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Pfingstsonntag (20.5.18)


Der Mensch: Tierisch, geistig, geistlich

4. Juni 2006

Pfingstsonntag

1. Korinther 2,12-16


Am Freitagvormittag war ich beim Frisör. Als ich bezahlt hatte, sagte die Frisöse: „Dann noch ein schönes Pfingstfest, auch wenn wir nicht wissen, was wir da eigentlich feiern!“

Für einen Moment durchzuckte es mich, ob ich die missionarische Gelegenheit nutzen sollte. Aber dann dachte ich mir einfach mein Teil. „Komm doch Sonntag in die Kirche“, dachte ich mir, „vielleicht hilft das.“

Was hätte ich auch so schnell sagen sollen? Als dann am Freitagnachmittag der Fensterputzer auch noch damit anfing - auch beim Rausgehen, als ich ihm ein frohes Pfingstfest wünschte, und er sagte: „Was man Pfingsten feiert, habe ich eigentlich nie begriffen“, da hatte ich - infolge der Begegnung am Vormittag - immerhin eine Kurzformel zur Hand: „Merken Sie sich einfach“, sagte ich ihm, „Pfingsten ist das Gründungsfest der Kirche.“ – „Ist das historisch oder steht das nur in der Bibel?“, fragte er noch. „Historisch ist das wenigste“, sagte ich. Dann ging er davon. „Immerhin ist Pfingsten ein Thema“, dachte ich mir.

Ich wollte diese Predigt gar nicht so anfangen. Die hatte ich am Freitagmorgen vor dem Gang zum Frisör schon mehr oder weniger fertig. Ich hatte mich darin von dem biblischen Predigttext für den heutigen Pfingstsonntag leiten lassen wollen. Der hat natürlich mit dem Pfingstthema zu tun, mit dem Geist nämlich, aber doch auf eine eher komplizierte Weise. Die Frisöse ist nun heute morgen nicht hier, der Fensterputzer auch nicht. Ich halte Ihnen die Predigt nun also so, wie ich mir das vorgenommen hatte.

Der Predigttext steht im 1. Brief des Apostels Paulus an die Korinther im 2. Kapitel in den Versen 12-16. Worum geht es da?

Der Geist der Welt und der Geist aus Gott, der natürliche Mensch und der geistliche Mensch - Paulus redet hier in Gegenüberstellungen: zweierlei Mensch, zweierlei Geist.

Betrachten wir zunächst einmal den Menschen: Der natürliche Mensch, das ist das Tier im Menschen. Verzeihen Sie, wenn ich das so sage. Damit möchte ich weder etwas Schlechtes über die Tiere noch über die Menschen sagen.

Tiere haben keinen Geist. Sie sind Leib und in ihrem ganzen Verhalten vom Leib gesteuert, von den Bedürfnissen des Leibes und von ihrem Instinkt.

Wenn Sie sagen: Doch, es gibt auch Tiere mit wenigstens ein bisschen Geist, dann würden wir diese Tiere schon ein wenig in Richtung Mensch einordnen. Denn der Geist, eine Begabung, die es erlaubt, sich über das rein Leibliche zu erheben, ist das besondere Merkmal des Menschseins.

Der Mensch hat beides: das Naturhafte, das ist das Tier im Menschen, und die geistige Seite, das Bewusstsein, die Fähigkeit, über sich nachzudenken und die Triebe des Leibes zu steuern. Das ist das, was speziell das Menschsein ausmacht.

Es gab mal eine Zeit, da war der Mensch nur Tier. Irgendwann, Schritt für Schritt, ist sich der Mensch seiner selbst und der Welt bewusst geworden. Das war vielleicht ein erhebendes Gefühl. Vielleicht war es aber auch schrecklich.

Mit dem Bewusstsein sind ja auch die Fragen gekommen: Wer bin ich? Wo bin ich? Was ist das hier alles um mich herum? Und was muss ich jetzt tun?

Das muss wie ein erstmaliges Aufwachen aus einem tausendjährigen Schlaf gewesen sein - mit dem Zwang, sich nun selbst entscheiden zu müssen, für dies und das und jenes. Der Zwang, sich entscheiden zu müssen, ist positiv betrachtet die Freiheit, sich entscheiden zu können. Aber sich entscheiden zu können, bedeutet zugleich, sich entscheiden zu müssen. Und das wirft die Frage auf, nach welchen Gesichtspunkten wir uns entscheiden sollen. In dieser Hinsicht ist die Situation für den Menschen im Laufe der Menschheitsentwicklung immer komplizierter und belastender geworden. Mit dem Fortschritt von Wissenschaft und Technik hat sich die Entscheidungsfreiheit des Menschen geradezu explosionsartig erweitert. Damit ist aber auch die innere Belastung ins geradezu Unermessliche gestiegen. Heute kann der Mensch z. B. darüber entscheiden, ob er ganze Länder und Bevölkerungen durch Atombomben vernichten oder durch Viren verseuchen will. Er kann und muss z. B. auch darüber entscheiden, ob und in welchem Maße er in die menschliche Erbmasse eingreifen oder z. B. Pflanzen genetisch verändern will.

Solche Entscheidungsmöglichkeiten mögen einerseits als höchst interessante Herausforderungen erscheinen. Sie haben aber auch eine sehr belastende Seite. Denn sie bürden dem Menschen eine Verantwortung auf, die ihn eigentlich weit überfordert.

Als der Mensch anfing, über sich und das Leben und dieses ganze Dasein nachzudenken, stand er auch vor der Frage, ob er das Schöpfungswerk aus eigenem Willen fortsetzen möchte oder nicht, d. h. ob er Kinder in diese Welt setzen möchte oder nicht. Der natürliche Trieb, Kinder zu wollen, ist zwar ziemlich mächtig geblieben. Aber wenn sich Mann und Frau gemeinsam darüber Gedanken machen: „Wollen wir ein Kind oder lieber nicht“, dann kann das schon eine hochkomplizierte Frage sein. Zum Glück standen wir alle nicht selbst vor der Frage, ob wir geboren werden wollen. Diese Möglichkeit - über das eigene Geborenwerden zu entscheiden - hat kein Mensch. Nach welchen Gesichtspunkten hätten wir eine solche Frage entscheiden sollen?

Diese Frage kommt für uns in gewisser Weise erst im Nachherein, wenn wir schon da sind und ein gewisses Alter erreicht haben, in dem wir anfangen, über uns selbst und die Welt nachzudenken. Dann sind wir zwar schon da, aber wir müssen dann doch ein inneres Verhältnis zu unserem Dasein entwickeln - und dann am besten zu einem Ja zu uns selbst und zum Leben gelangen.

Der Mensch hat es als Tier also eigentlich leichter gehabt. Da haben ihn die leiblichen Triebe und der Instinkt gelenkt. Aber kraft des Bewusstseins muss der Mensch nun selbst Entscheidungen fällen, wobei er seine tierhafte Seite aber nicht ganz hat hinter sich lassen können. Die Triebhaftigkeit ist geblieben. Aber das Bewusstsein mit der eigenen Entscheidungsmöglichkeit ist auch da. Und so hat der Mensch zwei Seiten in sich, die sich in ständiger Auseinandersetzung befinden, die den Menschen hin und her reißen.

Paulus spricht vom natürlichen Menschen und vom geistlichen Menschen. Was ist der Unterschied zwischen geistig und geistlich? Die geistige Kraft des Menschen erlaubt ihm das analytische Denken, Fragen zu lösen wie z. B: „Wie kann ich Feuer machen?“ Oder auch: „Wie schaffe ich es, zum Mond zu fliegen?“ Das Geistliche meint speziell die religiöse Seite des Menschen, die ihm erlaubt, grundsätzliche, existentielle Fragen zu stellen, z. B. nach dem Sinn des Lebens, nach einer letzten Wahrheit oder nach den Werten, nach denen wir unser Leben gestalten könnten oder sollten, oder danach z. B., wie wir mit dem Leid zurechtkommen können.

Diese Art der Fragen hat etwas sehr Bedrängendes und Bedrückendes, weil es keine definitiven Antworten gibt. Wir tappen im Dunkeln, müssen uns aber doch entscheiden.

Als Jesus in Israel auftrat, verbanden Menschen mit ihm die Hoffnung, dass er ihnen letztgültige Antworten und Handlungsanweisungen geben könnte. Von ihm ging eine bewegende Kraft aus, aber sein Wirken war von kurzer Dauer.

Dann standen seine Anhänger, seine Jünger, plötzlich allein da und mussten nun mit dem Bruchstückhaften, das er ihnen hinterlassen hatte, etwas anzufangen versuchen.

Die Pfingstgeschichte schildert in Form eines Wunders, wie die Jünger mit der Begabung ausgestattet wurden, das Werk Jesu fortzusetzen. Unsereins hat zur Universität gehen und studieren müssen, um in die Lage versetzt zu werden, Menschen zu helfen, mit den Grundfragen des Lebens, den geistlichen Fragen, den religiösen Fragen des Lebens zurechtzukommen. Lukas, der Autor der Pfingstgeschichte, überliefert uns eine Wundererzählung. Das beschriebene Ereignis ist wirklich nicht historisch. Es bringt aber sehr anschaulich zum Ausdruck, dass es ein wahres Wunder ist, dass sich der christliche Glaube - ausgehend von einfachen Menschen - in Israel ausgebreitet hat und über die Grenzen von Israel hinaus in alle Welt. Heute gibt es Christen in der ganzen Welt. Das ist doch ein wahres Wunder! Um das zum Ausdruck zu bringen, ist eine Wundergeschichte doch eine akzeptable Form.

Die Jünger Jesu sind zu Pfingsten also mit der Fähigkeit ausgestattet worden, sich im Geiste Jesu zu den Grundfragen des Lebens anderen Menschen gegenüber zu äußern. Im Geiste Jesu, das heißt z. B. hinsichtlich des Problems der Krankheit: Nehmt die Krankheit von Menschen als Herausforderung an, euch den Kranken in liebevoller Hilfsbereitschaft zuzuwenden - und überlasst sie nicht ihrem Schicksal in der Einstellung, sie hätten selbst schuld an ihrer Krankheit. Krankheit sei eine Strafe Gottes. Das war damals eine weit verbreitete Anschauung.

„Im Geiste Jesu“ heißt: Nutze deine Stärken, den Schwachen zu dienen.

„Im Geiste Jesu“ heißt z. B. auch: Religiöse Vorschriften haben keinen Selbstzweck. Wenn ein Mensch am Sabbat, dem Ruhetag Hilfe braucht, dann helft ihm, auch wenn damit das Ruhegebot gebrochen wird. Denn das Gesetz ist um des Menschen willen da und nicht der Mensch um des Gesetzes willen.

„Geist Jesu“ heißt auch z. B.: Wenn dir jemand etwas Böses antut, dann räche dich nicht, sondern vergelte das Böse mit Gutem. Bemühe dich um Versöhnung, sei gut auch zu deinen Feinden. Und sei nicht selbstgerecht. Jeder Mensch ist auf Vergebung angewiesen, du auch. Also sei allezeit zur Vergebung bereit.

Das alles ist im Geiste Jesu. Und der unterscheidet sich deutlich vom, wie Paulus sagt, Geist der Welt, der sich eher in Sätzen ausdrückt wie diesen: „Jeder ist sich selbst der Nächste“ oder „Wie du mir, so ich dir“ oder oder „Hast du was, bist du was“.

Nach dem Schrecken der Kreuzigung und dem Erschrecken über die Auferstehung wurden die Jünger erfüllt von einer Begeisterung für die Sache Jesu und haben weitererzählt, was sie von ihm gehört und mit ihm erlebt hatten. Das wurde der Beginn der Kirche. Das feiern wir mit großer Dankbarkeit zu Pfingsten. Das ist wirklich ein Grund zum Feiern. Denn die Kirche ist - auch als Institution – eine, von manchen Schwachpunkten abgesehen, ganz wichtige und wunderbare Einrichtung.

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 4. Juni 2006)

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