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1. Sonntag nach Ostern (11.4.21)


Ostern, das geistige Weihnachten

11. April 1999

Quasimodogeniti

(1. Sonntag nach Ostern)

Johannes 21,1-14


Es geht heu­te noch ein­mal um das Oster­the­ma, um die Auf­er­ste­hung Je­su, kein leichtes Thema. Der „ungläubige Thomas“ ist geradezu zum Sprichwort geworden. Irgendwie befinden wir uns alle mehr oder weniger in seiner Situation, was Ostern anbetrifft: Da wird uns etwas ziemlich Ungewöhnliches berichtet und wir sollen’s glauben. Unser geheimer Wunsch ist: Könnte es doch jemand beweisen, dass das mit der Auferstehung stim­mt!

Ab­er mit dem Beweisen ­ha­t es­ s­eine Gre­nzen. Tho­mas möch­te nur glau­ben, was er auch se­hen kann, was er auch an­fas­sen kann. Nur die be­greif­ba­re Re­a­li­tät, im wört­li­chen Sin­ne „be­greif­ba­re“ Re­a­li­tät ist für ihn re­al. Da­mit hat er, wie ich fin­de, ei­nen untaug­li­chen An­satz. Denn das Le­ben be­steht nun mal auch aus vie­lem, was man nicht an­fas­sen kann, was nicht im wört­li­chen Sin­ne „be­greif­bar“ ist und das wir dann an­ders als mit un­se­ren Hän­den zu be­grei­fen ver­su­chen müs­sen, mit un­se­rem Her­zen z. B, mit un­se­ren Ge­füh­len, mit un­se­rer In­tu­i­tion.

Tho­mas hat mit sei­nem Ansatz kei­ne Chan­ce. Je­sus lässt ihn zwar se­hen und an­fas­sen. Je­sus hält ihm sei­ne Hän­de hin und sagt: „Guck her, fass mal an – die bei­den Lö­cher, durch die die Nä­gel ge­gan­gen sind am Kreuz.“ Und er sagt: „Fass hier mal an, an mei­ner Sei­te, wo die Sol­da­ten mit ih­rer Spee­rspit­ze rein­ge­sto­chen ha­ben.“ – Je­sus lässt Tho­mas zwar se­hen und an­fas­sen, aber das ist ei­gent­lich we­nig be­weis­kräf­tig, ja, das ist e­her ver­wir­rend und ir­re­füh­rend, denn nun könn­te Tho­mas – und wir mit ihm – ja den­ken, dass der Auf­er­stan­de­ne der Je­su von da­mals ist, die Ge­stalt aus Fleisch und Blut von vor­her. Tho­mas – und wir mit ihm – könn­ten den­ken: Ach, die ha­ben den Je­sus um­ge­bracht, sie ha­ben sein Herz zum Still­stand ge­bracht und ha­ben ihn ins Grab ge­legt, und dann fing sein Herz aber plötz­lich wie­der an zu schla­gen, und dann hat je­mand den Stein vom Grab weg­rollt, und Je­sus ist wie­der los­ge­lau­fen und hat prak­tisch wei­ter­ge­macht, wo er vor drei Ta­gen auf­ge­hört hat­te.

Wenn Tho­mas das denkt – und wir mit ihm –, und auf die­se Fähr­te wird er ja durch die hand­greif­li­chen Be­wei­se ge­bracht, dann wird er – und wir mit ihm – ir­re­ge­führt. Es ist ei­gent­lich schon ei­ne gro­ße Ir­re­füh­rung, dass der Stein vom Grab weg­ge­rollt war. Das Grab – das war ei­ne klei­ne Höh­le – war mit ei­nem gro­ßen Stein ver­schlos­sen wor­den. Als dann die Frau­en am frü­hen Mor­gen zum Grab kom­men, se­hen sie, dass der Stein zur Sei­te ge­rollt ist. Ein En­gel ha­be den Stein zur Sei­te ge­rollt, heißt es bei Mat­thäus.

Ei­ne sol­che Aus­sa­ge ver­führt zu der An­nah­me, Je­sus wä­re da sonst nicht raus­ge­kom­men – mit sei­nem wie­der zum Le­ben er­weck­ten Kör­per aus Fleisch und Blut. Aber das ist ei­ne Ir­re­füh­rung un­se­rer Ge­dan­ken. Das passt auch gar nicht zu an­de­ren Aspek­ten der Auf­er­ste­hungs­be­rich­te, wo es heißt, wie z. B. auch in der Tho­mas­ge­schich­te: Al­le Tü­ren wa­ren ver­schlos­sen – die Fen­ster na­tür­lich auch – und Je­su stand plötz­lich mit­ten un­ter ih­nen. Ja, wie kann das denn an­ge­hen?! Das geht doch nicht mit Fleisch und Blut – mit ei­nem Kör­per, der eben sei­nen Platz braucht, um ir­gend­wo rein­zu­kom­men.

Die­ser Teil der Auf­er­ste­hungs­be­rich­te macht uns doch klar, dass der auf­er­stan­de­ne Je­sus nicht mit dem Je­sus von vor­her, dem aus Fleisch und Blut, iden­tisch ist. Bei Je­sus ist nicht ein­fach wie­der der Kreis­lauf in Gang ge­kom­men. Der Auf­er­stan­de­ne ist viel­mehr ganz an­ders als vor­her. Das wird auch noch an an­de­ren Aspek­ten der Auf­er­stehungs­ge­schich­ten deut­lich.

Die bei­den Jün­ger, die sich auf dem Weg nach Em­maus be­fin­den und un­ter­wegs ei­nen Drit­ten tref­fen und dem er­zäh­len, was sie in den letz­ten Ta­gen er­lebt ha­ben, er­ken­nen die­sen Drit­ten nicht. Erst als sie ge­mein­sam beim Abend­es­sen sit­zen und der Frem­de das Brot bricht, ge­hen ih­nen die Au­gen auf, und sie mer­ken: Das ist ja Je­sus, der da mit uns am Tisch sitzt und der den Weg mit uns ge­gan­gen ist.

Auch die­ser Be­richt macht doch deut­lich, dass Je­sus ganz an­ders aus­sah als vor­her und eben nicht ein­fach der­sel­be war. Und so ist es ja auch in un­se­rem heu­ti­gen Pre­digt­text, in der Sze­ne am See Ti­be­ri­as, wo die Jün­ger zum Fi­schen raus­fah­ren, nichts fan­gen und sich mit ih­rem lee­ren Boot dem Ufer nä­hern und da ei­nen Mann ste­hen se­hen, der of­fen­bar ge­ra­de gern früh­stücken möch­te und ne­ben sei­nem Brot of­fen­bar auch noch gern ein we­nig Fisch es­sen wür­de, und der die Jün­ger auf­for­dert, noch ein­mal hin­aus­zu­fah­ren und es noch ein wei­te­res Mal zu pro­bie­ren. Erst als die Jün­ger dann bei die­sem zwei­ten Ver­such er­folg­reich sind und das Netz von Fi­schen ge­ra­de­zu über­quillt, wird ih­nen klar, wer der Mann am Ufer ist: „Es ist der Herr.“ Ja, wa­rum ha­ben sie ihn vor­her nicht er­kannt? Weil er nicht aus­sah wie der Je­sus, mit dem sie bis zur Kreu­zi­gung durch das Land ge­zo­gen wa­ren.

Das müs­sen wir ganz klar zur Kennt­nis neh­men. Der Auf­er­stan­de­ne ist nicht ein­fach der wie­der­be­leb­te Je­sus. Der Auf­er­stan­de­ne ist nicht der Je­sus aus Fleisch und Blut von vor­her. Es wä­re viel­leicht bes­ser ge­we­sen, der Stein hät­te noch vor dem Grab ge­le­gen und das Grab wä­re noch ver­schlos­sen ge­we­sen, als die Frau­en ka­men, und der Leich­nam Je­su hät­te noch drin ge­le­gen und Je­sus wä­re dann als der Auf­er­stan­de­ne er­schie­nen, dann wä­re schon an die­ser Stel­le klar ge­we­sen: Zwi­schen dem leib­li­chen Je­sus und dem auf­er­stan­de­nen Je­sus gibt es ei­nen Un­ter­schied.

Ei­nes ver­su­chen uns die Oster­be­rich­te je­den­falls zu ver­mit­teln – und das zu ver­ste­hen müs­sen wir uns eben be­mü­hen: Je­sus ist wie­der le­ben­dig, er ist wie­der da und wirkt wei­ter, er ist wie­der da, in an­de­rer Form zwar, in an­de­rer Ge­stalt, aber doch gleich­ge­blie­ben in sei­nem We­sen. Das ist ge­wiss schwie­ri­ger zu ver­ste­hen als das Weihn­acht­se­reig­nis. Zu Weihn­ach­ten wird Je­sus als Kind aus Fleisch und Blut ge­bo­ren. Das ist zwar auch al­les et­was le­gen­den­haft be­schrie­ben, aber das ist an­schau­lich und mit un­se­rer täg­li­chen Er­fah­rung schon eher in Ein­klang zu brin­gen.

Ostern ge­langt Je­sus ein zwei­tes Mal ins Le­ben, er wird, so könn­ten wir sa­gen, noch ein­mal ge­bo­ren – dies­mal aber nicht leib­lich, son­dern in ei­ner über­kör­per­li­chen Wei­se, in ei­nem gei­sti­gen Sinne: Ostern, so könn­ten wir sa­gen, ist das gei­sti­ge Weihn­ach­ten – auch ein Fest der Ge­burt, aber der Ge­burt von je­man­dem, den wir nicht mit Hän­den an­fas­sen kön­nen, son­dern den wir nur mit un­se­rem Her­zen be­grei­fen kön­nen, den wir nur glau­ben kön­nen.

Wäh­rend das Je­sus­kind aus dem war­men Mut­ter­leib her­aus­ge­bo­ren wor­den war, wird der Auf­er­stan­de­ne nun aus dem Grab her­aus ge­bo­ren.

Die­se zwei­te Ge­burt ist von ei­ner an­de­ren Art als die er­ste, und die­ses zwei­te Le­ben hat ei­ne an­de­re Qua­li­tät als das er­ste. Das be­deu­tet nicht, dass die­ses zwei­te Le­ben mit dem er­sten nichts zu tun hät­te. Im Ge­gen­teil. Ich be­haup­te: Je­der von uns kann die­ses zwei­te Le­ben jetzt und hier füh­ren. Ei­ne Ham­bur­ger The­o­lo­gin hat das mal auf den Punkt ge­bracht, als sie sag­te: „Man muss ein­mal ge­stor­ben sein, um dann wirk­lich le­ben zu kön­nen.“

Le­ben und Le­ben ist nicht un­be­dingt das­sel­be. Das Le­ben des Auf­er­stan­de­nen ist ein an­de­res Le­ben als das des Je­sus von vor­her. Die­sen Wan­del von dem ei­nem Le­ben zum an­de­ren ver­su­chen wir in der Kir­che ri­tuell nach­zu­voll­zie­hen durch die Tau­fe. In der Tau­fe ster­ben wir mit Je­sus, und wir wer­den neu ge­bo­ren zu ei­nem neu­en Le­ben in ei­nem neu­en Sinne. In wel­chem Sinne? Im Sin­ne des Wir­kens und We­sens Je­su: im Sin­ne der Lie­be zum Men­schen und zur gan­zen Schöp­fung, im Sin­ne der Ver­ge­bung, der tä­ti­gen Hil­fe ge­gen­ü­ber den Schwa­chen und im Sin­ne der Hoff­nung auf ei­nen Sieg des Frie­dens über al­le zer­stö­re­ri­schen Kräf­te.

Neh­men wir noch ein­mal die Sze­ne am See Ti­be­ri­as: Die Jün­ger wa­ren wäh­rend der Nacht hin­aus­ge­fah­ren zum Fi­schen. Sie hat­ten nichts ge­fan­gen. Sie wa­ren ent­täuscht. Sie mein­ten schon, ih­re Er­folg­lo­sig­keit hin­neh­men zu müs­sen. Und dann steht da der Frem­de, der zum Früh­stück doch gern noch ein paar Fi­sche hät­te. Der sagt: „Fahrt noch­mal raus, pro­biert’s noch ein­mal.“ Ei­gent­lich muss­te ih­nen die­se Auf­for­de­rung nutz­los er­schei­nen. Aber sie tun es doch, ir­gend­wie ange­trie­ben durch die­sen ge­heim­nis­vol­len Frem­den am Strand. Und ge­gen al­le Er­war­tung füllt sich das Netz zum Ber­sten.

Sie hat­ten schon be­fürch­tet, mit lee­ren Hän­den nach Hau­se kom­men zu müs­sen, und nun ha­ben sie reich­lich für ih­re Fa­mi­lien und ha­ben noch übrig für an­de­re. Sie hat­ten ge­dacht, am En­de zu sein. Und nun geht es erst rich­tig los.

Die­se Sze­ne am See Ti­be­ri­as könn­te ich wei­ter aus­ma­len in ih­rer über­tra­ge­nen Be­deu­tung. Das kön­nen Sie aber auch selbst ma­chen. Ich möch­te nur dies un­ter­strei­chen: Auch hier ver­wan­delt sich ein En­de in ei­nen An­fang. So wie das Grab Je­su zur Stät­te der Ge­burt wur­de, zum An­fang ei­nes neu­en Le­bens, so öff­net sich die Sack­gas­se des Le­bens für die Jün­ger, und es tut sich ein neu­es wei­tes Feld auf. Das ist ih­nen zu­nächst et­was un­heim­lich. Das ist so ähn­lich wie ich es vor ein paar Ta­gen er­lebt ha­be: Ei­ner, der schon seit vie­len Jah­ren ar­beits­los ist, hat ei­ne An­fra­ge be­kom­men, ob er sich nicht fest ein­stel­len las­sen möch­te. Die­ses Glück ist auch ihm et­was un­heim­lich und er schwankt zwi­schen Freu­de und Angst, weil die­ses neue Glück so gar nicht hin­ein­passt in sei­ne bis­he­ri­ge Le­bens­er­fah­rung.

Aber un­se­re oft­mals de­pri­mie­ren­de Le­bens­er­fah­rung darf uns nicht run­ter­rei­ßen und uns un­ten lie­gen las­sen. Las­sen wir uns durch den Auf­er­stan­de­nen an­spre­chen und auf­rich­ten, las­sen wir uns Mut ma­chen und er­grei­fen wir das Le­ben neu mit Lust und Ver­trau­en und set­zen wir al­les dar­an, es in sei­nem Sinne, im Sin­ne Je­su Chri­sti, zu ge­stal­ten.

Je­sus Chri­stus lebt, sei­ne Kraft des Le­bens und der Lie­be ist un­ter uns le­ben­dig und be­geg­net uns al­lent­hal­ben in gu­ten Wor­ten und Ta­ten, in Men­schen, die uns Lie­be schen­ken und uns zur Lie­be her­aus­for­dern.

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 11. April 1999)

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