Vom guten Ziel her denken
28. Februar 1999
Reminiszere
(2. Sonntag in der Passionszeit)
Matthäus 12,38-42
Wir befinden uns, kirchenjahreszeitlich betrachtet, in der Passionszeit, in der Zeit also, in der wir den Leidensweg Jesu bedenken. Das Leben Jesu endet in einer schrecklichen Katastrophe: Er wird am Kreuz hingerichtet. Allerdings ist das noch nicht das Ende der Geschichte Jesu. Es geht dann noch weiter. Es kommt noch Ostern, die Auferstehung, was so viel heißt wie: „Der Tod ist nicht das Letzte. Das Leben siegt über den Tod. Die Liebe ist stärker als der Tod.“ Das ist gut zu wissen.
Es ist überhaupt gut zu wissen - für unser Leben ganz allgemein - im Angesicht manch schwieriger und schmerzhafter Ereignisse, dass es noch etwas Größeres gibt als den Schmerz, dass es eine Überwindung der Krise gibt. Es ist gut und kann sehr hilfreich sein, in Zeiten der Not weiterzublicken - über die Not hinaus, hindurchzuschauen durch die Krise auf das, was danach an Lösungen kommen könnte -, und von dem Zustand danach her zu denken und zu handeln. Das kann uns helfen, so manche Krise mit etwas mehr Gelassenheit zu nehmen und sie mit mehr Kraft und Zuversicht zu durchschreiten.
Wir starren statt dessen manchmal wie gebannt auf unsere Probleme, auf unsere Nöte, auf die Schrecklichkeiten dieser Welt und denken und handeln von daher. Das ist gar nicht gut. Wenn mir jemand etwas Gemeines gesagt hat z. B. und ich mein Denken und Handeln nun von dieser Gemeinheit her bestimmt sein lasse, dann kann auch von mir nichts Gutes mehr kommen, und mir selbst kann es dabei auch nicht gut gehen.
Anders ist es, wenn ich mir vorstelle, dass der Betreffende doch auch seine guten Seiten hat, dass ihm seine Gemeinheit vielleicht demnächst selbst leidtun wird und dass ihm vielleicht doch wieder an einer Bereinigung unseres Verhältnisses gelegen sein wird. Dann denke und handele ich doch lieber gleich von dieser möglichen künftigen Versöhnung her und versuche schon jetzt meinerseits, die Möglichkeit zur Versöhnung offen zu halten und alles zu vermeiden, was die Lage jetzt noch verschärfen könnte.
Die Dinge des Lebens so zu sehen, ist wirklich eine Grundsatzfrage, eine Frage der grundsätzlichen Einstellung, eine Frage des Glaubens. Ich könnte sagen: „Das Leben ist schön. Zwischendrin in all dem Schönen gibt es aber auch Probleme. Durch die lasse ich mich aber nicht runterreißen, sondern ich orientiere mich an dem Guten und Schönen.“ Dies wäre mehr die christliche Richtung.
Oder ich könnte sagen - das tue ich aber nicht: „Das Leben ist Leiden, und wenn es dazwischen mal was Schönes gibt, dann sollte man sich darüber gar nicht erst besonders freuen, denn dann könnte man hinterher nur um so mehr wieder enttäuscht werden und dann folglich noch mehr Schmerzen erleiden.“
Wenn wir jetzt in der Passionszeit also das Leiden Jesu bedenken, dann haben wir immer schon Ostern, die Auferstehung, den Sieg des Lebens und den Sieg der Liebe mit im Hinterkopf. Das wird uns davor bewahren, uns so recht - ich sag das mal etwas salopp - so recht im Leid zu suhlen. Das tun wir nicht. Das sollen und dürfen wir nicht tun, denn es geht bei der Passionsgeschichte ja auch um Beziehungen zwischen Menschen, und da ist es ganz besonders wichtig, dass wir bei allem Streit und Ärger stets von der Versöhnung her denken, sonst machen wir alles noch viel schlimmer.
In dem heutigen Predigttext geht es auch um Streit und Ärger. Jesus hat auch Feinde gehabt. Er hat, obwohl er doch viel Gutes gesagt und getan hat, nicht nur Freunde gehabt. Mit seiner Einstellung zum Leben, zum Menschen, zu Gott und der Welt, fand er nicht nur Zustimmung. Für diejenigen, die eine ganz andere Einstellung vertraten, war er eine Herausforderung, eine Provokation, weil er die anderen in ihrer Einstellung nicht nur verunsicherte, sondern weil neue Positionen auch zu Veränderungen im täglichen Leben, im Umgang von Mensch zu Mensch und im sozialen Miteinander der Gesellschaft führen können. Grundeinstellungen zum Leben und zum Menschen haben auch eine politische Seite, sie haben auch eine gesellschaftspolitische Auswirkung und können so manches an gesellschaftlichen Positionen durcheinander bringen. Diese Gefahr sahen die Stützen der damaligen Gesellschaft durchaus, Pharisäer und Schriftgelehrte und Hohepriester. Um solchen brisanten Veränderungen zuvorzukommen, wollten sie das Übel bei der Wurzel packen und den Aufrührer, als solchen sahen sie Jesus an, beseitigen.
Wir haben es in der Passionszeit also mit einer ziemlich kämpferischen Situation zu tun, in der sich Menschen mit unterschiedlichen Positionen gegenüberstehen, feindlich gegenüberstehen. Diese Feindseligkeit spiegelt sich in den Bibeltexten. Wir müssen als Bibelleser und Bibelausleger sehr vorsichtig sein, dass wir uns in diese Feindseligkeiten nicht zu sehr hineinreißen lassen. Damit würden wir dem Anliegen Jesu letztlich nicht gerecht werden.
Was die Machart der Bibeltexte angeht, müssen wir bedenken, dass diese von Menschen geschrieben worden sind, die sich selbst auch in einer kämpferischen Situation befanden. Die biblischen Autoren waren keine direkten Zeitgenossen Jesu. Sie lebten und schrieben, als schon die ersten christlichen Gemeinden gebildet waren. Und diese ersten Christen waren von ihrer Umwelt eben auch nicht gut gelitten. Sie wurde z. T. heftig verfolgt. Manche erste Christen mussten den Märtyrertod sterben. Man kann sich also vorstellen, dass diejenigen, die über die Anfänge des Christentums schrieben und dies aus einer Situation der Verfolgung heraus taten, dass diese Schriftsteller auch etwas befangen waren in dieser heftigen Konfliktsituation.
In unserem heutigen Text stehen sich zwei Parteien gegenüber: die Pharisäer und Schriftgelehrten auf der einen Seite, Jesus auf der anderen Seite. Die Pharisäer und Schriftgelehrten fordern Jesus heraus, durch irgendwelche Zeichen die Richtigkeit seiner Position zu beweisen. Ein solches Ansinnen kann man zum einen nachvollziehen. Es kann aber auch etwas hinterhältig gemeint sein, so, wie das wohl am deutlichsten in der Versuchungsgeschichte zum Ausdruck gebracht ist. Da lässt unser Schriftsteller Matthäus, der Evangelist Matthäus, den Teufel auftreten. Der Teufel fordert Jesus zu einem beweiskräftigen Zeichen auf. „Spring doch von diesem hohen Turm herunter“, sagt er. „Wenn du wirklich der Sohn Gottes bist, dann wirst du doch sicherlich weich landen, denn die Engel Gottes werden dich doch auffangen.“ Das ist ziemlich hinterhältig und darauf abgestellt, schon im Vorwege klar zu machen: „Du, Jesus, bist unglaubwürdig. Was du sagst, geht am Leben vorbei. Halte lieber deinen Mund und lass uns in Ruhe.“ Ich sage das mal etwas salopp.
Eine solche Art der Zeichenforderung hat nichts Gutes im Sinn. Sie hat nicht zum Ziel, Jesus wirklich als denjenigen zu erkennen, als den er sich selbst ausgibt. Diese Art der Zeichenforderung hat vielmehr von vornherein das Ziel, Jesus als Scharlatan zu entlarven.
Eben diese hinterhältige Absicht spürt Jesus offensichtlich auch bei den Pharisäern und Schriftgelehrten, als diese ihn ansprechen: „Meister, wir möchten gern ein Zeichen von dir sehen.“ Jesus antwortet entsprechend unwirsch: „Ein böses und abtrünniges Geschlecht“ - und damit meint er diejenigen, die ihn gerade gefragt haben – „ein böses und abtrünniges Geschlecht fordert ein Zeichen, aber es wird ihm kein Zeichen gegeben werden.“ Und er fügt hinzu: „Es sei denn das Zeichen des Propheten Jona.“
Jona - vielleicht erinnern Sie sich an diese alttestamentliche Geschichte - Jona hatte von Gott den Auftrag erhalten, den Bewohnern der Stadt Ninive eine Mahnrede zu halten und sie wieder auf den rechten Weg zu bringen. Die Leute in Ninive hatten sich allerhand zuschulden kommen lassen, waren aber keineswegs bereit, sich Vorhaltungen machen zu lassen. Jona weigert sich, diesen unangenehmen Auftrag auszuführen. Er begibt sich auf eine Schiffsreise, gerät in einen Sturm, wird über Bord geworfen und von einem Wal verschluckt. Im Bauch des Wales überlebt er. Nach drei Tagen im dunklen Bauch und unter Wasser spuckt ihn der Wal an Land. Jona ist gerettet - und nun ist er bereit, seinen Auftrag auszuführen. Er tut dies mit Erfolg. Die Leute von Ninive begeben sich auf den Weg der Besserung.
Mit dem Hinweis auf Jona weist Jesus voraus auf seinen Tod und seine Auferstehung am dritten Tag. Das wird dann das Zeichen sein, das denen zuteil werden wird, die ihn gerade nach einem Zeichen gefragt haben.
Und Jesu fügt hinzu: „Die Leute von Ninive, die sich ja gebessert haben, werden über euch zu Gericht sitzen.“ – „Über euch“, so müsste man Jesu Gedanken nun fortsetzen, „über euch, die ihr nicht den Eindruck macht, dass ihr jemals zur Umkehr bereit sein werdet.“
Der Evangelist Matthäus legt Jesus hier harte Worte in den Mund. Matthäus schreibt ja auch aus einer Situation heraus, in der bereits klar war, dass Jesus von den Juden nicht als der Christus anerkannt worden ist, und wo die anderen, die an Jesus als den Christus glaubten, bereits aus dem jüdischen Religionsverband hinausgedrängt worden waren, es also bereits zur Spaltung von Juden und Christen gekommen war.
Es fällt mir immer wieder schwer, muss ich gestehen, solche harten Worte Jesu nachzusprechen. Das Verhältnis zwischen Juden und Christen ist im Verlauf der letzten zwei Jahrtausende schwierig genug gewesen. Zum Glück gibt es Bemühungen um gegenseitiges Verständnis und in dem Zusammenhang auch Bemühungen um eine Bibelauslegung, die auch der jüdischen Seite besser gerecht wird.
Für mich ist der Tatbestand wichtig, dass Jesus selbst letztlich mit denjenigen barmherzig umgegangen ist, die ihn nicht verstanden haben, die ihn missverstanden haben und die versucht haben, ihn mundtot zu machen. Das ist ja die Kernaussage des Neuen Testamentes: dass der Mensch, ganz egal welcher Religionszugehörigkeit, dass der Mensch schlechthin, der sich so schwertut, an die Kraft und den Sinn und die Bedeutung der Liebe zu glauben und diese immer wieder mit Füßen tritt, dass dieser Mensch sich dennoch als von Gott geliebtes Wesen verstehen darf.
Ich finde, in diesem Sinne sollten wir miteinander umgehen - es zumindest immer wieder versuchen: dass wir bei allen Problemen, die wir miteinander haben können, immer im Blick haben, dass das Oberste und Größte und Schönste und unser aller Wunsch und unser christlicher Auftrag das liebevolle und versöhnliche Miteinander ist. Mit diesem Ziel vor Augen sollten wir hindurchschauen durch das, was uns kurzfristig belastet. Dieser weite Blick wird uns gewiss helfen, momentane Probleme etwas leichter und gelassener zu nehmen und zu überwinden.
Lassen wir also in diesem Sinne zu Zeichen herausfordern: zu Zeichen unseres guten Willens.
(Predigt in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 28. Februar 1999)