der Geist - damit ist die innere Kraft des Glaubens an Jesus Christus gemeint. Als Jesus nach seiner Himmelfahrt nicht mehr da war, mussten sich die Jünger selbst Gedanken darüber machen, wer denn dieser Jesus war, dem sie eine Zeit lang durch Galiläa und nach Jerusalem hinein gefolgt waren. „An wen und was glauben wir denn eigentlich?“, mussten sie sich nun fragen. Solange er noch bei ihnen gewesen war, hatten sie ihn einfach fasziniert beobachten können. Sie hatten zu der Zeit schon vieles nicht verstanden von dem, was er gesagt und getan hatte. Sie hatten ihn zur Zeit seiner leibhaftigen Gegenwart immerhin noch direkt befragen können. „Wer bist du? Bist du der Messias?“ Aber seine Antworten waren ihnen schon damals geheimnisvoll geblieben. Die Evangelienlesung vorhin hat uns davon einen Eindruck gegeben.

Dann war er gekreuzigt worden - ein erschreckendes und verwirrendes Geschehen für die Jünger, und dann war er als Auferstandener erschienen. Das war für sie vollkommen unbegreiflich gewesen. Den Auferstandenen hatten sie aus lauter Scheu schon gar nicht mehr so richtig befragen mögen.

Und dann hatte er ihnen zu Himmelfahrt bei seinem Abschied einen Auftrag gegeben: „Geht hin in alle Welt, lehrt die Menschen, was ich euch geboten habe, und tauft sie.“

Ja, was hatte er sie denn eigentlich gelehrt? Was hatte er gemeint? Darüber mussten sie sich nun selbst Gedanken machen. Wir können uns wohl leicht vorstellen, dass sehr unterschiedliche Interpretationen dabei herauskamen. „Dies hat Jesus gemeint, nein, das hat er gemeint ...“ Wenn wir die vier Evangelien lesen, die Briefe des Apostels Paulus und all die anderen Schriften des Neuen Testaments, dann können wir diesen Texten entnehmen, wie unterschiedlich Jesus schon damals, gleich in der ersten Phase des Christentums, ausgelegt worden war.

Als diese schriftlichen Zeugnisse vorlagen, haben sich die Christen der nächsten Jahrhunderte auf dieser Grundlage weiter darüber Gedanken gemacht, wer und was denn dieser Jesus gewesen war und was er für ihre konkrete Lebensgestaltung bedeuten könnte. Die Schriften des Neuen Testaments ließen keine eindeutigen Schlussfolgerungen zu. Außerdem las (und liest) jeder einzelne Christ die Schriften mit eigenem Vorverständnis und in einem eigenen Lebenskontext. So blieben auch im weiteren Verlauf der Kirchengeschichte - bis auf den heutigen Tag - die Interpretationen dessen, was „Glaube an Christus“ bedeutet, sehr unterschiedlich.

Die Christen der ersten Jahrhunderte haben sich sehr intensiv darum bemüht, in der Interpretation desjenigen, an den sie glaubten, eine einheitliche Linie zu finden. Das war ein konfliktreicher und schmerzlicher Prozess. Das Apostolische Glaubensbekenntnis, das wir noch heute in jedem Gottesdienst sprechen, ist der Versuch, kurz und knapp den Inhalt des Glaubens zusammenzufassen. Diese knappen formelhaften Formulierungen lassen aber auch viel Raum für Auslegungen.

So stehen auch wir heute noch vor der Aufgabe, uns selbst erarbeiten zu müssen, wer Jesus Christus war, was er uns zu sagen hat, welche Konsequenzen wir für unser Leben aus dem zu ziehen haben, was er gesagt und getan hat.

Wer darf darüber bestimmen, was die reine Lehre ist? Gibt es die eine Wahrheit? Die einen sagen mit einem Wort von Paulus: „Der Geist weht, wo er will.“ Damit wollen sie sagen: „Jeder Mensch kann irgendwo auf der Welt Eingebungen haben, die sagen, was Gott will und was er uns durch Jesus Christus zu sagen hat.“

Andere sagen: „Es muss bestimmte Autoritäten geben, denen es vorbehalten bleibt, den rechten Glauben zu definieren.“

In der katholischen Kirche hat sich das Papsttum herausgebildet als höchste Lehrautorität bis hin zum Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes. Dieser Anspruch ist natürlich von vielen nicht anerkannt worden.

Es ist überhaupt schon frühzeitig unter Christen zu Auseinandersetzungen und Spaltungen gekommen, und die Frage hatte sich schon frühzeitig gestellt: „Wie können wir zu einer Einheit im Glauben finden?“ Das ist auch ein Anliegen des Epheserbriefes, dem unser heutiger Predigttext entnommen ist. Er ist von dem Wunsch erfüllt, dass wir alle hingelangen zur „Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes“. Es ging damals konkret um das Miteinander von Judenchristen und Heidenchristen.

Wenige Sätze zuvor heißt es im Epheserbrief: „Seid darauf bedacht zu wahren die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens: ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung, ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller.“ Auch aus der Epistellesung haben wir gehört, wie wichtig dem Apostel Paulus das Thema Einheit - bei aller Unterschiedlichkeit der einzelnen Menschen und Begabungen - war.

Das Bemühen um Einheit ist wichtig, es darf aber gern eine Einheit in der Vielfalt sein. Es muss, auch im Glauben, nicht alles auf eine Linie gezwungen werden. Aber es ist doch gut, wenn in der Vielfalt erkennbar bleibt, dass es eine Einheit gibt.

Wenn wir den heutigen Stand bedenken - worin besteht die Einheit? Es gibt das Christentum, es gibt die Kirche. Das sind Begriffe, die etwas zusammenfassen, was in sich sehr vielfältig ist, was aber eben doch etwas Gemeinsames hat.

Das Gemeinsame ist der Rückbezug auf die Heilige Schrift, die Bibel, auch wenn es da kleine Unterschiede in der Zusammensetzung und dem Umfang der einzelnen Schriften gibt. Das Gemeinsame besteht im Rückbezug auf Jesus Christus, auch wenn er im Einzelnen unterschiedlich ausgelegt wird. Das Gemeinsame sind die Taufe, das Abendmahl und manches mehr.

Es gibt ein Empfinden für etwas Verbindendes unter allen Christen weltweit und es gibt sichtbare Zeichen der Verbindung: Es gibt Kirchengebäude, auch wenn sie im Einzelnen noch so unterschiedlich aussehen mögen. Es gibt die Institution Kirche, auch wenn sie in viele Konfessionen gespalten und im Einzelnen noch so unterschiedlich organisiert sein mag. Es gibt Gottesdienste, auch wenn sie noch so unterschiedlich gefeiert werden. Und es gibt eine inzwischen 2000jährige gemeinsame Geschichte, auch wenn die Wege der einzelnen Christen und Gruppierungen teilweise so weit auseinandergelaufen sind.

Es hätte ja auch alles ganz anders kommen können. Die Jünger hätten, nachdem ihr Herr und Meister nach Himmelfahrt nicht mehr da war, auch enttäuscht auseinander- und zurück an die Tagesarbeit gehen können. Oder sie hätten sich in den Diskussionen über das, was sie gehört und erlebt hatten, so sehr zerstreiten können, dass sie dann nichts mehr miteinander hätten zu tun haben wollen. Sie hätten die Aufgabe, Jesu Werk fortzusetzen, auch einfach als zu schwierig und zu gefährlich empfinden und darum die Finger davon lassen können. So ist es aber nicht gekommen - zum Glück. Wir können dafür nur sehr dankbar sein.

Die Jünger haben sich organisiert in ersten Gemeinden und haben Ämter verteilt: Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer nennt Paulus in seinem Brief an die Epheser. Sie haben ihre Unterschiedlichkeiten untereinander ausgetragen innerhalb von Gemeinden und in der Verbindung von Gemeinden. Daraus ist Schritt für Schritt die Kirche, die weltweite Kirche gewachsen. In ihr sind weiterhin die Unterschiede auch in Glaubensdingen sehr groß. Aber es ist die christliche Kirche. Dieses Band der Kirche - auch der Kirche als Institution - ist ein unaufgebbarer Rahmen für die Ausbildung und Weiterbildung und Bewahrung des Glaubens. Sie ist das Gefäß für den Geist. Beides gehört zusammen wie Leib und Seele des Menschen. Man kann nicht ohne Schaden das eine vom anderen wegreißen. Beides bedarf der Pflege.

Natürlich besteht eine Spannung zwischen beidem: zwischen dem Geist und der Kirche - so, wie ja auch eine Spannung in uns als Menschen besteht zwischen unserem Leib und dem Geistigen in uns. Wir merken mit Kopf und Herz ja auch, dass wir nicht so sind, wie wir sein sollten und wie wir uns gern hätten. Und wir wissen eigentlich auch gar nicht so genau, wie wir sein sollten und wie wir sein wollen. Aber wir bemühen uns beständig um eine Einheit von Körper und Geist und Leib und Seele. Wir sind beständig auf der Suche nach einer Identität.

So können wir das auch mit der Kirche als Leib Christ, als Gemeinschaft der Christen und als Institution sehen im Verhältnis zum Geist, der von Christus ausgegangen und auf die Jünger übergegangen ist und der noch heute kraftvoll unter uns lebendig ist.

Auch wenn an manchen Orten - wie in Hamburg - die eine oder andere Kirche geschlossen wird: Die Kirche schlechthin wird nicht schließen können. Die Kraft des Geistes hat sich in den zurückliegenden 2000 Jahren als sehr mächtig erwiesen. Es ist die Macht der Liebe, der Liebe Gottes zum Menschen. Sie ist unzerstörbar. Sie hat vor 2000 Jahren zwar Gestalt angenommen in einem zerstörbaren Menschen aus Fleisch und Blut. Aber mit der Zerstörung der leiblichen Hülle konnte die Botschaft nicht zunichtegemacht werden. Die Liebe ist stärker als der Tod. Sie ist immer wieder auferstanden und hat in immer wieder neuer leibhaftiger Gestalt in lebendigen Menschen, in kleinen und großen Gemeinschaften, in Institutionen und in Gebäuden neues Leben erblühen lassen.

Für beides können wir dankbar sein: Für den Geist und für die Kirche.

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 5. Juni 2006)

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