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2.-8.9.18


Der lebenserhaltende Blick aufs Leben

Psalm 103,2


Wenn wir ein Musikstück hören, sagen wir ein Orgelstück, live gespielt und fast perfekt - nur ein einziges Mal tippt die Organistin mit ihrem Finger ganz leicht daneben und der Ton gerät für jeden deutlich hörbar schräg, dann möchte ich fast dafür garantieren, dass dieser eine Missklang im Gedächtnis bleiben und den Gesamteindruck dominiert wird. „Wie war das Konzert?“ „Eigentlich ganz schön, aber einmal hat sie danebengehauen.“

Unser Gedächtnis kann sehr ungerecht sein. Da möchte man dann im Sinne unseres Wochenspruchs sagen: „Vergiss nicht die tausend Töne, die die Organistin so schön gespielt hat.“

Auch in anderer Hinsicht ist unser Gedächtnis oftmals unausgewogen - dann kann man aber sagen: „Zum Glück!“ Denn es kann sein, dass wir den ganzen Tag lang Probleme gehabt haben, einen Ärger nach dem anderen, alles ging schief, aber dann sagte uns jemand etwas ganz Nettes - und der Tag war gerettet. Da können wir dann nur dankbar sein, dass unser Gedächtnis das schafft: Uns den ganzen Ballast des Tages vergessen zu lassen durch einen kleinen - ich sag’s mal bildlich: durch einen kleinen Sonnenstrahl.

Es gibt, ähnlich wie im Falle des Orgelvorspiels, Situationen in unserem Leben, in denen unser Wochenspruch vonnöten ist. Es kann z. B. sein, dass ein Tag ganz wunderbar verlaufen ist, dann aber geht eine Kleinigkeit schief - und der ganze Tag ist verdorben, alles Schöne ist vergessen. „Wie war der heutige Tag?“ „Schrecklich!“ Wenn das dann die Bilanz ist, dann dürfen wir wohl aus dem 103. Psalm zitieren: „Vergiss nicht, was du heute schon alles Schönes hast erleben dürfen!“ An unser Leben dürfen wir nicht den Maßstab anlegen, mit dem wir in ein Konzert gehen. Das Leben ist kein perfekt gespieltes Musikstück. Das Leben ist eher ein Stück von Anfängern, von Amateuren gespielt: Jeder lernt und übt, die einen mehr, die anderen weniger, und wenn wir das Leben ein wenig zu leben verstehen, dann ist es schon wieder vorbei.

Die schrägen Töne des Lebens sind immer reichlich da. Dissonanzen gibt es im Übermaß. Die geradezu lebenserhaltende Reaktion kann dann die sein, die uns der Wochenspruch anempfiehlt: Die vereinzelten gelungenen, schönen Töne ganz besonders wahrzunehmen und sie in unserem Herzen nachklingen zu lassen.

(Morgenandacht in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, 26. September 2000)

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