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2. Advent (8.12.19)


Noch nicht - schon jetzt!

7. Dezember 2008

2. Advent

Lukas 21,25-33


Wir haben den Predigttexttext aus dem Lukasevangelium gehört. Fast möchte ich sagen: Hoffentlich haben Sie nicht so genau hingehört. Denn da geht es um unerfreuliche dramatische Dinge auf der Erde und im Weltall - um die Apokalypse, um das Weltenende. Sie könnten zu Recht fragen: Was soll ein solcher Text in der Adventszeit, wo wir hier doch so schön beisammensitzen unter dem Adventskranz und uns mit Herz und Gemüt einstimmen möchten auf unser schönstes kirchliches Fest - Weihnachten?

Damals, als dieser Text geschrieben wurde, gab es den Adventskranz nicht, es gab nicht den Tannenbaum, den Menschen war überhaupt nicht so gemütlich zumute wie uns. Es war noch das erste Jahrhundert des Christentums. Christen wurden verfolgt. Die Menschen, die zum Glauben an Christus gekommen waren, waren noch sehr von der Frage bewegt: Wann und wie wird endlich das in Erfüllung gehen, was Christus verheißen hat, als er sagte: „Das Himmelreich ist angebrochen!“ Und wann wird allenthalben in Erfüllung gehen, was er in seiner Person so wunderbar vorgelebt hat: Barmherzigkeit, Liebe zu den Menschen, Frieden ...?

Er war hingerichtet worden am Kreuz. War denn damit alles zunichte gemacht worden, was in ihm so schön begonnen hatte? Nein, er würde sein Werk vollenden. Er würde - in Kürze - wiederkommen. Das war die Hoffnung. Er war auferstanden, er war gen Himmel gefahren. Von dort würde er wiederkommen, und dann würde sich das Reich des Friedens, das Himmelreich auf Erden in Vollkommenheit ausbreiten.

Er kommt wieder - diese Hoffnung hat sich frühzeitig verbunden mit dem Rückblick auf sein irdisches, abrupt und gewaltsam beendetes irdisches Wirken.

Wenn wir jetzt auf das Fest der Geburt Jesu vorausschauen, dann schauen wir zugleich noch viel weiter voraus, nämlich über die Geburt und das ganze Leben Jesu und über seinen Tod und seine Auferstehung und Himmelfahrt hinaus - auf seine Wiederkehr. Dazu jedenfalls will uns der heutige Text anregen. 

Bei den Juden ist das anders. Sie haben nicht diese doppelte Vorausschau, sondern nur die eine: Sie warten darauf, dass er überhaupt kommt. Denn in Jesus haben sie nicht den Christus, den Messias erkannt. Für sie ist er noch gar nicht gekommen. Sie warten immer noch auf sein erstmaliges Erscheinen. Wir dagegen warten darauf, dass er wiederkommt. Oder sagen wir besser: Die Christen des ersten Jahrhunderts warteten intensiv darauf, dass er in Kürze wiederkommt.

Für uns, die wir hier sitzen, ist die Bedeutung der Wiederkehr Christi wohl eher in den Hintergrund gerückt. Die ersten Christen waren noch ganz intensiv von der Hoffnung erfüllt, dass er zu ihren Lebzeiten wiederkehren würde. Aber inzwischen sind 2000 Jahre vergangen. 

Darum blicken wir mit unserem ganzen Herzen vor allem auf die Geburt Jesu im Stall von Bethlehem und auf all das, was Jesus gesagt und getan hat in seinem Leben. Sein irdisches Leben ist für uns schön und anschaulich, auch wenn seine Lebensumstände nicht immer die erfreulichsten waren. Aber er selbst war eben so, dass er unser Herz noch heute zutiefst zu berühren vermag. 

Wir können uns da so richtig hineinfallen lassen in all das Schöne und Gute und Liebe, das Jesus verkörpert hat. Gerade jetzt in der Advents- und dann in der Weihnachtszeit wollen wir uns da auch gerne hineinbegeben in diese ganze Fülle von Vorfreude, Besinnlichkeit, Glückseligkeit, in die schönen Bilder von Frieden und Wohlergehen. 

Es bleibt dann aber am Ende auch für uns die Frage: Was dann, wenn Weihnachten vorbei ist? Wenn vielleicht hier und dort zu Weihnachten in den Unruhegebieten unserer Erde vielleicht sogar die Waffen geschwiegen haben - was kommt danach? Was wird anschließend aus der Botschaft „Friede auf Erden allen Menschen“!? Selbst in der Familie kann sich die Frage stellen: Wenn sich jeder für Heiligabend vorgenommen hat, lieb und freundlich zu sein - was kommt danach? Realistischerweise müssen wir sagen: Am nächsten Tag geht das Leben wieder seinen gewohnten Gang - im Kleinen wie im Großen.

„Friede auf Erden“ - das ist einfach noch nicht, weder in unserem ganz persönlichen Umfeld noch weltweit unter den Völkern. Dennoch: Die Hoffnung auf eine Wiederkehr Christi in einem dramatischen kosmischen Szenario wird für uns, die wir hier sitzen - anders als für einige bestimmte religiöse Gruppierungen - wohl eher nicht die Antwort sein. 

Wie aber gehen wir mit diesem Tatbestand um, dass das ganze Wirken Jesu am Kreuz endete und, auch wenn er auferstanden und gen Himmel gefahren ist, die Welt in den folgenden 2000 Jahren doch weiterhin so voller Unfrieden, voller Not und Elend und so voller menschlicher Schuld geblieben ist? 

Unsere Antwort kann eine zweifache sein: Zum einen diese, dass wir die große Vision nicht aufgeben, den Traum vom Frieden auf Erden, vom Himmel auf Erden, vom Wohlergehen für alle Menschen - und dass wir den Glauben daran nicht aufgeben, dass diese wunderbare Vision Wirklichkeit werden könnte. An dieser großen Vision müssen wir festhalten - als ein inneres und äußeres Leitbild, auf das hin wir unser Leben als Einzelne, als Gesellschaft, als Weltgemeinschaft immer wieder auszurichten versuchen.

Zum anderen aber ist es wichtig, dass wir im Konkreten zugleich ein wenig bescheiden sind und wir uns nicht scheuen, die kleinen Schritte zu tun, von denen manche sagen: „Das bringt doch nichts!“ Es ist wichtig, dass wir - neben der großen Vision mit Dankbarkeit jedes kleine und kleinste Zeichen von Frieden und Wohlwollen und Gutem annehmen und wertschätzen und uns dadurch stärken und ermutigen und leiten lassen. 

Jedes einzelne freundliche Wort ist ein kleines Juwel, jede kleine Geste der Hilfsbereitschaft ist ein wertvolles Geschenk, jedes Dankeschön, jedes ernsthafte Wort der Anerkennung, jedes wahrhaftige „Es tut mir leid“, jede aufrichtige Geste der Versöhnung ist kostbar.

War nicht auch jenes Kind damals, nachts in einem Stall geboren, nur etwas unscheinbar Kleines - und dennoch ein Kleinod, das einige wenige - Gott sei's gedankt - zu schätzen wussten, Hirten in Bethlehem?! Und machte nicht das die Weisheit der Weisen aus: dass sie vor der Stalltür nicht kehrtmachten?!

Jener Jesus von Nazareth hat in den wenigen Jahren seines Lebens gute Worte gesagt und hat Gutes getan an Menschen, von denen einige meinten, die hätten es nicht verdient. Die guten Worte wären in den Wind gesprochen gewesen, hätten sich einige seine Worte nicht als göttliche Botschaft zu Herzen genommen und weitergesagt und aufgeschrieben und zu leben versucht. Und seine guten Taten wären vergebene Liebesmüh gewesen, hätten einige darin nicht das Wirken der göttlichen Liebe zu uns Menschen wahrgenommen. 

In jedem liebevollen Wort, in jeder liebevollen Tat begegnet er uns wieder - Jesus, der Christus, der Leib und Seele zu heilen vermag. Es wäre geradezu unglaublich schön, wenn sich seine Art über den ganzen Erdball ausbreiten und die Herzen aller Menschen erfüllen und die Lebensverhältnisse aller Menschen verändern würde. An dieser Vision wollen wir festhalten. 

Aber er ist ja da mit seiner Art, hier und jetzt, und bewegt Herzen und Hände auch jetzt.

Auf dem Weg zu dem großen Ziel gehen wir unsere kleinen Schritte und zünden immer wieder eine Kerze an und noch eine und noch eine - und bedenken in Dankbarkeit, was Wunderbares an uns geschehen ist. Wir folgen ihm, und er kommt uns entgegen.

(Predigt in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, am 7. Dezember 2008)


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