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Reformationstag (31.10.25)


„Es tut mir von Herzen leid!“

4. November 2001

Zum Reformationstag 

 Johannes 15,9-15


Am 31. Oktober 1517 hatte Martin Luther 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg geschlagen. Es waren Thesen gegen den Ablass. Ablass, das war ein Angebot der katholischen Kirche, sich von den Sünden freizukaufen.

Wer sich etwas hatte zuschulden kommen lassen, der konnte ein paar Münzen in den Kasten tun, dann war er von seiner Schuld frei. So ähnlich machen wir das heute auch: Wenn wir falsch geparkt haben und erwischt worden sind, zahlen wir ein Bußgeld. Damit sind wir von weitergehenden Strafen frei, und die Sache ist wieder in Ordnung. Das ist auch o.k. so.

Ob ein solches Verfahren aber auf alle Fälle anwendbar ist, in denen wir schuldig werden, ist die Frage. Martin Luther hat gesagt: „Nein!“ Wenn wir gegen den - ich sage das jetzt mal theologisch: Wenn wir gegen den Willen Gottes verstoßen und an ihm schuldig werden, können wir uns von unserer Schuld nicht freikaufen. Denn unseren himmlischen Vater interessiert nicht das Geld. Ihn interessiert unser Herz, ihn interessiert unsere innere Einstellung. Ihm ist wichtig, dass wir unsere Schuld wirklich einsehen, dass wir sie bekennen, dass wir sie bereuen, dass es uns also von Herzen leidtut, dass wir Unrechtes getan haben, und dass wir auch bereit sind, uns eines Besseren zu besinnen und wir wirklich ernsthaft versuchen, uns zu bessern, wir uns also vornehmen, nicht wieder zu tun, was wir gerade angestellt haben.

Wer wegen falschen Parkens sein Strafmandat bezahlt, bei dem hat sich hier im Herzen vielleicht gar nichts geregt, außer dass er sich darüber geärgert hat, dass er erwischt worden ist. Die Zahlung des Bußgeldes bedeutet in keiner Weise, dass es dem Betreffenden leidtut, dass er falsch geparkt hat, dass er das Falschparken bereut und dass er sich ernsthaft vornimmt, nie wieder da zu parken, wo es nicht erlaubt ist. Der Betreffende wird sich vielleicht vornehmen, sich das nächste Mal nicht erwischen zu lassen. Das hat man beim Falschparken aber nicht so recht in der Hand. Und er wird sich vielleicht sagen: Ab und zu ein Strafmandat, das muss man mit einkalkulieren.

Bei denjenigen damals, die - ähnlich wie das staatliche Bußgeld - den kirchlichen Ablass gezahlt haben, wird es hier drinnen im Herzen vielleicht so ähnlich wie beim Falschparker gewesen sein. Sie wollten sich freikaufen vom Zorn Gottes und wollten so eventuellen weitergehenden Strafen, dem Fegefeuer z. B., vorbeugen - durch die Zahlung des Ablasses. Ob sie ihr Fehlverhalten bereut haben und ob sie sich wirklich bessern wollten, mag dahingestellt sein. Das war an der Zahlung der jeweiligen Geldsumme an den Vertreter der Kirche jedenfalls nicht zu erkennen.

Verkehrsregeln und andere staatliche Regeln und Regelungen und Gesetze, z. B. die Steuergesetzgebung, sind für uns im allgemeinen nicht gerade eine Herzensangelegenheit. Sie sind, so wird das von vielen empfunden, sie sind uns „von oben“ auferlegt. Wir sehen ihren Sinn und ihre Notwendigkeit im Allgemeinen zwar ein, aber sie sind

etwas Fremdes, etwas von außen Kommendes. Wir sind bereit, sie zu respektieren - mehr oder weniger. Wenn sie uns lästig sind, ignorieren wir sie auch mal, umgehen sie mal, übertreten sie mal, solange wir meinen, es würde keiner merken oder wir würden schadlos davonkommen. Manche meinen sogar, es wäre dumm, sich an bestimmte Gesetze zu halten, an manche Steuergesetze zum Beispiel. Wir sind aber ganz froh, dass andere sich an die Regeln und Gesetze halten müssen. Das ist für uns ein Schutz, und wir können die anderen ggf. auf ihre Vergehen aufmerksam machen und sie zur Rechenschaft ziehen.

Vielleicht überzeichne ich das jetzt ein wenig. Aber mir scheint, im Großen und Ganzen ist unser Verhältnis zu den Gesetzen doch in etwa so wie geschildert: Wir empfinden sie als ein notwendiges Übel. Sie sind uns keine Herzensangelegenheit. Wir verhalten uns ihnen gegenüber so, wie es uns gerade - ich sag’s mal salopp - in den Kram passt.

So ähnlich ist unser Verhältnis nicht nur den staatlichen Regelungen und Gesetzen gegenüber. Auch die biblischen Gebote, die 10 Gebote und die vielen anderen in der Bibel, sind schon von den Menschen damals als etwas Fremdes empfunden worden. Die Gebote waren auf Steintafeln geschrieben, so schildert es das Alte Testament. Eigentlich hatten sie ins Herz geschrieben sein sollen. Aber da hinein sind sie eher selten gelangt.

Und das kann dann doch sehr problematisch sein. Das haben auch Menschen der biblischen Zeit erkannt. Gebote und Verbote sollen einen guten Zweck erfüllen, sie sollen unserem menschlichen Miteinander dienlich sein. Wenn sie aber eher je nach persönlicher Interessenlage gebraucht oder besser gesagt „missbraucht“ werden, können sie im Einzelfall vielleicht sogar mehr schaden als nützen.

Ähnlich wie mit den staatlichen Autoritäten, die viele Menschen als „die da oben“ empfinden, so haben viele Menschen auch den göttlichen Gesetzgeber, Gott selbst also, als „den da oben“ empfunden, als einen Fremden, den man gelegentlich ganz gut gebrauchen kann, den man sich gelegentlich aber auch auf Distanz halten sollte und dessen Willen man beachten oder missachten könnte, ganz wie es einem, ich sag’s noch mal salopp, in den Kram passt.

So neutral und distanziert und zweckgebunden, sollte unser Gottesverhältnis nicht sein - das haben die Menschen der biblischen Zeit schon so empfunden. Aber wie kommt man an das Herz des Menschen heran?! Wie kann es zu einem persönlicheren Verhältnis von Gott und Mensch kommen? Zu einem persönlicheren Verhältnis, zu einer persönlichen Beziehung? Denn in einer - wahrhaftigen - persönlichen Beziehung ist das Miteinander eine Herzensangelegenheit. Da gibt es auch Regeln, Etliches, was man darf und was man nicht darf, aber das ist dann nicht etwas Fremdes, sondern eine Herzenssache - um der Beziehung zueinander willen.

Wenn sich zwei Menschen gernhaben und z. B. vereinbaren, mittags um 13 Uhr gemeinsam zu essen, werden sich beide bemühen, diesen Termin einzuhalten, nicht nur, weil es eine Vereinbarung gibt, sondern weil sich beide gernhaben und die Vereinbarung dem guten Miteinander dient. Da ist das Vorrangige die Herzensbeziehung und nicht die formelle Anforderung. Vorrangig ist der innere Wunsch, verlässlich zusammenzukommen und es schön miteinander zu haben.

So sollte auch unsere Gott-Mensch-Beziehung sein, so persönlich. Ja, so persönlich ist sie eigentlich gemeint, sagen uns die biblischen Autoren. Zwischen Gott und Mensch besteht eine ganz persönliche Beziehung, eine Art Liebesbeziehung. Das müssten wir uns nur noch einmal klarmachen. Das war eigentlich immer so, sagen sie, nur haben wir es nicht immer so recht wahrgenommen.

Damit wir dies nun aber noch einmal ganz klar und deutlich sehen und erfahren und begreifen, kommt Gott selbst, so schildert es uns das Neue Testament, kommt Gott selbst in menschlicher Gestalt, in Jesus Christus nämlich, zu uns und praktiziert diese Liebesbeziehung und ruft zur Gegenseitigkeit auf und ruft dazu auf, die Gebote nicht mehr als etwas Fremdes zu betrachten, sondern als inneren Bestandteil dieser Liebesbeziehung.

Dieser Aufruf ist in unserem heutigen Predigttext formuliert, im Johannesevangelium, Kap. 15, wo Jesus sagt: „Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe. Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe, wie ich meines Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe. Das sage ich euch, damit meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde. Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe.“

In einer Liebesbeziehung ist die Beachtung der Spielregeln, die dem gemeinsamen Wohl dienen, nichts Erzwungenes, sondern eine Herzensangelegenheit. Wenn wir gegen diese Regelungen dann doch einmal verstoßen, macht es keinen Sinn, ein kaltes Geldstück auf den Tisch zu legen, um auf diese Art die Sache zu bereinigen. Da wäre dann vielmehr eine aufrichtige persönliche Entschuldigung das Richtige, dass wir also z. B. sagten: „Es tut mir leid, das wollte ich eigentlich gar nicht, ich will’s nicht wieder tun.“ Und man kann überlegen, wie man den entstandenen Schaden wiedergutmachen kann, vielleicht auch durch etwas Materielles, aber nicht um sich freizukaufen, sondern als ein sichtbares Zeichen dessen, dass einem die Sache leidtut, also durch einen Blumenstrauß z. B. als Zeichen des Wunsches nach Versöhnung. Dem anderen bleibt dann die Freiheit zu verzeihen und seinerseits zu sagen (oder zu denken): „Ich sehe deine Reue und deinen Wunsch nach einer Heilung der gestörten Beziehung. Ich akzeptiere deine Entschuldigung und bin bereit, das Meine zu tun, damit wieder alles gut wird und es gemeinsam gut weitergeht.“

So ähnlich hat Martin Luther das damals gemeint, als er sich mit seinen Thesen gegen den Ablass aussprach. Er hat sich natürlich viel gewählter ausgedrückt, in lateinischer Sprache außerdem, so dass zunächst einmal nur die Gelehrten überhaupt wahrnehmen konnten, was er sagen wollte. Aber im Grunde ging es ihm um die persönliche Gott-Mensch-Beziehung, um dieses Liebesverhältnis, in dem Geld keine Rolle spielen darf, sondern in dem es um das Herz geht, um die Bekehrung des Herzens und um das Geschenk der Vergebung.

Worum es Martin Luther ging, das ist aktuell wie eh und je und betrifft, wie wir gesehen haben, sowohl unser Gottesverhältnis als auch all unsere zwischenmenschlichen Beziehungen. In beiden Beziehungen ist unser Herz gefragt. 

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, am 4. November 2001)

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