Predigt, Predigten, Predigtsammlung, Bibelauslegung, Andachten, Morgenandachten, Wochenspruch, Wochensprüche, Hoheluft, Hamburg-Hoheluft, Wolfgang Nein, St. Markus

Volkstrauertag - Vorletzter So. des Kirchenjahres (17.11.19)


Friedlich gegen den Krieg!

15. November 2009 

Volkstrauertag 

Matthäus 26,52


Es ist nicht mehr weit bis Weihnachten. Wir werden dann wieder die Worte der Engel hören: „Friede auf Erden allen Menschen.“ Jedes Jahr neu ist das Fest der Geburt Jesu für uns Anlass, uns auf die christliche Friedensbotschaft zu besinnen. Und jedes Jahr denken wir wenige Wochen davor erneut nach über das, was die christliche Friedensbotschaft weiterhin notwendig macht: Der Unfrieden in der Welt. Der Unfrieden in unseren Herzen.

Der Volkstrauertag ist kein kirchlicher Feiertag. Aber Krieg und Frieden sind Themen unseres Glaubens. Krieg und Frieden sind keine Naturereignisse. Sie sind Phänomene der menschlichen Gesellschaft. Sie haben mit unserem menschlichen Wesen zu tun. Sie haben zu tun mit dem, was Menschen denken und fühlen und tun.

Es mag uns allerdings so vorkommen, als wären Krieg und Frieden für uns als Einzelne so unverfügbar wie Naturereignisse, die über uns kommen wie Gewitter und Sonnenschein, ohne dass wir Einfluss darauf hätten. Das ist die gefühlte Ohnmacht im Bösen wie im Guten. Sie entspricht weitgehend durchaus einer realen Ohnmacht. Es ist dennoch fundamental wichtig, dass wir bereit sind, Verantwortung zu übernehmen für Krieg und Frieden. Weisen wir die Verantwortung von uns, legen wir die Würde ab, die uns der göttliche Schöpfer zugesprochen hat, und entmündigen uns selbst.

Ein Tornado zieht übers Land und hinterlässt eine Spur der Verwüstung. Am nächsten Tag scheint die Sonne, als wäre nichts gewesen. Aber die Macht der Zerstörung war da und sie ist da und sie kann sich jederzeit wieder entfalten. Ebenso ist die Kraft des Lebens immer und überall existent. Die Sonne scheint immer und schien immer und wird immer scheinen - über den Wolken und durch die Wolken hindurch und jenseits des Horizonts und manchmal vom blauen Himmel herab in ihrer offenen wärmenden Pracht.

Kriege durchziehen die menschliche Geschichte und hinterlassen Spuren der Verwüstung. Im Nachhinein fragt sich der menschliche Geist irritiert: „Wie konnte das geschehen?“

Die Ursachen eines Krieges sind so komplex, dass sich jeder Einzelne für unschuldig erklären könnte. Ein Einzelner kann keinen Krieg verursachen. Aber es sind viele Einzelne, die den Krieg ermöglichen. Auch ein einzelner Tropfen Wasser ist harmlos. Aber viele einzelne Tropfen können zusammen eine zerstörerische Überschwemmung bewirken.

Es bedarf einer bewussten inneren Entscheidung, sich als kleinstes Teilchen für mitverantwortlich erklären zu lassen für das große Ganze.

Es bedarf eines festen Glaubens an das Recht eines jeden Menschen auf Leben und an die Unantastbarkeit der menschlichen Würde.

Es bedarf einer großen Disziplin, sich nicht mitreißen zu lassen vom großen Strom der hitzigen Emotionen und der immer wieder gleichen Argumente.

Es lagen keine einundzwanzig Jahre zwischen dem Ende des 1. Weltkriegs am 11. November 1918 und dem Beginn des zweiten am 1. September 1939.

Kriegsbegeistert wurden die ersten deutschen Siege des 1. Weltkriegs auch von der Kanzel dieser Kirche herab gefeiert. Es folgte die Veröffentlichung der von Monat zu Monat länger werdenden Liste der gefallenen Soldaten aus Hoheluft im Gemeindeblatt St. Markus. 

1922 fand im Weimarer Reichstag auf Anregung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge die erste Feier zum Gedenken der Millionen von Kriegstoten des 1. Weltkriegs statt. Das Gedenken sollte zugleich eine Mahnung zum Frieden sein.

Die Nationalsozialisten machten aus Kriegstoten Kriegshelden. Sie veredelten damit schon im Vorwege das Grauen, das sie bald darauf selbst in der Welt auslösen sollten.

Ein Gemeindeglied von St. Markus, Anfang dieses Jahres verstorben, hatte den ganzen 2. Weltkrieg als junger Mann mitmachen müssen, den Russlandfeldzug einschließlich der Jahre der Gefangenschaft in Russland. Er schrieb seine persönlichen Erinnerungen an die Schrecken jener Jahre auf. Seinen fünfzigseitigen Bericht beschließt er mit den Worten: „Für mich begann der Krieg mit achtzehn Jahren und endete mit dreißig. Möge uns der Frieden erhalten bleiben!“

Innerhalb der Grenzen unseres Landes hat es seitdem keinen Krieg gegeben. Das sei mit großer Dankbarkeit vermerkt. Allerdings sind nach Ende des 2. Weltkriegs weltweit zahlreiche Kriege geführt worden. Auch deutsche Soldaten sind zunehmend in Kriegsgebieten im Einsatz. Ob sie sich im Krieg befinden oder ob ihr Einsatz kriegsähnlich ist, mag dahingestellt bleiben. Tatsache ist, dass sie mit den Mitteln militärischer Gewalt Probleme lösen sollen.

Diese Art der Problemlösung wird aber, selbst wenn sie in bester Absicht erfolgt, immer wieder selbst zur Quelle eben solcher Probleme, die sie zu lösen versucht. Das zeigt die menschliche Geschichte.

„Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen“, dieser biblische Satz problematisiert in schlichter Formulierung die Anwendung von Gewalt. Er könnte ergänzt werden durch den Satz: „Wer zum Schwert greift, wird auch Menschen töten, die er gar nicht töten möchte.“ Die beiden Weltkriege z. B. haben vor allem zivile Opfer gefordert. Auch in Afghanistan sind neben deutschen Soldaten und bewaffneten Feinden viele unschuldige Menschen zu Tode und zu Schaden gekommen.

Es könnte einer den biblischen Satz auch in anderer Weise abwandeln und behaupten: „Wer nicht zum Schwert greift, wird auch durchs Schwert umkommen.“

Wer das sagt, könnte sogar auf Jesus Christus selbst verweisen. Jesus hatte nicht zum Schwert gegriffen und hatte sich nicht durchs Schwert verteidigen lassen - und wurde folglich durch seine Gegner umgebracht. Hätte er sich gegen die römischen Soldaten verteidigt oder verteidigen lassen, hätte er vielleicht sein Leben retten können.

Aber dann würden wir heute hier vermutlich nicht beisammensein. Hätte Jesus in der Art weitergemacht, wie es in der Weltgeschichte gang und gäbe gewesen war, dann hätte er uns keine neue Botschaft vermittelt, dann wäre er längst abgehakt worden als einer der unzähligen Altbekannten.

Aber wir sitzen ja nun hier und erinnern uns an seine besondere Art, weil wir von ihm fasziniert sind und durch ihn im wahrsten Sinne des Wortes begeistert sind und daran glauben, dass durch ihn und mit ihm etwas Befreiendes, Erlösendes in die Welt gekommen ist.

Oder hat das, was er uns gibt und was uns an ihm so bewegt, gar nichts zu tun mit dem Thema Krieg und Frieden? Hat seine Botschaft vielleicht gar nichts zu tun mit den realen Zuständen in dieser Welt und den realen Verhaltensweisen des Menschen? Ist seine Botschaft vielleicht allein bezogen auf eine jenseitige Welt, die wir mit Chance vielleicht dann erleben werden, wenn wir über dieses Erdenleben hinausgelangt sind?

Oder hat er vielleicht stellvertretend für uns alle gehandelt? Hat er vielleicht das getan, wozu wir unter den realen Gegebenheiten dieser Welt mit unserer menschlichen und allzu menschlichen Art gar nicht in der Lage sind? Er aber hat es verwirklicht und hat für uns damit die Verdienste erworben, die wir benötigen, um vor dem göttlichen Richter bestehen zu können?

Das mag wohl sein. Wir müssen eingestehen, dass wir nicht sein können wie er, Jesus Christus. Wir glauben auch daran und stärken uns daran, dass mit seinem ganzen Wirken etwas zu unseren Gunsten geschehen ist. Aber gewiß nicht in der Weise und zu dem Zweck, dass wir nun weitermachen könnten und sollten und dürften wie zuvor.

Nein, seine Art ist zwar übermenschlich. Aber mit seiner Art gibt er uns eine Richtung an. Er öffnet uns die Augen für die Irrtümer und Irrwege der menschlichen Art und gibt uns Kraft und Mut und Motivation zur Neuausrichtung.

Ja, wir sollen uns selbstkritisch betrachten, uns selbst und die ganze menschliche Geschichte. Und wir sollen dies bußfertig tun in der Bereitschaft, uns neu zu orientieren, neue Wege zu gehen. Er stellt uns vor die Entscheidung, an etwas anderes zu glauben als an die Macht der Muskeln und des Schwertes und der Panzer und Raketen und an etwas anderes als das Recht des Stärkeren.

Er fordert uns dazu heraus, an die Kraft der Liebe, der Versöhnung, der Vergebung zu glauben, an die Unantastbarkeit des Lebens, an die Schutzwürdigkeit des Schwachen, an die Größe und Schönheit im Unvollkommenen. Und er fordert uns zum Vertrauen heraus, zum Vertrauen darauf, dass uns immer wieder Kraft zuwachsen wird, den ungewohnten Weg zu gehen und durchzuhalten. Und zum Vertrauen darauf, dass die Hoffnung auf Frieden immer wieder kleine und größere Früchte bringen wird in dieser Welt, in unserem täglichen Leben.

Wir haben den zwanzigsten Jahrestag des Mauerfalls gefeiert, der friedlichen gewaltlosen Revolution: ein wahres Wunder, ein Sieg der Hoffnung über Illusion und Resignation. Und wir können auch mit Dankbarkeit z. B. auf das zu unserer Lebenszeit geschehene Versöhnungswerk Nelson Mandelas schauen.

Reale Politik zu gestalten, ist keine leichte Aufgabe. Mancher Politiker wird sich - ggf. auch gegen seine innere Überzeugung - gedrängt sehen, den Pakt mit dem Beelzebub einzugehen, um den Teufel zu bekämpfen.

Als einzelne Christen, die nicht direkt politische Entscheidungen zu fällen haben, können und sollten wir uns die Freiheit nehmen, mit aller Deutlichkeit und Direktheit immer wieder die friedvolle gewaltlose Art Jesu als Grundlage allen politischen Handelns zu fordern. Unsere Richtschnur ist nicht das, was uns als politisch opportun vorgesagt wird. Wir orientieren uns an Leitlinien, die dem politischen Tagesgeschehen übergeordnet sind.

Wenn wir nur mutig und vertrauensvoll genug sind, unseren inneren Überzeugungen im Glauben an die christliche Botschaft zu folgen, dann kann dies nicht ohne Folgen für die realen Gegebenheiten bleiben.

Wir sind als Einzelne zum einen zwar wie Tropfen im Meer. Aber im Verein mit vielen anderen Tropfen haben Menschen Zerstörungen unglaublichen Ausmaßes bewirkt. Als Einzelne können wir auch sein wie der Schein einer Kerze, der Licht ins Dunkel bringt, oder wie ein Sonnenstrahl, der viele Herzen erhellen kann.

Unterschätzen wir uns nicht. Die Masse einzelner Menschen hat Kriege ausgelöst. Die Masse einzelner Menschen kann auch dem Frieden dienen.

Mit Gottes Hilfe möge uns es gelingen, ein wenig mehr Frieden in die Welt hineinzutragen. 

(Predigt in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 15. November 2009)

wnein@hotmail.de    © Wolfgang Nein 2013