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2. Sonntag nach Epiphanias (19.1.25)


Wollen, aber oft nicht können

18. Januar 2004

2. Sonntag nach Epiphanias

Römer 12,9-16


„Die geschwisterliche Liebe unter euch sei herzlich. Einer komme dem anderen mit Ehrerbietung zuvor. Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. ... Übt Gastfreundschaft ... Segnet, die euch verfolgen ... Seid eines Sinnes untereinander ... Freut euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden ...“ Der Apostel Paulus gibt mit diesen Worten den Gemeindegliedern in Rom – und damit auch uns – eine Reihe ethischer Empfehlungen.

Wie hören wir das, was er da sagt?

„Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt!“ – „Ist ja richtig, was er da sagt“, werden wir vielleicht denken. Träge sollen wir nicht sein, faul schon gar nicht. Fleißig sollten wir sein, alle Aufgaben am besten immer gleich erledigen. Wollen wir ja auch, nehmen wir uns ja auch immer wieder vor! Aber das ist ja nicht so einfach. Hier oben im Kopf haben wir das schon klar: Wenn der Wecker klingelt, am besten gleich aufstehen! Aber unser Körper sagt uns: „Ach, noch einmal auf die Seite drehen!“ Und schon sind wir wieder zu spät dran! Wie sagt Paulus an anderer Stelle so treffend? „Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach!“

Das ist vielleicht das erste, was wir immer gleich mithören, wenn uns einer eine ethische Empfehlung gibt: dass uns unsere innere Stimme sagt: „Ja, ja, recht hat er, aber ...“

Wir haben als menschliche Wesen diese zwei Seiten: die körperliche und die geistige. Wir sind Körper und Geist, wir schleppen diese träge Masse mit uns herum, die oftmals nicht so will, wie wir wollen, und oft gar nicht so kann, wie wir wollen, und oft auch etwas ganz Anderes will, als wir wollen. Manchmal haben wir wirklich das Gefühl, dass wir eigentlich zwei Personen in einer sind, die sich oftmals überhaupt nicht einig sind und ziemlich oft in Kampf und Streit miteinander liegen – und wo dann wirklich die Frage ist: Wer wird obsiegen: Ich oder mein – verzeihen Sie – mein innerer Schweinehund? „Was ich will, das tue ich nicht – und was ich nicht will, das tue ich“, sagt Paulus an anderer Stelle.

Es ist gut, sich das ab und zu mal wieder klar zu machen: dass wir selbst uns selbst ziemlich heftige Gegner sind. Wenn wir uns mit anderen streiten, dann sollten wir vorsichtshalber erst einmal in uns selbst hineinschauen, ob der Streit nicht in unserem Inneren seine Wurzeln hat – und ob wir nicht den eigenen Streit in uns und mit uns selbst nach außen verlagern, wir uns also einen Außenstehenden gesucht haben, in dem wir nun unser eigenes Ich bekämpfen. Schuld hat immer der andere, weil ich meinen Schuldanteil in den anderen hineinverlagert habe.

Ich will jetzt aber unsere körperliche Seite nicht nur schlechtmachen. Das wäre überhaupt nicht gut. Unser Körper ist nicht nur diese träge, eigenwillige, triebgesteuerte Masse, die wir mit Verstand und Vernunft und unserer besseren Einsicht nur so schwer und oft gar nicht unter Kontrolle kriegen.

Unser Körper ist auch und überhaupt die Basis unseres Lebens, das Grundorgan unseres Lebens sozusagen. Ohne den Körper wären wir ja eigentlich gar nicht da. Wir wären gar nicht existent, wenn da nicht aus fast nichts diese Menge an Masse entstanden wäre. Also wollen wir doch erst einmal dankbar dafür sein, dass wir den Körper haben, dass wir überhaupt da sind und dass wir durch den Körper mit seinen diversen Sinnesorganen überhaupt etwas wahrnehmen können von uns selbst und von der Welt um uns herum. Das Sehen und Hören, das Schmecken und Fühlen, das macht das Leben doch ziemlich aufregend. Die vielen wunderbaren Farben der Natur und der Kunst, die schönen Klänge, die Stimmen, das Vogelgezwitscher und die Musik, das Essen und Trinken, die Wärme, die körperliche Berührung. Das alles kann so wunderbar sein.

Der Körper macht doch das Leben erst richtig zum Leben!

Und auch der Geist, der Verstand, die Vernunft, braucht dieses Trägerorgan. Auch zum Denken brauchen wir diese träge Masse – als Hardware sozusagen. Und wir brauchen all die Sinnesorgane des Körpers, damit die graue Masse hier oben überhaupt an Daten herankommt und die Daten aufnehmen, sammeln und speichern, vernetzen und verarbeiten kann.

Der Körper ist nötig. Er macht uns nicht nur des Öfteren zu schaffen und hält uns nicht nur immer mal wieder davon ab, vernünftigen ethischen Empfehlungen zu folgen. Er liefert uns auch vielerlei Schönes. Das wollen wir mit Dankbarkeit festhalten.

Wenn Mann und Frau, die sich ein Kind gewünscht haben, schließlich den Leib des neugeborenen Kindes in den Händen halten, dann merken sie, dass der Leib der Ernstfall des Lebens ist. Da geht es dann so richtig los, wenn der Gedanke, wenn der Kinderwunsch leibhaftig Gestalt angenommen hat, wenn aus der Liebe zueinander ein Mensch geworden ist.

Und wenn es dann also durch den Beginn der leiblichen Existenz mit dem Leben so richtig losgeht, dann geht es eben los in dieser Mehrdimensionalität, dann ist sofort und für immer beides zugleich da: Freud und Leid, Lust und Schmerz, Werden und Vergehen. Mit dem Beginn des Lebens ist sofort auch das Ende des Lebens unausweichlich.

Je mehr wir heranwachsen und je mehr sich unsere graue Masse hier oben im Kopf mit Daten füllt und je mehr wir uns unserer selbst und unseres Daseins bewusst werden, desto mehr stehen wir vor der Aufgabe, all diese diversen, auseinanderliegenden Teile dessen, was das Leben ausmacht, zusammenzubringen.

Und dann werden wir über kurz oder lang das nächste Problem haben: dass wir uns nicht nur in einem Dauerkampf zwischen Geist und Körper befinden, sondern dass sich auch innerhalb unseres Geistes ein Kampf entfaltet zwischen unterschiedlichen Ideen und Konzepten.

„Seid eines Sinnes untereinander“, empfiehlt uns Paulus. Aber bin ich denn überhaupt eines Sinnes mit mir selber? Wenn mir jemand auf die linke Wange haut, will ich ihm dann wirklich noch die rechte hinhalten oder sollte ich ihm dann nicht lieber – vernünftigerweise vielleicht sogar – auch eine schmerzhafte Lektion verpassen, damit er es sich beim nächsten Mal dreimal überlegt, ob er mir wirklich etwas antun will?!

Da beginnt dann ein geistiger Streit in mir selber. Irgendwie muss ich dann nach Orientierung suchen. Ich kann mich umhören, Rat einholen, mit diesem und jenem sprechen, die Zeitung lesen, auf den Bildschirm schauen. Vielleicht greife ich dann u. a. auch mal nach dem Buch der Bücher. Vielleicht stoße ich dann auf die Stelle von heute, auf den Abschnitt bei Paulus aus dem Römerbrief, Kapitel 12. Wenn ich dann lese: „Segnet, die euch verfolgen!“, wie höre ich das dann? Mit dieser Frage sind wir dann wieder am Anfang unserer Predigt.

Wie hören wir das, was uns Paulus hier an ethischen Empfehlungen gibt? Hören wir seine Empfehlung als weltfremde Zumutung? Sehen wir seinen moralischen Zeigefinger vor uns und fühlen wir uns vielleicht etwas gedemütigt durch seinen hohen Anspruch? Oder hören wir in seinen Worten die Stimme eines weiten Herzens, das auch die unliebsamen und unbequemen und feindlich gesonnenen Menschen mit einschließt? Hören wir aus seinen Worten vielleicht sogar eine höhere Vernunft, vielleicht sogar eine höhere politische Vernunft?

Wie wir die Worte des Paulus hören, wird von unserer Voreinstellung abhängen, unserer inneren Verfasstheit, von unserer Stimmung, unseren Erfahrungen, unserer Grundeinstellung zum Menschen, zum Leben – und auch davon, in welcher Weise uns die Worte des Paulus angetragen werden.

Es sind jedenfalls besondere Worte. Paulus schreibt sie auf dem Hintergrund der Christenverfolgungen in Rom. Er weiß, was er sagt. Die Zumutung an seine von Christenverfolgung bedrohten Mitchristen ist gewollt. Diese Zumutung ist nicht willkürlich gewählt. Sie entspricht dem, wie Paulus Christus versteht, der ja auch verfolgt, gefangengenommen und hingerichtet worden ist und der die Welt und das – in Anführungszeichen – „böse Menschengeschlecht“ nicht mit Rache und Vergeltungsgedanken hinter sich gelassen hat.

Für Paulus verkörpert Christus die Unerschütterlichkeit der Liebe zum Menschen. Er hat sich durchaus gefragt: „Womit hat der Mensch so viel liebevolle Treue verdient?“ Paulus ist zu der Antwort gelangt: Der Mensch hat sie nicht verdient. Aber sie ist ihm geschenkt. Sie ist der ganzen Menschheit geschenkt. So, wie Eltern ihrem eigenen Kind ihre Liebe schenken – ganz voraussetzungslos, einfach, weil es ihr Kind ist.

Diese ihm geschenkte Liebe Gottes hat Paulus als Auftrag angenommen, davon weiterzugeben und im praktischen Leben alles zu tun, was dieser Liebe zum Menschen entspricht. Darum formuliert er hier ein paar ethische Empfehlungen an seine Gemeinde in Rom.

Der eine oder andere mag seine Empfehlungen teilweise für weltfremd halten: „Segnet, die euch verfolgen“, zum Beispiel. Aber wir sollten die reale, verändernde Kraft solcher Worte nicht unterschätzen. Dieser Aufruf zu nachsichtigem, vergebendem, friedfertigem, liebevollem Umgang miteinander hat schon viel Gutes bewirkt.

Solche guten Worte sind für unsere Gesellschaft wie das Salz in der Suppe. Sie geben unserem Leben miteinander einen anderen Geschmack, den Geschmack von Freundlichkeit und Menschlichkeit und Liebe, von Himmlischem im Irdischen.

Es sind gute Empfehlungen, die Paulus uns hier für unser Miteinander gibt. Es sind gute Worte. Es gibt auch ganz andere Worte aus anderen Quellen, die in unserer Welt viel Unheil anrichten.

Also lassen Sie uns immer wieder nach guten Worten suchen, einander gute Worte sagen und gute Worte mit offenem Herzen in uns aufnehmen.

Wenn die träge Masse unseres Körpers sich auch immer mal wieder als widerspenstig erweist und die unterschiedlichen Ideen und Konzepte in unserem Hirn und Herzen miteinander und gegeneinander streiten, dann ist es doch schön und wichtig, hilfreich und heilsam, wenn wir eine Ermutigung des Paulus hören wie diese: „Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.“

(Predigt in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 18. Januar 2004)

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