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28.1.-3.2.18


Großartig und abgründig

Daniel 9,18


Der 27. Januar ist der Gedenktag der Befreiung von Auschwitz. Der Blick geht also noch einmal zurück auf das Ende des zweiten Weltkriegs. Die Erinnerung soll wach bleiben an das, was in Deutschland und von Deutschland aus an Schrecklichem geschehen ist, Erinnerung als Mahnung, dass sich solcher Rassenwahn und solche menschliche Hybris nicht wiederholen mögen. 

Solche Erinnerung ist nicht nur ein Rückblick auf schreckliche Ereignisse, sondern auch ein Einblick in die Abgründe unseres menschlichen Wesens. In der Theorie wäre wohl gar nicht vorstellbar, was da von Menschen an Menschen geschehen ist. Aber die Fakten belegen, dass jenes Geschöpf, das zum einen zu kulturellen Höchstleistungen und auch zu großen Taten der Liebe fähig ist, zum anderen unter gewissen Gegebenheiten unvorstellbare Gräueltaten vollbringen kann. 

Ein solcher Gedenktag ist zugleich ein Schuldbekenntnis. Nicht jedem liegt es, Schuld zu bekennen. Mancher zieht es vor, nicht nur nach Erklärungen, sondern auch nach Entschuldigungen zu suchen. Wer sucht, der findet. Zu unserer christlich-jüdischen Tradition gehören der Ruf zur Umkehr, das Bekenntnis der Schuld, der Zuspruch der Vergebung und die Annahme der Vergebung, die Reue, die Buße, die Umkehr zum Guten, der tägliche Neubeginn. 

Das macht unsere menschliche Würde aus: dass wir zur Verantwortung berufen sind und wir uns zur Verantwortung berufen lassen. Das drückt uns nicht nur nieder, das erhebt uns auch.

Daniel hat sich angesichts der Zerstörung Jerusalems zur Schuld seines Volkes bekannt. Das kann ich jetzt nicht in Einzelheiten ausführen. Aber seine Haltung zu den Geschehnissen der Vergangenheit ist das Wichtige. Er hat die Grenzen dessen erkannt, was der Mensch an Gutem zu leisten imstande ist: Wir sind auf Vergebung und Barmherzigkeit angewiesen. "Nicht auf unsere Gerechtigkeit vertrauen wir, sondern auf die Barmherzigkeit Gottes." 

(Morgenandacht von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, am 25. Januar 2005)

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