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4. Sonntag der Passionszeit (31.3.19)


Durchgeistigte Nahrung

25. März 2001

Laetare

(4. Sonntag der Passionszeit)

Johannes 6,47-51


Als ich mir diesen Predigttext ansah und dann im Gemeindebrief in die Gottesdienstliste schaute und feststellte, dass für heute ein Predigtgottesdienst vorgesehen war, war mir klar: Das müssen wir ändern. Und das haben wir auch getan. Wir feiern heute einen Gottesdienst mit Abendmahl. Ihr Einverständnis setze ich voraus.

Der Predigttext handelt vom Abendmahl. Ich kann jetzt nicht vom Essen reden und Sie dann hungrig nach Hause gehen lassen.

Wer sich in kirchlichen Dingen gar nicht auskennt, der wird vielleicht fragen: „Was gibt es denn hier heute Morgen zu essen?“

Viel für den Magen ist es nicht. Der leibliche Hunger könnte dadurch nicht gestillt werden. Brot kann man das eigentlich auch nicht nennen. Aber ein Zeichen für das Brot soll die Oblate sein. Auch wenn es richtiges Brot wäre, dann wäre das trotzdem weniger für den Magen bestimmt. Auch das Brot wäre als Zeichen gemeint - als Zeichen für Fleisch. Aber selbst wenn ich Ihnen heute Morgen Fleisch, sagen wir Lammfleisch, zu essen gäbe, wäre auch dies weniger für den Magen bestimmt. Auch das Fleisch wäre als ein Zeichen zu verstehen, als ein Zeichen für den Leib Christi, dessen Hinrichtung am Kreuz einmal mit der Schlachtung eines Lammes verglichen worden ist.

Wenn wir jetzt noch einmal wieder rückwärtsgehen, zurück zur Oblate, die ich Ihnen nachher anbieten werde, dann ist also die Oblate letztlich ein Hinweis auf den Tod Jesu am Kreuz. Aber das ist doch noch nicht das Letzte, was zu sagen ist. Die Speise, wenn sie auch noch so wenig ist, soll nicht bloß ein Zeichen des Todes sein. Nahrung dient dem Leben. Und so ist denn tatsächlich die kleine, runde, dünne, trockene Oblate, die Sie nachher empfangen können, am Ende ein Hinweis auf die Auferstehung Jesu, ein Zeichen für das Leben, für das ewige Leben.

Wenn jetzt hier unter uns tatsächlich jemand ist, der mit all diesen Dingen nicht so vertraut ist, der hier nur einfach so reingekommen ist, um zu sehen, wie das so in einem Gottesdienst zugeht, der dürfte nun wohl ziemlich verwirrt sein. Der Betreffende oder die Betreffende könnte sich dann auch noch fragen, warum denn dieses Abendmahl am frühen Morgen angeboten wird. Das ist leicht zu erklären: Jesus selbst hat eben bei einem Abendessen am Vorabend seines Todes mit seinen Jüngern zu erläutern versucht, worum es geht, und wir vollziehen dieses Abendessen nun im Gottesdienst, der nun mal am Vormittag stattfindet, zeichenhaft nach.

Aber das, worum es geht, bleibt verwirrend. Schon damals hatten die Jünger Schwierigkeiten, Jesus zu verstehen. Auch die Menschen, die Jesus mit den Worten unseres Predigttextes anspricht, verstehen ihn nicht. „Wie kann der uns sein Fleisch zu essen geben?“, fragen sie. Sie hätten hinzufügen können: „Und wie kann der uns sein Blut zu trinken geben?“

Das ist wirklich eine Frage. Ich weiß, dass manche, auch unter uns, überhaupt Schwierigkeit haben mit dieser ganzen Symbolik, mit diesen – fast könnte man sagen – „kannibalistischen“ Bildern.

Aber hinter diesen komplizierten, schwierigen Bildern steckt eine letztlich sehr schöne, ja ganz wunderbare und eigentlich auch einfache Aussage.

Also, wenn wir jemanden gernhaben, dann sagen wir – z. B. wenn wir uns für länger verabschieden: „In meinem Herzen wirst du immer bei mir sein.“ Ja, wie denn? Wie kann der andere mit seinem großen Körper in meinem kleinen Herzen sein? Wie kann der da denn reinkommen? Das ist ja auch eine bildhafte Ausdrucksweise.

Es geht eben auch beim Abendmahl darum, Jesus in unser Herz aufzunehmen. Ich sagte vorhin schon: „Die Oblate ist gar nicht für den Magen bestimmt. Sie ist Speise fürs Herz.“ Darum finde ich das auch ganz in Ordnung, dass es eben eine Oblate ist; die sieht schon so durchgeistigt aus. Da ist einfach von vornherein klar: Sie ist eine geistige und geistliche Nahrung.

Wenn ich nun im Sinne unseres Predigttextes sage: „Die Oblate ist Brot des Lebens, dann ist wohl klar, dass mit Leben hier nicht das leibliche Leben im Sinne des Funktionierens unseres Körpers gemeint sein kann. Denn unser Körper, der braucht zum Leben handfeste Nahrung, eine ordentliche Stulle Brot und Kartoffeln und Reis und so weiter. Unser Leib würde an der Oblate allein zugrunde gehen.

Aber wie gesagt: Die Oblate ist Speise für das Herz. Und wenn wir sagen: „Sie ist Brot des Lebens“, dann ist mit Leben etwas anderes gemeint als das Funktionieren unseres Körpers. Leben ist auch ein Qualitätsbegriff. Wenn diese bestimmte Qualität fehlt, kann es sein, dass wir tot sind, obwohl wir leben, dass wir quasi, verzeihen Sie den groben Ausdruck, wie „wandelnde Leichen“ sind.

Das, was Leben im Sinne einer Qualität ausmacht, das hat die Bibel als „Nähe zu Gott“ beschrieben. Je näher bei Gott, desto lebendiger sind wir. Je ferner von Gott – verzeihen Sie –, desto toter sind wir. „Nähe zu Gott“ und „Ferne von Gott“, das klingt jetzt sehr theologisch. Ich habe mal jemanden kennengelernt, der hat das mit der „Nähe zu Gott“ in der Weise auf die Spitze getrieben, dass er gesagt hat: „Das eigentliche Leben fängt erst nach dem leiblichen Tod an. Dann bin ich ganz bei Gott.“

Diese Vorstellung legen manche – oder sogar viele –  biblische Texte, die vom ewigen Leben handeln, nahe.

Aber wie ist das mit unserem Leben jetzt und hier? Gibt es nicht auch schon jetzt und hier eine absolute Gottesnähe und das ewige Leben – auch jetzt in der Zeit unseres endlichen Lebens?

Diese Frage müssen wir stellen. Denn es reicht nicht zu sagen: „Das eigentliche Leben fängt erst nach dem leiblichen Tod an.“ Was nach dem leiblichen Tod ist, entzieht sich unserer Vorstellungskraft und unserer Verfügungsgewalt. Spekulationen sind, fast möchte ich sagen, müßig. Das hat ja auch Jesus deutlich gemacht, als er einmal gefragt wurde, ob man denn auch im Himmel noch verheiratet ist.

Was nach dem leiblichen Tod ist, können wir nur vertrauensvoll in die Hand Gottes legen. Die Frage ist: Was ist hier und heute? Darum ist doch Gott Mensch geworden, um uns in der Gestalt Jesus Christus etwas zu geben für unser Leben hier und jetzt in dieser schönen und schwierigen Welt, die ja auch Gottes eigene Schöpfung ist. 

Das möchte ich noch einmal unterstreichen: Auch hier und jetzt leben wir in Gottes Welt. Wir sind umgeben von der Schöpfung Gottes, ja, wir sind selbst Gottes Geschöpfe.

Jeder Sonnenstrahl, jede Blume, jeder Schluck Wasser, jedes Tier, jedes Kind, jeder Mitmensch – das sind doch alles Gottes Gaben. Aus allem begegnet uns Gott selbst.

Wir gehen allerdings mit vielem in der uns geschenkten Freiheit achtlos und nachlässig und zerstörerisch um. Gerade das macht im biblischen Sinne die Gottesferne hier und jetzt aus: die Missachtung des Schöpfers. Wenn wir mit dieser Schöpfung umgehen, als wäre sie unsere eigene, als könnten wir mit ihr machen, was wir wollen, als könnten wir willkürlich und selbstherrlich über sie verfügen, dann sind wir – theologisch gesprochen – Gott fern, und dann ist unser Leben nicht mehr das Leben, wie es im biblischen Sinne gemeint ist. Denn zum Leben als Qualitätsbegriff gehört die Verantwortung vor dem Schöpfer, gehört der Lobpreis Gottes, gehört der Dank für all die wunderbaren Gaben, die wir zum Leben empfangen haben.

Und wenn wir Gottes Geschöpf, den Menschen, gering achten, wenn wir zulassen, dass Menschen verhungern und verdursten und Menschen wegen ihrer Hauptfarbe, ihrer Sprache und Kultur gefährdet werden, wenn wir unsere Mitmenschen belügen und betrügen, sie ausnutzen und ausbeuten, sie verachten und verletzen, wenn wir unsere Mitmenschen lieblos behandeln, dann sind wir Gott fern, dann ist unser Leben nicht das Leben, wie es gemeint ist. Ein Leben in Lieblosigkeit ist im biblischen Sinne kein Leben.

Sind wir aber überhaupt zu einem Leben in Liebe fähig – und können wir so die Gottesnähe sicherstellen? Die biblischen Texte halten uns von Anfang an den Spiegel vor und machen uns klar: Wir sind von Gott abgefallen, haben uns von ihm entfernt und führen ein Leben, das weitgehend mit Lieblosigkeit durchsetzt ist.

Aber das soll uns nicht zum Verhängnis werden. Wo wir uns, theologisch gesprochen, von Gott entfernt haben, da kommt uns Gott selbst wieder nahe – in Jesus Christus. Er verkörpert die Vergebung und schenkt uns damit das Leben neu. Durch Vergebung macht er uns wieder frei für das Leben, wie es gemeint ist, für das Leben im Sinne dieser Qualität: für das Leben in Dankbarkeit, in Verantwortung und in Liebe.

Diese für uns so wichtige in Jesus Christus verkörperte Vergebung nehmen wir zeichenhaft an im Abendmahl. Wir nehmen Jesus Christus in unser Herz hinein in der Gestalt der Oblate und des Weines und tragen damit dann denjenigen im Herzen, der durch menschliche Lieblosigkeit zu Tode gebracht wurde und ins Leben zurückkehrte, um der Liebe dennoch zum Sieg zu verhelfen.

Wenn wir das Abendmahl eingenommen haben, dürfen wir sagen: Wir waren tot, und nun ist uns das Leben neu geschenkt worden. Jetzt und hier haben wir bereits einen Zipfel des ewigen Lebens zu fassen. Gott sei’s gedankt.

(Predigt in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 25. März 2001)

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