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Gründonnerstag (18.4.19)


Eine Gemeinschaft, die noch keine ist

31. März 1994

Gründonnerstag

1. Korinther 10,16-17


Wir feiern in die­sem Got­tes­dienst das Abend­mahl. Da­zu ei­ni­ge Wor­te. Das Abend­mahl hat mit der Ver­gan­gen­heit, mit der Ge­gen­wart und mit der Zu­kunft zu tun.

Mit der Ver­gan­gen­heit, weil es uns er­in­nert an das letz­te ge­mein­sa­me Abend­es­sen Je­su mit sei­nen Jün­gern. Auch für Je­sus und sei­ne Jün­ger be­deu­te­te das ge­mein­sa­me Abend­es­sen schon ei­nen Rück­blick in die Ver­gan­gen­heit. Es war ja das Pas­sah­mahl, die Er­in­ne­rung an den Aus­zug des Vol­kes Is­rael aus Ägyp­ten.

Je­sus knüpft an die Ele­men­te des Pas­sah­mahls an. Er be­zieht sie auf sei­ne Per­son und gibt ih­nen da­mit ei­ne neue Be­deu­tung. Er selbst wird das Pas­sah­lamm: „Chri­ste, du Lamm Got­tes“, sin­gen wir da­rum in der Abend­mahls­li­tur­gie. So, wie das in Ägyp­ten an die Tür­pfo­sten ge­stri­che­ne Blut des Lam­mes die Is­rae­li­ten vor dem Tod be­wahr­te, so soll das Blut Chri­sti ein für al­le­ Mal den sünd­haf­ten Men­schen vor der ver­dien­ten Stra­fe schüt­zen.

Für un­ser Den­ken mag die­se Op­fer­the­o­lo­gie fremd­ar­tig er­schei­nen, wenn sie in Wirk­lich­keit auch kre­a­tür­lich in uns, viel­leicht in je­dem von uns, an­ge­legt ist. Das Op­fer Chri­sti ist aber, das sei uns zum Trost ge­sagt, die Über­win­dung, das En­de der Op­fer­the­o­lo­gie. Kein wei­te­res Op­fer ist nö­tig. Chri­stus ist ein für al­le ­Mal für uns ge­stor­ben.

Je­sus sitzt mit sei­nen Jün­gern beim Pas­sah­mahl. Er teilt Brot und Wein aus mit den Wor­ten: „Dies ist mein Leib, dies ist mein Blut. Sol­ches tut zu mei­nem Ge­dächt­nis.“ Die Ele­men­te, die im Pas­sah­mahl an die Be­frei­ung aus Ägyp­ten er­in­ner­ten, wer­den so zu Trä­gern der Er­in­ne­rung an die Be­frei­ung und Er­lö­sung durch Chri­stus. In­dem wir heu­te Brot und Wein im Na­men Chri­sti zu uns neh­men, wird das da­ma­li­ge Ge­sche­hen Ge­gen­wart: Wir wer­den be­freit, wir wer­den er­löst, hier und heu­te.

Um wel­che Art von Be­frei­ung und Er­lö­sung han­delt es sich? Um die­se Fra­ge zu be­ant­wor­ten, hilft wie­der der Blick zu­rück in die Ver­gan­gen­heit. Je­sus war um­ge­ben von Fein­den, die auf sei­nen Tod aus wa­ren. Er war aber auch um­ge­ben von Freun­den, de­ren Freund­schaft al­ler­dings nicht sehr trag­fä­hig war. Ju­das war die Freund­schaft zu Je­sus we­ni­ger wert als das Geld, das ihm die Ho­heprie­ster für den Ver­rat Je­su an­bo­ten. Pe­trus ver­leugne­te sei­ne Freund­schaft zu Je­sus, als er Ge­fahr für sein ei­gen Leib und Le­ben be­fürch­te­te. Jo­han­nes und Ja­ko­bus hat­ten aus der Freund­schaft zu Je­sus Vor­tei­le für sich auf Ko­sten der an­de­ren Jün­ger zu er­lan­gen ver­sucht. Al­le hat­ten sie Je­sus im­mer wie­der miss­ver­stan­den. Und al­le lie­ßen sie Je­sus im Stich, als er ge­fan­gen ge­nom­men wur­de.

Mit die­sen – fast soll­ten wir sa­gen: in An­füh­rungs­zei­chen –„Freun­den“ saß Je­sus am Vor­a­bend sei­nes To­des zum letz­ten Mahl bei­sam­men. Er kann­te sei­ne Jün­ger wohl, ih­re Schwä­chen ein­ge­schlos­sen. Sie wa­ren ihm den­noch das Fest­es­sen wert. Sie wa­ren ihm lieb. Er war ih­nen in Zu­nei­gung ver­bun­den. Die­se Zu­nei­gung galt nun je­doch nicht nur sei­nen et­was zwei­fel­haf­ten Freun­den. Die­se Zu­nei­gung galt auch de­nen, die in blin­der Ver­ir­rung sei­nen Tod such­ten. Vom Kreuz her­ab lässt der Evan­ge­list den Ster­ben­den spre­chen: „Gott, ver­gib ih­nen, denn sie wis­sen nicht, was sie tun.“

Je­sus hat­te, auch wenn es sei­ne Jün­ger wa­ren, Un­wür­di­ge an sei­nem Tisch zu Gast. Dies sei vor al­lem de­nen un­ter uns ge­sagt, die viel­leicht Zwei­fel dar­an ha­ben, des Abend­mahls wür­dig zu sein. Chri­stus lädt je­den von uns ein, nicht, weil wir gut wä­ren, son­dern weil er uns sei­ne Gü­te schen­ken will.

Die Be­frei­ung und die Er­lö­sung, um die es im Abend­mahl geht, ist die­je­ni­ge der Ver­ge­bung, der un­er­schüt­ter­li­chen Lie­be. Zer­bro­che­ne Be­zie­hun­gen füh­ren in die Iso­lie­rung. Sie wer­fen uns auf uns selbst zu­rück. Aus die­ser Ge­fan­gen­schaft ruft uns Chri­stus her­aus.

Wenn Je­sus ei­nen ho­hen An­spruch an die Be­zie­hung der Jün­ger zu ihm ge­stellt hät­te, dann hät­te er et­li­che An­läs­se ge­habt, sich von ih­nen zu tren­nen. Er trenn­te sich je­doch nicht von ih­nen. Er ak­zep­tier­te das all­zu ­Mensch­li­che in sei­nen Jün­gern. Er nahm es hin, dass er – auch er selbst – von ih­nen ge­le­gent­lich schä­big be­han­delt wur­de. Er er­war­te­te von sei­nen Freun­den nicht das Be­ste. Er woll­te ih­nen aber das Be­ste ge­ben: sei­ne un­er­schüt­ter­li­che Treue. Das ist das im gu­ten Sin­ne Mensch­li­che an Je­sus. Und das ge­hört zum Gött­li­chen an ihm, dass er so un­ein­ge­schränkt mensch­lich ist.

Uns mag der Um­gang Je­su mit den Schwä­chen sei­ner Freun­de ein Fin­ger­zeig sein. Wir mö­gen uns fra­gen, wie viel wir von un­se­ren Freun­din­nen und Freun­den er­war­ten, ob wir viel­leicht zu ­viel er­war­ten. Wir mö­gen uns fra­gen, wie viel wir aus­zu­hal­ten be­reit sind an Un­stim­mig­kei­ten, an un­ka­me­rad­schaft­li­chem Ver­hal­ten, an Ver­hal­tens­wei­sen, die ei­ner gu­ten Freund­schaft ei­gent­lich nicht ent­spre­chen.

Wir er­war­ten viel von zwi­schen­mensch­li­chen Be­zie­hun­gen. Ent­täu­schun­gen und man­geln­de Fru­stra­tions­to­le­ranz wer­fen uns auf uns selbst zu­rück. Wir brau­chen aber die Ge­mein­schaft, auch die Ge­mein­schaft – ich sa­ge es the­o­lo­gisch – die Ge­mein­schaft der Sün­der.

Chri­stus ruft uns mit dem An­ge­bot des Abend­mahls aus der Iso­la­tion, eben auch aus der Selbst­i­so­la­tion her­aus und stellt uns in ei­ne Ge­mein­schaft hin­ein. Er stif­tet ei­ne Ge­mein­schaft auch un­ter de­nen, de­ren Be­zie­hun­gen zu­ein­an­der viel­leicht brü­chig, we­nig trag­fä­hig oder gar zer­bro­chen sind.

Wenn wir uns zum Abend­mahl um den Al­tar he­rum ver­sam­meln, dann ver­sam­meln wir uns um Chri­stus, dann lau­fen die Fä­den von ihm zu je­dem Ein­zel­nen von uns. Durch ihn sind wir auch un­ter­ein­an­der ver­bun­den, auch wenn es un­ter uns viel­leicht kei­ne di­rek­ten Ver­bin­dun­gen gibt, noch nicht gibt oder viel­leicht nicht mehr gibt.

Die Lie­be Got­tes hat hei­len­de Kraft. Chri­stus, un­ser Hei­land, kann un­se­re zer­bro­che­nen Be­zie­hun­gen hei­len und im­mer wie­der neu hei­len. Die voll­ko­mme­ne Ge­mein­schaft ist aber noch nicht ge­gen­wär­tig. Dass wir al­le un­ter­ein­an­der in Zu­nei­gung und Lie­be ver­bun­den und von un­se­rer Sei­te aus mit Gott und Chri­stus eins sind, das ist noch nicht Ge­gen­wart, das ist Ge­gen­stand un­se­rer Sehn­sucht, das ist In­halt un­se­rer Hoff­nung. In­so­fern ist im Abend­mahl auch ab­ge­bil­det, was uns ver­hei­ßen ist, was noch der Er­fül­lung hart. In die­sem Sin­ne nennt un­se­re Agen­de das Abend­mahl der Kir­che ei­nen „Vor­ge­schmack des himm­li­schen Freu­den­mahls“.

Ver­gan­gen­heit, Ge­gen­wart und Zu­kunft kom­men so im Abend­mahl zu­sam­men: Wir er­in­nern uns, wir las­sen uns stär­ken und wir hof­fen auf die Voll­en­dung. 

(Predigt in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 31. März 1994)

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