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Reminiszere (25.2.18)


Das schwer erziehbare Geschöpf Mensch

25. Februar 2018

Reminiszere

(2. Sonntag in der Passionszeit)

Jesaja 5,1-7


Wenn der Sänger des Weinbergliedes uns heute hier im Gottesdienst sein Lied vortragen und uns nach unserem Urteil fragen würde: Was würden wir ihm antworten? Was würden wir dazu sagen, dass sein Freund mit Fleiß und Mühe seinen Weinberg hergerichtet hat und auf eine gute Ernte hofft – und dann ist die Ernte aber eine schlechte? Was würden wir zu dieser enttäuschenden Erfahrung sagen?

Wir könnten sagen: "So ist das Leben." So kann es jedem Weinbauern und überhaupt jedem Landwirt ergehen. Ob die Ernte gut wird oder schlecht, liegt nur zu einem Teil in seiner Hand. Es kann sich einer noch so viel Mühe geben, der Erfolg bleibt unverfügbar. Denn da sind immer noch etliche Umstände, über die er nicht verfügen kann, das unberechenbare Wetter zu allererst.

Darum feiern wir doch das Erntedankfest: um für das Gelingen zu danken, dafür, dass die eigenen Bemühungen zum Erfolg geführt haben – wenn sich das Unverfügbare zum Guten gefügt hat.

Und wenn nicht? Wenn den eigenen Bemühungen nicht der Erfolg beschieden ist, was dann? Wenn uns dann zum Klagen zumute ist, wen werden wir anklagen, bei wem werden wir uns beschweren, wen werden wir zur Rechenschaft ziehen? Der Landwirt wird gelernt haben, sich in Demut und Bescheidenheit zu üben und die Hoffnung nicht aufzugeben. Der Bauer wird auf die nächste Ernte hoffen, dass sie dann besser werden möge. 

Die biblische Wissenschaft meint nun herausgefunden zu haben, dass das Weinberglied ursprünglich gar nicht die Landwirtschaft meint, sondern vielmehr bildhaft von einer Liebesbeziehung handelt. Der Weinberg ist die Frau. Es ginge somit in diesem Lied um eine enttäuschte Liebe: Der Freund hat alles Mögliche in diese Liebesbeziehung investiert. Aber seine Freundin hat sich dann doch nicht so verhalten, wie er es sich gewünscht hatte und worauf er hingearbeitet hatte. 

Ist nicht auch das eine Erfahrung, die zu den ganz normalen des Lebens gehört? In einer Liebesbeziehung können wir über den anderen nicht verfügen. Da können wir uns noch so viel Mühe geben, was wir auch tun sollten, wenn es uns ernst ist. Aber wir könnten noch so viele wertvolle Geschenke machen, wir könnten noch so viel Zeit investieren, könnten noch so zuvorkommend, höflich, freundlich, hilfsbereit, geduldig und liebevoll sein, ob der andere das alles mit entsprechenden Liebesbezeugungen honoriert, das haben wir nicht in der Hand. Es könnte am Ende vergebene Liebesmüh gewesen sein. 

Es wäre völlig unangemessen, dann mit harten Konsequenzen zu reagieren. Wir könnten traurig sein, ja, wir könnten enttäuscht sein und wir könnten uns zurückziehen. Aber wir müssten uns letztlich in den schmerzhaften Tatbestand fügen, dass unsere Liebe nicht im gewünschten Sinne erwidert wird. 

Diese Erfahrung können wir ebenso in der Kindererziehung machen. Eltern können die Kinder noch so liebevoll erziehen und noch so viel in die Kinder investieren - das Ergebnis kann dann trotzdem ganz anders sein als erhofft und erwünscht. Meine Frau hat das auf die Formel gebracht: „Input ist nicht output.“ Und das gilt entsprechend auch für Bemühungen der Lehrkräfte gegenüber ihren Schülern.

Und noch grundsätzlicher gesprochen: Das gilt für das ganze Leben überhaupt: Wir können das Leben nicht nach unseren Vorstellungen in den Griff bekommen. Wir können das Unsre tun und sollen das Unsre tun. Wir sollen unser Bestes geben, damit wir unseren Beitrag für ein bestmögliches Ergebnis geleistet haben. Aber das Ergebnis selbst liegt letztlich nicht in unserer Hand. Wir sind nicht die letztlichen Bestimmer des Lebens. 

Der letztliche Bestimmer ist - weltlich gesprochen – das Schicksal, die Natur, Glück oder Pech. In der theologischen Sprache haben wir dafür vier Buchstaben, die das Unverfügbare persönlich formulieren: Gott, der Schöpfer und Herr und Lenker allen Geschehens. Ab einem bestimmten Punkt können wir – theologisch gesprochen – nur noch die Hände falten und das Ergebnis in die Hand Gottes legen. 

Die Vorstellung von der eigenen Machbarkeit, dass also zum Beispiel das Tun des Guten von Gott, vom Schicksal, vom Leben durch Wohlergehen belohnt und Fehlverhalten durch Schlechtergehen bestraft würde, ist allerdings schon in den biblischen Texten als untauglich ad acta gelegt worden. Wir können den Erfolg und das Glück und das Wohlergehen nicht machen, nicht erzwingen, nicht gewährleisten. Wir können stets nur das uns Menschenmögliche tun. Wir sind und bleiben als Menschen Geschöpfe und haben in unseren Möglichkeiten unsere unüberschreitbaren menschlichen Begrenzungen. 

Nun stellt sich aber im weiteren Verlauf unseres Predigttextes heraus, dass das Weinberglied weder die Landwirtschaft meint noch eine zwischenmenschliche Beziehung. Es meint die Beziehung zwischen Gott und dem Volk Israel. Der Weinberg ist das Volk Israel.

Diese Beziehung beschreiben uns die biblischen Texte zwar auch immer wieder wie eine Liebesbeziehung – eine Beziehung allerdings zwischen einem starken und einem schwachen Partner, zwischen dem Schöpfer und seinem Geschöpf.

Trotz dieses fundamentalen Unterschiedes beschreiben uns die biblischen, und wir können präziser sagen; die alttestamentlichen – Texte die Beziehung zwischen Gott und dem Volk Israel als eine Beziehung des Gebens und Nehmens auf Gegenseitigkeit, als eine quasi Vertragsbeziehung. Die Bibel spricht nicht von einem Vertrag, sondern von einem Bund, in dem die beiderseitigen Aufgaben, Versprechungen, Verpflichtungen, Verheißungen geregelt sind. 

Gott gibt seinem Volk dies und das und jenes. Entsprechend soll sich das Volk als dankbar erweisen und mit einem gottgemäßen und gottwohlgefälligen Leben antworten. 

Gott hat nun also - mit den Worten des Liedes - viel in seinen Weinberg, das Volk Israel, investiert. Das Volk hat aber nicht die entsprechenden Früchte gebracht, hat sich nicht gottwohlgefällig verhalten.  

Diese enttäuschende Erfahrung hat der Schöpfer mit seinem Geschöpf Mensch von Anfang an gemacht. So beschreiben es die biblischen Texte.

Bei der Erschaffung des Menschen lässt der biblische Text den Schöpfer noch zufrieden feststellen: "Und siehe, es war sehr gut.“ Aber bald ist das Resümé ein ganz anderes. "Der Mensch ist von grundauf böse", lesen wir dann. In einer Sintflut, so der biblische Text, lässt der Schöpfer die erste Version seines Geschöpfes komplett untergehen – bis auf eine Familie, mit der er es dann noch einmal versucht. 

Eine Besserung auf Seiten des Geschöpfes ist aber auch im späteren Verlauf nicht festzustellen. Das Weinberglied liefert dafür ein erneutes Beispiel.

Die Frage ist nun: Wie umgehen mit dem quasi unverbesserlichen Geschöpf Mensch? Der Sänger des Weinbergliedes stellt diese Frage bezogen auf das Volk Israel: Wie umgehen mit dem Volk Israel, das "mal wieder" nicht die Früchte bringt, die der Schöpfer erwartet hatte?

Eine Antwort soll schon ausgeschlossen sein: Mit dem Regenbogen im Anschluss an die Sintflut hatte, so der biblische Text, der Schöpfer zugesagt, den Menschen nicht noch einmal komplett zunichte zu machen.  

Hinter diese Zusage scheint der Sänger des Weinbergliedes zurückzufallen. Denn er droht nun Kosequenzen an, die praktisch einer vollständigen Vernichtung gleichkommen. 

„Ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er kahl gefressen werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde. Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen.“

Diese Drohung sollen sich die Zuhörer des Liedes, die ja Angehörige des ungehorsamen Volkes Israel sind, nun zu Herzen nehmen. Es ist eine sehr heftige Drohung, wir dürfen und müssen wohl sagen: eine zu heftige Drohung. 

Das ist überhaupt das Problem der Erziehung: das richtige Maß zu finden, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen, um das gewünschte Ergebnis möglichst doch noch zu erzielen. Eine freundliche Mahnung erscheint manchmal wie in den Wind gesprochen. Manche meinen, ein Klaps auf den Hintern könnte gelegentlich ganz hilfreich sein. In der internationalen Politik gehen manche so weit zu sagen, dass es einer atomaren Abschreckung bedürfe, um Menschen zur Raison zu bringen. 

Die Frage: "Wie umgehen mit dem so schwer erziehbaren Geschöpf Mensch?", ist eine sehr schwierige Frage, eine Frage, die sich auch der Schöpfer gestellt hat. So dürfen wir die biblischen Texte lesen.

Das Neue Testament vermittelt uns eine gute und erlösende Botschaft, die allerdings missverstanden und missbraucht werden kann oder auch gar nicht verstanden wird.

Der Schöpfer hat sich darauf eingestellt, dass er sein Geschöpf Mensch mit seinem Sosein und diesem Dasein offenbar überfordert hat. Er hat sich deshalb zu endloser Geduld und zur Barm-herzigkeit entschlossen. Er geht davon aus, dass die Früchte, die der Mensch erbringt, d. h. das, was der Mensch aus der Gabe des Lebens macht, dass das immer und immer wieder mangelhaft sein wird.

Er will aber nicht mehr die untauglichen Opfer zu seiner Besänftigung. Er will dem Menschen sagen: "Gib dein Bestes. Wenn du scheiterst, sollst du wissen: Du hast immer wieder die Chance zur Umkehr. Nutze sie! Bring mir keine Opfer. Nutze statt dessen stets die Chance zur Umkehr."

Um diese Botschaft unter die Menschen zu bringen und in die Herzen der Menschen hineinzutragen, bedient sich der Schöpfer einer dramatischen Dramaturgie. Im Leben eines leibhaftigen Menschen lässt er seine Botschaft anschaulich werden. Im gewaltsamen Tod dieses Menschen vermittelt er die Botschaft: Dies ist das letzte Opfer. "Ihr braucht mir künftig keine Opfer mehr zu bringen." Und er erfüllt die Herzen einiger Menschen mit der Gewissheit: Diese Botschaft ist die Antwort auf unsere Frage: "Was tun mit dem unverbesserlichen Geschöpf Mensch?" Die Antwort lautet: "Der Schöpfer selbst wird in Barmherzigkeit und Liebe immer mithelfen, die Schwächen und Fehler und Verfehlungen des von ihm so unvollkommen geschaffenen Geschöpfes Mensch so auszubügeln, dass es gut weitergeht." 

Diese Botschaft ist eigentlich geradezu unglaublich, wenn wir bedenken, was der Mensch im Laufe der Geschichte alles an Schrecklichem angestellt hat – eben auch schon vor Beginn unserer christlichen Zeitrechnung: Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten aller Art. Es ist erstaunlich und fast nicht nachvollziehbar, dass sich ein so liebevolles Menschenbild und die Bereitschaft zu einem so liebevollen Umgang mit dem Menschen hat entwickeln können. 

Das ist wirklich sehr erstaunlich. Wir können nur dankbar dafür sein, dass sich vor zweitausend Jahren um diese Gestalt Jesus von Nazareth herum diese Art entwickelt hat – und dass diese Botschaft bis in unsere Tage weitergegeben worden ist. 

Diese geradezu unglaubliche Botschaft kann wie eine Erlösung sein für alle, die an der Welt und dem Menschen zu verzweifeln drohen. Diese Botschaft ist es wert, dass wir sie uns zu Herzen und als Leitbild für unser Leben nehmen und dass wir sie weitergeben und sie erhalten für die künftigen Generationen.

(Predigt in der Christopheruskirche, Berlin-Friedrichshagen, am 25. Februar 2018)

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