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Heiligabend (24.12.25)


Die Sehnsucht nach Frieden bleibt

24. Dezember 2002

Heiligabend, 18 Uhr

Lukas 2,14


„Frie­de auf Er­den al­len Men­schen!“ Das ist die Weihn­achts­bot­schaft - ei­ne Sehn­sucht, ei­ne Ver­hei­ßung, ein Auf­trag.

Frie­de in den Her­zen al­ler Men­schen - mit sich selbst zu­frie­den sein, mit sei­nem Le­ben. Frie­den hal­ten mit­ein­an­der - von Mensch zu Mensch, in der Fa­mi­lie, un­ter Ehe­leu­ten, zwi­schen El­tern und Kin­dern, in der Ver­wandt­schaft, am Ar­beits­platz, in der Ge­mein­de. Frie­den hal­ten im gan­zen Land - zwi­schen Ein­hei­mi­schen und Zu­ge­wan­der­ten, zwi­schen Jun­gen und Al­ten, Män­nern und Frau­en, Är­me­ren und Rei­che­ren. Und Frie­den hal­ten un­ter den Na­tio­nen. Wie schwer ist das al­les! Aber die Sehn­sucht ist da. Sie war im­mer da. Und sie wird wohl noch lan­ge, lan­ge blei­ben.

Men­schen in Is­rael vor 2000 Jah­ren, vor 3000 Jah­ren, hoff­ten, dass ein­mal Ru­he ein­keh­ren wür­de, dass der Bau­er oh­ne Angst vor Über­fäl­len sein Land be­stel­len und die No­ma­den oh­ne Sor­gen ih­re Her­den hü­ten könn­ten. Mäch­ti­ge Völ­ker aus dem Nor­den und ein mäch­ti­ges Volk aus dem Sü­den durch­zo­gen mit ih­ren Sol­da­ten im­mer wie­der das Land, zer­stör­ten, plün­der­ten, ver­ge­wal­tig­ten, ver­schlepp­ten.

Die Sehn­sucht nach Frie­den für ihr klei­nes Volk wur­zel­te tief, in un­ge­zähl­ten Er­fah­run­gen des Leids, der Ohn­macht, die Sehn­sucht nach ei­ner Hil­fe aus der Höhe. Denn wer könn­te hel­fen? Ein über­mensch­li­ches Werk müss­te voll­bracht wer­den.

Men­schen in Is­rael heu­te - die Sehn­sucht nach Frie­den ist wei­ter un­ge­bro­chen, un­er­füllt. Wie eh - und mehr denn je - er­scheint al­les Tun ver­ge­bens, Frie­den ist nicht mach­bar. Al­les Men­schen­mög­li­che muss ge­tan wer­den. Der Rest ist un­ver­füg­bar. Hoff­nung.

Men­schen in al­ler Welt - wie viel Un­frie­den, wie vie­le Krie­ge - hat es über die Jahr­hun­der­te, die Jahr­tau­sen­de ge­ge­ben?! Und sind nicht über­all Män­ner und Frau­en, Vä­ter und Müt­ter, Kin­der, die sich der Ga­be des Le­bens er­freu­en möchten, die spie­len und ar­bei­ten und die Schön­hei­ten der Schöp­fung ent­decken möchten, die sich an den Auf­ga­ben des Le­bens er­pro­ben, sich lie­ben und fröh­lich mit­ein­an­der feiern möchten. Die Sehn­sucht nach ei­nem Le­ben in Frie­den um­spannt un­se­ren Erd­ball. Nach schreck­li­chen Er­fah­run­gen ha­ben Men­schen, gan­ze Völ­ker, im­mer wie­der den Vor­satz ge­fasst: „Dies darf nicht noch ein­mal ge­sche­hen.“

Als sich vor 2000 Jah­ren der Him­mel über dem Feld von Be­thle­hem öff­ne­te, ver­kün­de­te ein En­gel: „Frie­de auf Er­den al­len Men­schen.“ Mensch­li­che Sehn­sucht - als gött­li­che Ver­hei­ßung ver­kün­det.

Ein zar­ter En­gel ver­kün­det die gött­li­che Bot­schaft ar­men Hir­ten im Dun­kel der Nacht auf ei­nem Feld am Ran­de ei­nes klei­nen Or­tes: „Geht hin, in ei­nem Stall, in ei­ner Krip­pe lie­gend, fin­det ihr ein neu­ge­bo­re­nes Kind, das al­ler Welt den Frie­den brin­gen wird.“

Als hät­te sich der Vor­hang der Ewig­keit ein klein we­nig ge­öff­net. Ein Licht­strahl des Gött­li­chen er­hell­te für ei­nen Mo­ment die mensch­li­che Ge­schich­te.  „Frie­de auf Er­den“ - Got­tes Wort an al­le Men­schen, ein kur­zes Wort. Ein kur­zes Wort, doch in­halts­reich und mäch­tig, als hät­te er ge­sagt: „Ich lie­be dich.“

Ein Kind der Lie­be ist das Christ­kind, von Gott ge­zeugt, von Ma­ria emp­fan­gen, der Mensch­heit ge­bo­ren.

Got­tes Lie­be ist Mensch ge­wor­den. Ist das nicht der An­fang des Frie­dens? Die Lie­be?! Sich selbst hin­ge­ben - statt die Hin­ga­be des an­de­ren for­dern? Sich öff­nen, die Ma­ske ab­neh­men, den Pan­zer ab­le­gen?! Ehr­lich sein, wahr­haf­tig?! Su­chen nach dem, was dem an­de­ren gut­tut, und tun, was sei­nem Wohl dient?! Ver­let­zun­gen an der ei­ge­nen See­le, am ei­ge­nen Leib aus­hal­ten, Un­recht aus­hal­ten?! Ge­duld mit­ein­an­der ha­ben?! Nach­sicht üben, ver­zei­hen?!

Ist das nicht der An­fang des Frie­dens? Das un­beirr­ba­re, un­er­schüt­ter­li­che Fest­hal­ten an der Lie­be? Wie oft las­sen wir uns ir­re ma­chen von Ar­gu­men­ten, die so wahr sind wie der Satz: „Du wirst dir je­den Tag die Hän­de schmut­zig ma­chen.“ Das ist wohl wahr. Doch soll ich des­we­gen den Schmutz ver­dam­men? Und soll es mei­ne Le­bens­auf­ga­be sein, den Schmutz aus der Welt zu schaf­fen? Nein. Ich tue das Mei­ne für die Rein­lich­keit, und dies täg­lich neu. Nicht die Er­fah­rung der Lieb­lo­sig­keit darf un­ser Leit­fa­den sein.

Frie­de auf Er­den - die Lie­be ist der An­fang. Der Glau­be an die un­beirr­ba­re, un­er­schüt­ter­li­che Lie­be Got­tes ist ein ver­hei­ßungs­vol­ler An­fang: dass wirk­lich Frie­den wer­de. Der all­mäch­ti­ge Gott, der die mensch­li­che Ge­schich­te mit all ih­ren Tie­fen und Kat­a­stro­phen über­blickt, der all­mäch­ti­ge Gott, ist in die Nie­de­run­gen des Mensch­li­chen hin­ab­ge­stie­gen, ist Mensch ge­wor­den, hat sich ver­letz­lich ge­macht. Er hat sich da­mit auch zum Ge­spött ge­macht. Er ist ver­letzt und zu To­de ge­bracht wor­den. Aber er ist durch den Tod hin­durch­ge­gan­gen. Sei­ne un­beirr­ba­re, un­er­schüt­ter­lich Lie­be ist zu un­se­rer Hoff­nung ge­wor­den. Die mensch­li­che Sehn­sucht hat sich in ihm zur Ver­hei­ßung ver­wan­delt: Der Frie­de ist mög­lich, denn er war schon da - in Je­sus Chri­stus, Got­tes Sohn.

Wenn doch mäch­tig­ste Mann die­ser Welt es dem All­mäch­ti­gen gleich­zu­tun ver­such­te! Wenn er sich als Mensch, als blo­ßer Mensch, oh­ne Wäch­ter sei­nes Lei­bes auf den Markt be­gä­be - in ei­ner je­ner Städ­te zwi­schen den Strö­men, wo einst die Ge­schich­te der Lie­be Got­tes zu den Men­schen in Ab­ra­ham ih­ren al­le­rer­sten An­fang nahm! Und wenn er sag­te: „Ich rei­che euch die Hand. Lasst uns mit­ein­an­der re­den!“, viel­leicht wür­de er das nicht über­le­ben. Aber er hät­te der Hoff­nung auf Frie­den Nah­rung ge­ge­ben.

Nun wer­den - schon seit lan­gem - al­le ge­nährt, die noch Stär­kung such­ten, um ih­re zer­stö­re­ri­schen Ab­sich­ten zu recht­fer­ti­gen. Die Hoff­nung hat es schwe­rer. Der Glau­be an die Ver­heißung des Frie­dens hat es schwe­rer. Der gu­te Wil­le hat es schwe­rer.

Die Sehn­sucht nach Frie­den für al­le Welt bleibt, die Ver­hei­ßung des Frie­dens wird heu­te er­neu­ert. Wir brau­chen die Weihn­achts­bot­schaft, wir brau­chen das Weihn­achts­fest. Es ent­hält ei­ne Bot­schaft an uns al­le, an je­den Ein­zel­nen von uns und an die Mäch­ti­gen der Welt. Ei­ne Bot­schaft für das Herz und den Ver­stand: die Sehn­sucht nach Frie­den ernst zu neh­men, der Ver­hei­ßung des Frie­dens zu glau­ben und uns für den Frie­den in Auf­trag neh­men zu las­sen: dass wir das uns Mög­li­che tun - im Sin­ne des­sen frei­lich, von dem die Weihn­achts­bot­schaft an uns er­geht: im Sin­ne der Lie­be zu al­len Men­schen in al­len Tei­len die­ser Welt, un­se­rer Er­de, Got­tes Schöp­fung.

Sie ist nicht leicht - die Sa­che mit dem Frie­den. Um so mehr brau­chen wir das Weihn­achts­fest. Wir brau­chen die fro­he Bot­schaft. Wir brau­chen den Glau­ben an Chri­stus und die Ge­mein­schaft al­ler Glau­ben­den, die Kir­che.

Gott hat die­se Welt nicht sich selbst über­las­sen. Wir dür­fen die Welt nicht ei­ni­gen we­ni­gen Mäch­ti­gen über­las­sen. Wir sind zur Ver­ant­wor­tung be­ru­fen, zur Mit­ver­ant­wor­tung.

„Frie­de auf Er­den“, das ist die Weihn­achts­bot­schaft, ei­ne Sehn­sucht, ei­ne Ver­hei­ßung, ein Auf­trag an uns al­le.

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, am 24. Dezember 2002)

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