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3. Sonntag der Passionszeit (24.3.19)


Was glauben wir eigentlich?

28. Februar 2016

Okuli

(3. Sonntag der Passionszeit)

Epheser 5,1-8a


Was glauben wir eigentlich - als Christen? Und welchen Unterschied macht es, ob wir Christen sind oder nicht?

Gelegentlich fühlen wir uns dazu herausgefordert, uns Gedanken darüber zu machen, welchen Stellenwert das Christsein für uns hat, was unser christlicher Glaube überhaupt beinhaltet, welche Konsequenzen er für unser praktisches Leben hat - was es also bedeutet, Jesus Christus nachzufolgen, wie es in der heutigen Evangelienlesung heißt.

Wir sind zunehmend zu solchen Überlegungen herausgefordert, z. B. weil viele Menschen mit dem christlichen Glauben nicht mehr so recht etwas anzufangen wissen. Es kann vorkommen, dass der eine oder andere, der eigentlich gern Christ ist und der Kirche gern zugehört, sich gelegentlich gar nicht so recht traut, sich zum christlichen Glauben zu bekennen, weil er sich damit in mancher Runde - verzeihen Sie - etwas komisch vorkommt. 

Es ist aber auch die sich intensivierende interreligiöse Begegnung in unserem Land, insbesondere die Begegnung mit dem Islam, die uns zu dieser Frage führt: "Was bedeutet uns eigentlich unser christlicher Glaube?" 

Eine Antwort besteht dann oftmals in einem Hinweis auf die Werte, die in unser gesellschaftliches Leben und in unsere staatliche Rechtsordnung eingeflossen sind. Das hat durchaus seine Berechtigung, weil unsere Rechtsordnung und unsere gesellschaftlichen Spielregeln zu einem nicht unerheblichen Teil christliche Quellen haben. 

Und die Antwort auf die Frage nach der Relevanz von Kirche besteht in der Regel im Hinweis auf das vielfältige soziale Engagement von Kirche in der Gesellschaft. Auch das hat seine Berechtigung.

Die gesellschaftlichen Werte, die Ethik oder - etwas salopp formuliert "Sitte und Moral" - oder wie manche schlicht sagen "die 10 Gebote" - und das soziale Engagement machen aber nur einen Teil unseres christlichen Glaubens aus. Weitere ganz wesentliche Teile unseres Glaubens sind das Menschenbild und das Weltbild. 

Unser heutiger Predigttext - wir  haben ihn als Epistellesung gehört, bezieht sich auf einige ethische Elemente. Er enthält Ermahnungen, die fast schon etwas moralistisch klingen, zumal darin der Begriff "Unzucht" fällt. Diesen Begriff gab es auch im deutschen Strafrecht. Er ist im Rahmen der großen Strafrechtsreform 1969 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen worden. 

Auf dem Gebiet der Sexualität und Erotik sehen wir in unserer Gesellschaft - und auch im Bereich unserer Kirche - seit einigen Jahrzehnten manches freizügiger und unverkrampfter. Das ist auch gut so. Darüber haben wir vor zwei Wochen im Gottesdienst am Valentinstag von hier vorn einiges gehört. An der Sexualität und Erotik gibt es manches Problematische, aber auch viel Gutes und Schönes. Es kommt da auf den rechten Gebrauch und das rechte Maß an. Problematisch wird es zum Beispiel immer dann, wenn anderen ein Schaden zugefügt wird. Das soll natürlich nicht sein. Die Freizügigkeiten, an die wir uns in den letzten Jahrzehnten gewöhnt haben, haben nicht dazu geführt, dass einer über den anderen herfällt oder auch nur den anderen ungebührlich behandelt. Das können wir als eine Kulturleistung betrachten. 

Das Stichwort "Unzucht" macht deutlich, dass manche ethischen Vorstellungen und Werte zeitbedingt und kulturbedingt sind. Das machen auch andere Formulierungen an anderen Stellen des Briefes an die Epheser deutlich. Da heißt es z. B.: "Der Mann ist das Haupt der Frau" und: "Ihr Sklaven, seid gehorsam euren irdischen Herren". Paulus, der uns als Autor des Epheserbriefes genannt wird, war ein Kind seiner Zeit. Auch wir sind Kinder unserer Zeit. Manche ethischen Werte - auch solche, die uns durch die Bibel angetragen werden –, sind veränderbar und müssen in Kirche und Gesellschaft immer wieder neu verhandelt werden. 

Die Frage, "Welchen Unterschied macht es, ob wir Christen sind oder nicht?", ist insofern nicht ein für allemal eindeutig zu beantworten. Die biblischen Texte enthalten vielfältige Aussagen und die Lebenswirklichkeit ist sehr vielfältig. Jede Generation, jede Kultur, jeder einzelne Mensch steht immer wieder neu vor der Aufgabe, sich den roten Faden der biblischen Botschaft selbst zu  erarbeiten und dabei die grundsätzlichen existentiellen Bedingungen des Menschen und die jeweiligen konkreten Lebenssituationen zu berücksichtigen. 

Zu den großen ethischen Leitlinien der biblischen Botschaft können wir Aussagen zählen wie z. B. die sogenannte Goldene Regel aus dem Matthäusevangelium: "Behandelt andere Menschen so, wie ihr selbst behandelt werden wollt." Oder den Satz aus dem Römerbrief: "Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem." Oder den Satz aus dem 1. Timotheusbrief: "Gott will, dass allen Menschen geholfen werde."

Unser heutiger Predigttext nennt einzelne konkrete ethische Themen, neben der "Unzucht" als weiteres Thema die "Habsucht". Habsucht, Gier, Geldgier werden wir wohl weniger als ein kultur- und zeitbedingtes Problem betrachten. Da werden wir wohl kaum sagen: Habsucht war gestern schlecht, aber heute wollen wir das mal nicht mehr so eng sehen. Es ist manchmal geradezu erschütternd zu erfahren, dass Menschen, die schon ganz viel haben, noch mehr haben wollen - und das auf unrechtem Wege. Wer schon Millionär ist und dann noch Steuern in Millionenhöhe hinterzieht, der wirft in besonders eklatanter Weise die Frage auf: "Was ist der Mensch eigentlich für ein Wesen?" Sind die Betreffenden Einzelfälle oder sind wir vielleicht alle so ähnlich? Wenn wir auch keine Millionen auf dem Konto haben, versuchen wir aber nicht vielleicht - im kleinen Stil - ebenfalls mehr an uns zu raffen, als rechtens ist? Da möge sich jeder selbst prüfen. 

Noch eine dritte ethische Mahnung ist in unserem Text enthalten. Es geht um das, wie es hier heißt, "schandbare und närrische und lose Reden und die Verführung mit leeren Worten.“

Worte sind nicht nur, wie der Volksmund sagt, "Schall und Rauch". Worte können ein enormes Gewicht haben. Sie können sehr viel Positives bewirken. "Wir schaffen das!" - welch geradezu unglaublich großes und großartiges ehrenamtliches und professionelles Engagement haben z. B. diese Worte in unserem Land ausgelöst! Auch in dieser Gemeinde St. Markus!

Worte können aber auch verletzen und zerstören und den Hass schüren und der Gewalt den Boden bereiten. Auch das erleben wir  leider im Zusammenhang mit den Bemühungen, den Menschen zu helfen, die in so großer Zahl bei uns Schutz suchen. 

Was ist der Mensch? Viel Gutes steckt im Menschen. Aber eben nicht nur das. Wie lässt sich das Gute fördern, und wie lassen sich die bösen Kräfte im Zaume halten? In den biblischen Texten werden diese Fragen hin und her gewendet. Die zehn Gebote waren ein Versuch. Die Mahnungen der Propheten waren ein Versuch. Hat sich der Mensch über die Jahrhunderte, die Jahrtausende gebessert? Hat der christliche Glaube zur ethischen Besserung des Menschen beigetragen? Lernt der Mensch in ethischen Dingen überhaupt dazu?

Wenn wir uns einmal bildhaft vorstellen: Der Schöpfer sitzt da oben und schaut auf unseren Erdball herab - welche Gedanken ihm dabei wohl durch den Kopf gehen würden!? Frühere Generationen, Menschen des Alten Testaments, sind bei dieser Frage zu dem Schluss gekommen: Der Schöpfer war mit seinem Geschöpf Mensch so unzufrieden, dass er quasi noch einmal von vorn angefangen hat - mit der Familie Noahs - nach der Sintflut. Das hatte aber auch keine wirkliche Besserung gebracht. Und die weiteren Versuche mit den Geboten und den Propheten brachten auch nicht die gewünschte Wende. 

Vor 2000 Jahren muss der Schöpfer dann noch einmal ganz tief in sich gegangen sein und sich zu einem dramatischen Schritt entschlossen haben. Ich beschreibe diesen Schritt bildhaft und so, wie er sich aus dem herauslesen lässt, was Paulus in seinen Briefen als Theologie formuliert hat. Da muss der Schöpfer wohl zu der Einsicht gekommen sein: "Ich habe mein Geschöpf Mensch mit meiner Schöpfung überfordert. Ich werde sein Versagen darum als mein Versagen übernehmen. Ich werde den Menschen von der Gesamtverantwortung entlasten. Ich will den Menschen zwar weiterhin dazu anhalten, sein Bestes zu geben. Aber wenn er scheitert, soll er wissen, dass er mein geliebtes Geschöpf bleibt."

In diesem Sinne hat Paulus das Erscheinen Jesu Christi interpretiert - als die in ihm personifizierte göttliche Botschaft. 

Dieser sehr nachsichtige und liebevolle Zuspruch an den Menschen ist eigentlich eine geradezu unglaubliche Botschaft. Die Menschen damals waren nicht besser als heute. Das Miteinander der Völker war voller Brutalität, auch der Umgang der einzelnen Menschen und einzelner gesellschaftlicher Gruppen miteinander ließ extrem zu wünschen übrig. Und auch die Jünger Jesu waren keine Engel. Auch die ersten Christen waren keine Engel - und Paulus selbst auch nicht. Dennoch beschreibt er sie alle, sich selbst eingeschlossen, als die geliebten Kinder Gottes, um derentwillen sich Jesus Christus aufgeopfert hat. Er beschreibt sie als Heilige, obwohl sie wahrlich keine Heiligen waren. Aber sie waren Gott heilig. Alle Menschen sind Gott, dem Schöpfer, heilig. Das will Paulus sagen. Und er ruft die Adressaten seiner Briefe auf: "Verhaltet euch entsprechend. Seid gut zueinander."

Ist das nicht eine wahrhaft großartige erlösende Botschaft?! Eine geradezu unglaubliche.

Denn wenn wir einmal das Leben und uns selbst betrachten: So schön das Leben zum einen ist und sein kann, ist es nicht manchmal und in vieler Hinsicht eine wahrhaft schwierige Aufgabe? Wie komplex können die Lebensprobleme sein - im kleinen persönlichen Bereich und im großen, im gesellschaftlichen und weltweiten!

Und so viel Freude wir auch mit unseren Mitmenschen haben können, den nahen und den fernen - wie schwer tun wir uns oftmals im Umgang mit ihnen - und wie schwer haben wir es manchmal mit uns selbst! 

Manchmal wissen wir einfach nicht, was das Gute und Richtige ist - und es scheint nur das Falsche und Schlechte zu geben. Wir wissen  manchmal nicht, was wir sollen und was wir wollen sollen. 

Oftmals aber wissen wir durchaus, was das Rechte wäre. Wir wissen, was wir sollen, aber wir tun es nicht, selbst wenn wir gut finden, was wir tun sollen. Und manchmal wollen wir einfach nicht - und manchmal können wir nicht einmal wollen, was wir sollen, obwohl wir eigentlich für sinnvoll halten, was wir sollen. 

Wie schön wäre es z. B., wenn alle gut zueinander wären! Wenn auch Menschen gut zueinander wären, die sich eigentlich nicht mögen! Wenn auch Feinde auf das Wohl des anderen bedacht wären! Aber, wie eine ältere Dame einmal sagte: "Das mit der Feindesliebe finde ich zwar eigentlich gut. Aber ich kann nicht jeden lieben, ich kann den Feind nicht lieben, ich will den Feind nicht lieben. Ich will ihm eigentlich lieber heimzahlen, was er mir angetan hat - auch, wenn ich das letztlich nicht gut finde." 

Sie gab dann aber zu: "Ich möchte allerdings, dass andere gut zu mir sind, dass sie nachsichtig mit mir sind, dass sie mich aushalten, auch wenn ich eigentlich unerträglich bin. Ich möchte, dass sie mir helfen, auch wenn ich ihnen nicht geholfen habe. Ich möchte, dass sie mir verzeihen, auch wenn ich selbst hartherzig gewesen bin."

Es ist alles nicht leicht. Wir sind mit vielem überfordert, mit der Welt, mit den anderen, mit uns selbst. 

Es gäbe Grund genug zum Zorn. Wohin menschlicher Zorn führt, wenn er sich ungezügelt entfaltet, können wir an der Blutspur verfolgen, die sich durch die ganze menschliche Geschichte hindurchzieht. "Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen", mahnt der Epheserbrief. Legen wir also den Zorn in Gottes Hand und bemühen wir uns, mit Besonnenheit zu tun, was gut und hilfreich ist und dem Frieden dient. Und vertrauen wir dabei auf den Beistand Gottes.

Die christliche Botschaft ist eine wahre Erlösung. Sie kann uns helfen, befreit zu leben, wenn wir sie denn anzunehmen bereit sind und sie nicht mißbrauchen, sondern recht gebrauchen. Diese - in Anführungszeichen - „unglaubliche“, erlösende Botschaft ist der eigentliche zentrale Inhalt unseres christlichen Glaubens. In Jesus Christus ist sie verkörpert. Paulus hat sie uns dargelegt und in seinen Briefen immer wieder erläutert. Martin Luther hat sie später noch einmal unterstrichen. Möge der christliche Glaube für uns persönlich und für unser Miteinander ein Segen sein. 

(Predigt in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 28. Februar 2016)

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