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19. So. nach Trinitatis (27.10.19)


„Empfange dich neu!"

17. Oktober 2004

19. Sonntag nach Trinitatis

Epheser 4,22-32


Dieser Predigttext handelt vom alten und vom neuen Menschen. Der Schreiber des Textes – es könnte Paulus oder ein Schüler von ihm gewesen sein – fordert uns auf: „Legt den alten Menschen ab, zieht den neuen Menschen an!“ 

Der alte Mensch, das ist der mit den Schwächen, Fehlern, Verfehlungen, der Mensch, wie er nicht sein sollte und wie er vom Schöpfer nicht gemeint war, wie er faktisch aber doch ist. Der neue Mensch ist der, in dem alle Mängel überwunden sind und der dem Bild des Schöpfers entspricht.

Dass wir Wesen mit Fehlern sind, erleben wir wohl alle und jeder auf seine Weise und in unterschiedlicher Intensität. Manchem gefällt schon die eigene Nase nicht und er lässt sie zurechtbiegen durch eine plastische Operation. Eine Mitdreißigerin erschreckt beim Blick in den Spiegel ob der Ränder unter ihren Augen und erkundigt sich nach der Möglichkeit eines Lifting. Andere leiden an ihren ständigen Verspannungen, an ihrer Vergesslichkeit, an ihren Konzentrationsstörungen und nehmen an irgendwelchen Kursen und Behandlungen teil und genehmigen sich ein Sport- und Fitness-Programm. Andere wiederum leiden daran, dass sie viel zu gerne Geld ausgeben, dass ihre Konsumwünsche unermesslich sind, dass sie gierig und geizig sind und neidisch, dass sie ungerecht, unehrlich, gemein und machtbesessen sind. Und wenn wir das alles nicht an uns selbst wahrnehmen, dann doch ohne Weiteres an anderen. Gerade der Blick auf andere macht uns unausweichlich klar, dass der Mensch wirklich nicht so ist, wie er sein sollte. Spätestens der Blick in die Zeitung und auf den Bildschirm macht uns das immer wieder in oftmals zutiefst erschreckender Weise klar.

Der Schöpfer selbst hatte an seiner „Kreatur Mensch“ gelitten und war enttäuscht und entsetzt gewesen über das, was er da geschaffen hatte und hatte nach einer Sintflut alles noch einmal von vorn beginnen wollen. Aus der Familie Noah ist dann aber auch nichts Besseres erwachsen. Das Problem ist geblieben: Der Mensch war auch künftig nicht so, wie er vom Schöpfer gemeint war, wie er sein sollte und wie wir ihn ja eigentlich auch gern hätten und wie wir gern selbst wären. Wie aber kommen wir da hin, dass wir ein neuer Mensch im Sinne des Schöpfers werden?

„Erschaffe Dich neu!“ heißt es in einer Werbebroschüre eines der Fitness- und Wellness-Clubs, die allenthalben immer neue Filialen eröffnen. Diese Aufforderung ist als Einladung zur Nutzung des Schwimmbades, der Sauna, des Whirlpools, des Türkischen Dampfbades, der Trimm-dich-Geräte, der Ruheräume, der Massagen usw. gemeint. Das ist auch alles gar nicht verkehrt. Es ist gut, wenn wir etwas für unseren Körper tun. 

Zu biblischen Zeiten mag das vielleicht nicht so wichtig gewesen sein. Aber bei dem heutigen verbreiteten Bewegungsmangel und der Überlastung unserer Hirne und Herzen durch endlose mediale Einflüsse kann jedes Angebot zur körperlichen Betätigung und zur Entspannung hilfreich sein. Auch in einer Fitness- und Wellness-Einrichtung kann man mal die Seele baumeln lassen, Energie auftanken und sich am Ende wie neu geboren fühlen. Wir wollen nicht unterschätzen, dass sich körperliches Wohlbefinden wohltuend auf unser seelisches Befinden auswirken kann. 

Das gilt umgekehrt auch. Wenn wir seelische Probleme haben, können wir auch körperlich krank werden. Oftmals bieten Fitness- und Wellness-Programme darum auch Kurse, Meditationskurse an, um auf die Seele einzuwirken. Ich weiß nicht, wie das da im Einzelnen vor sich geht. Im Grundsatz steht dahinter aber eine begrüßenswerte Einsicht: dass nämlich der Mensch aus Körper, Geist und Seele besteht, dass alles der Pflege bedarf, dass wir selbst das eine und andere tun können, ansonsten aber einfach nur die diversen Maßnahmen auf uns einwirken lassen können, in der Hoffnung und Erwartung, dass uns das gut bekommen wird. Sich entspannen und sich selbst loslassen und sich dann neu empfangen – das kann ein heilsamer Weg sein.  

An diesem Punkt haben wir als Christen vielleicht ein gemeinsames Gesprächsthema mit den Buddhisten, deren Zeichen und Bilder und Statuen die Besucher mancher Fitness- und Wellness-Einrichtungen begrüßen und begleiten. 

Wenn uns der biblische Text auffordert, den Schritt vom alten zum neuen Menschen zu vollziehen, dann meint er allerdings noch einen anderen Aspekt, der in den Fitness- und Wellness-Zentren wohl kaum jemals zur Sprache kommen wird. Er meint vor allem unser ethisches Verhalten. 

Dass der Saunagang ein geeignetes Mittel z. B. gegen Geldgier und Geiz sein könnte, ist eher zu bezweifeln. Vielleicht nutzt der Nutzer der Sauna die Gelegenheit sogar eher, um entspannt darüber nachzudenken, wie er durch raffinierte – oder gar unrechtmäßige – Steuerersparnis  sich das Geld zueignen kann, das er braucht, um sich die in der Regel gar nicht so niedrige Mitgliedergebühr des Fitness- und Wellness-Clubs überhaupt leisten zu können. 

Der Mensch als ethisches Mängelwesen ist ein Thema für sich und kein Thema für die Fitness- und Wellness-Einrichtungen. Da wäre nämlich mehr Kritik am Menschen mit verbunden, als sich die Fitness- und Wellness-Einrichtungen überhaupt leisten könnten, ohne dann eventuelle Kunden zu verlieren. 

„Erschaffe dich neu“ im Sinne des biblischen Textes ist eine Aufforderung zur Änderungen unseres ethischen Verhaltens: „Hört auf, euch durch trügerische Begierden zugrunde zu richten. Hört auf zu lügen und sagt die Wahrheit. Werdet über euren Zorn nicht ungerecht. Hört auf zu stehlen, sondern geht einer ehrlichen Arbeit nach.Und gebt von dem, was ihr erarbeitet habt, dem Bedürftigen ab. Redet kein faules Geschwätz, sondern sagt, was gut und erbaulich und notwendig ist, damit euer Reden Segen bringt. Hört auf mit Bitterkeit, Grimm, Zorn, Geschrei, Lästerung, Bosheit. Seid vielmehr untereinander freundlich, herzlich und bereit zur Vergebung.“

Das alles ist nicht gemeint, wenn es in der Fitness- und Wellness-Broschüre heißt: „Erschaffe dich neu“, auch wenn da ein ganzheitliches Wohlgefühl für Körper, Geist und Seele in Aussicht gestellt wird.  

Der ethische Wandel ist aber auch erforderlich und dient auch der Wellness, dem Wohlbefinden, und zwar sowohl unserem persönlichen als auch unserem gemeinschaftlichen Wohlbefinden. Wie gut würde es uns allen gehen, wenn wir alle den Aufforderungen des biblischen Textes nachkommen würden! Aber das zu sagen, ist wohl uns vorbehalten – als Kirche. Das dürfen Sie auch erwarten: dass wir seitens der Kirche auch an das Gewissen appellieren und zur selbstkritischen Betrachtung und zur Änderung unseres ethischen Sinnes und Verhaltens aufrufen. Das ist Teil unseres Auftrags und unseres Dienstes am Menschen im Namen Gottes und seines Sohnes Jesus Christus.

Wir alle wollen ja im Grunde unseres Herzens lieb und gut sein. Es fällt uns oftmals nur so schwer, das auch in Wirklichkeit umzusetzen, was wir für gut und richtig und wohltuend befunden haben. Der alte Mensch in uns hat uns eben ziemlich fest im Griff. Da hat die Sintflut nicht geholfen. Da haben die 10 Gebote nicht geholfen, da haben die Mahnungen und Versprechungen der Propheten nicht geholfen. 

Da hat der Schöpfer am Ende offenbar nur noch eines tun können – und dass er das getan hat, dafür können wir nur dankbar sein: dass er uns Christus gesandt hat als lebendiges Zeichen der Vergebung. 

Wir dürfen gewiss nicht behaupten, dass sich der Schöpfer damit abgefunden habe, dass wir unverbesserlich sind. Nein, das nicht. Seine Erwartung an uns, dass wir uns ethisch möglichst optimal bemühen, bleibt bestehen. Aber nach jedem Scheitern sollen wir die Chance zu einem neuen Anfang haben, wenn wir unser Fehlverhalten wirklich bereuen und wir wirklich zur Umkehr und zur Besserung bereit sind. Das ist eben seine Liebe zu uns. Eine solche Chance zur Umkehr geben ja auch liebevolle Eltern ihren Kindern tagtäglich etliche Male und dies über Jahre. Wir alle sind auf diese Chance angewiesen – unser Leben lang. Ja, der Mensch ist grundsätzlich darauf angewiesen – wegen seines unvollkommenen Wesens. Und diese Chance ist uns gegeben – das ist die frohe Botschaft, das ist das eu-angelion, das Evangelium. 

Diese Wohltat wird uns zeichenhaft übrigens auch durch Wasser zuteil, durch das Taufwasser nämlich als Zeichen der zuvorkommenden Vergebung Gottes. Nach der ersten leiblichen Geburt aus dem Fruchtwasser heraus nennen wir die Taufe darum eine zweite, eine neue Geburt. 

In der Wellness-Werbung heißt es übrigens: „Eine Vielzahl von Wellness- und Fitness-Angeboten hilft ihnen dabei, sich schon bald zu fühlen wie neu geboren. Dabei setzen wir auf die belebende und heilende Wirkung von Wasser.“

Es ist gut, dass es die, fast hätte ich gesagt – dass es die „Fitness- und Wellness-Tempel“ gibt. Sie erfüllen ihren guten Zweck. Aber die Kirche mit ihrer speziellen Botschaft ist auch und ganz besonders vonnöten. 

Den alten Menschen ablegen, den neuen Menschen anziehen, dazu ruft uns der Bibeltext auf. Sich selbst neu erschaffen – ich würde lieber sagen: Von sich selbst loslassen und sich immer wieder neu und erneuert empfangen aus der Hand Gottes. 

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 17. Oktober 2004)

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