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12. Sonntag nach Trinitatis (8.9.19)


Heilung und Glaube

30. August 2009 

12. Sonntag nach Trinitatis

Markus 7,31-37


Der heutige Predigttext ist thematisch sehr vielschichtig.  Jesus heilt einen Taubstummen. Wenn wir diesen Text im Zusammenhang mit der Epistellesung von der Wandlung des Saulus zum Paulus betrachten, dann können wir daraus vielleicht ablesen, in welche Richtung wir den heutigen Predigttext besprechen sollen. Saulus war zunächst ein strenggläubiger Jude und wird nun ein überzeugter Anhänger Jesu, also Christ. Von daher können wir sagen: „Es geht heute um den Glauben, um die Veränderung des Glaubens - und zwar durch ein einschneidendes Erlebnis.“ Paulus fiel es wie Schuppen von den Augen. Er wurde wieder sehend und ließ sich taufen. 

Paulus war auf dem Weg nach Damaskus gewesen, wo er Anhänger Jesu hatte gefangen nehmen wollen. Unterwegs war er blind geworden durch ein grelles Licht vom Himmel. Dabei hatte er die Stimme Jesu gehört. Dann, in Damaskus, hatte er im Verlaufe einer sehr freundlichen und geradezu liebevollen Begegnung mit dem Jünger Jesu, Hananias, sein Augenlicht wiedererlangt.

Paulus war also kurzzeitig erblindet und dann wieder sehend geworden. Seine Geschichte macht deutlich, dass wir seine Blindheit nicht im leiblichen Sinne verstehen sollen. Denn eigentlich konnte er ja sehen. Dass er auf dem Weg nach Damaskus durch ein Licht vom Himmel blind geworden war, will uns zeichenhaft deutlich machen: Er war blind gewesen für den neuen Glauben. Und nun, in Damaskus, erkennt er an der freundlichen Art von Hananias: Jesus und seine Anhänger sind gar nicht so schlecht und so schlimm, sondern vielmehr von ganz wunderbarer Art.

In unserem Predigttext aus dem Markusevangelium geht es nun nicht um einen Blinden, sondern um einen Taubstummen. Er kann durch die Begegnung mit Jesus plötzlich hören und reden. Das ist auch für ihn im wahrsten Sinne des Wortes „wunder“bar. Und dieses Wunderbare verbindet sich bei ihm auch ausdrücklich mit der Person Jesu. Der geheilte Taubstumme ist überaus verwundert und beglückt. Auch seine Freunde wundern sich über die Maßen über die plötzliche Heilung. Die Frage ist nun: Hat sich auch bei ihnen in der Folge der Heilung ein Wandel im Glauben vollzogen?

Diese Frage nach dem Glauben ist es wohl, die wir heute Morgen bedenken sollen. Und dabei möchte ich die Krankheit, bzw. die Behinderung des Taubstummen ganz ernst nehmen, nicht nur als ein Zeichen wie im Falle von Saulus-Paulus.

Krankheit und Glaube. Der Taubstumme - wie oft wird er mit seinem Schicksal gehadert haben? Wie oft wird er sich gefragt haben: „Womit habe ich das verdient?“ Wie oft werden sich auch seine Eltern diese Frage gestellt haben und seine Freunde? Und sind nicht Krankheit und Behinderung tatsächlich oft ein Grund für tiefe Zweifel an der Gerechtigkeit Gottes? Wenn Gott allmächtig ist, wie kann er das zulassen? Der Taubstumme war mit seiner Behinderung vermutlich schon geboren worden. Seine Schuld kann es doch nicht gewesen sein, nicht hören und reden zu können! Was sollte er dann aber davon halten, wenn er in der Schrift las - sehen konnte er ja -, wenn er in der Schrift las von Gott, dem Allmächtigen? Musste er sich nicht ungerecht gestraft fühlen? An was konnte er dann überhaupt glauben? An ein gemeines Schicksal?

Nun bringen ihn Freunde zu Jesus. Der heilt ihn auf sehr sonderbare Weise. Die sonderbare Methode der Heilung lassen wir jetzt mal außen vor. Jesus heilt den Taubstummen. Wir können uns die Dramatik dieser Situation wohl vorstellen. Wir können uns wohl auch vorstellen, dass diese unerwartete Heilung auch etwas in den Herzen - im Glauben - des Geheilten und seiner Freunde ausgelöst hat. Wenn sie bis hierher vielleicht mit dem ungerechten Gott gehadert hatten, was sollten sie nun denken und glauben, wo nun gerade eben etwas geradezu unglaublich Schönes geschehen war? 

Heilung kann das Gottes- und Lebensbild eines Menschen komplett verändern. Heilung kann dazu führen, dass sich Menschen dem christlichen Glauben zuwenden. Ich habe das selbst hier einmal in St. Markus erlebt, als mich eine muslimische Familie bat, ihren Angehörigen hier vor dem Altar zu segnen. „Wenn er gesund wird, werden wir Christen“, sagten sie. Die Familie nahm dann nach langer Zeit an einem Gottesdienst in unserer Kirche teil und teilte mir mit: Der Angehörige war tatsächlich gesund geworden. 

Es hat im Verlaufe der Geschichte immer wieder Beispiele dafür gegeben, dass Menschen sagten: „Wenn ich gesund werde, dann ...“ - bis hin zu dem Versprechen: „Dann werde ich eine Kirche bauen.“ 

Die christliche Mission hat u. a. gerade in dieser Weise gearbeitet: Missionare bauten Krankenhäuser, um Menschen zu heilen und sie auf diesem Weg dazu zu bewegen, sich dem christlichen Glauben zuzuwenden. Wie kann das gehen?

Ist es so, dass dem christlichen Glauben in der Folge der Heilung Wunderkraft zugetraut wird? Das kann z. T. so sein. Es wird aber wohl auch so sein, dass es die barmherzige, liebevolle Zuwendung ist, die überzeugt, die Erfahrung, mit dem eigenen Schicksal nicht alleingelassen zu sein. 

Wenn sich irgendwo im Urwald Menschen der Kranken annehmen, die sich - vielleicht verbittert - mit ihrem Schicksal schon abgefunden hatten, und diese nun erleben, dass sich Menschen um sie kümmern, dass da Menschen sind, die sie nicht aufgeben, sie nicht als hoffnungslose Fälle ignorieren, dann kann das das bisherige Welt- und Gottesbild schon drastisch in einem positiven Sinne verändern.

Was wird nun der geheilte Taubstumme gedacht und geglaubt haben? Sein Bild von Gott, dem Allmächtigen - und aus seiner Sicht vielleicht Ungerechten - wird nun ergänzt durch eine neue Erfahrung. Ist Gott nicht auch der Barmherzige, einer, der sich des Leids der Menschen annimmt, der körperlichen und der seelischen Nöte? 

Ja, auch das ist Gott. Aber - wenn er allmächtig ist, warum verhindert er dann nicht von vornherein Not und Elend und Krankheit und Behinderung?

Diese Frage werden wir stehen lassen müssen. Was immer wir über Gott sagen, kann nur unvollkommen sein. Unser Denken und Reden bleibt Stückwerk. Aus der Beobachtung heraus, dass der Kosmos mit der Erde und der Natur etwas so unglaublich gewaltig Großes und Großartiges ist, drängt sich der Glaube an einen allmächtigen Schöpfer geradezu auf. Dass Gott zugleich einer sein soll, der mitleidet mit seiner leidenden Kreatur Mensch, das ist ein ganz anderes Gottesbild, und das will mit der Vorstellung von einem allmächtigen Gott nicht so recht zusammenpassen. 

„Gott ist die Liebe“, sagt Johannes an einer Stelle. Die Liebe und die Allmacht - diese beiden stehen in erheblicher Spannung zueinander. Die zarte Regung des Herzens und die gewaltige kosmische Macht - dass Gott beides sein soll, das ist so schwer zusammenzukriegen wie die Endlosigkeit und Begrenztheit des Raumes und die Ewigkeit und Begrenztheit der Zeit und die Wellen- und Quantengestalt des Lichts. 

Unser kleiner menschlicher Verstand vermag nicht alles auf einen Nenner zu bringen. Gott bleibt Gott und Mensch bleibt Mensch. 

Der Taubstumme hat durch seine Heilung eine neue Lebenserfahrung gemacht. Ihm stellt sich das Leben noch einmal ganz neu dar. Alles, was er bisher gedacht und empfunden hat, bedarf nun einer Überprüfung. Zu welchen Schlüssen er dabei kommt, steht hier nicht so direkt im Text. Von ihm und seinen Freunden heißt es hier nur: „Sie wunderten sich über die Maßen und erzählten das Erlebte weiter, obwohl sie es nicht weitererzählen sollten.“ 

Wir wissen aber, was uns das Neue Testament sagen will: Gott, der Allmächtige, ist in Jesus Christus in menschlicher Gestalt zu uns gekommen, um mit uns über die Höhen und durch die Tiefen des Lebens zu gehen.

Christus will uns freimachen von der niederdrückenden Vorstellung, dass, wer krank ist und Not leidet, von Gott gestraft und verlassen ist. Wir können das Schöne und das Schwere, Freud und Leid, das Gute und das Böse nicht alles in einem stimmigem Gottesbild zusammenfügen. Gott, der Urgrund allen Seins, bleibt für uns ein unergründliches Geheimnis. 

In unserem Glauben jedoch verbinden wir beides: Wir beten zu Gott, dem Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde. Und wir beten zu Gott, der die Liebe ist.

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 30. August 2009)

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