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13. Sonntag nach Trinitatis (25.8.24)


Auch Anderen Gutes zutrauen

14. September 2003

13. Sonntag nach Trinitatis 

Lukas 10,25-37


Zivilcourage aufzubringen, ist nicht ganz einfach. Die wenigsten von uns werden sich zu großem Heldentum aufschwingen. Aber manchmal befinden wir uns mit unserem Verhalten einfach hart an der Grenze zur Bequemlichkeit oder gar Gleichgültigkeit. Uns diesbezüglich kritisch zu überprüfen, dazu gibt uns das Gleichnis vom barmherzigen Samariter einen Anstoß. Wir können wohl alle nur hoffen, dass uns in einer konkreten Situation doch die erforderliche Zivilcourage zuwächst. 

Das Gleichnis kann uns dazu anregen, unsere Einstellungen und unser Verhalten zu überprüfen. 

Richten wir unser Augenmerk einmal auf den Tatbestand, dass es sich bei dem Helfer um einen Samariter handelt, um den Angehörigen einer Volksgruppe, die unter den Menschen in Israel damals ein eher geringes Ansehen hatte, weil man bei ihnen die Nähe zu fremden Religionen, zum Heidentum vermutete. Sie waren aus jüdischer Sicht quasi keine Rechtgläubigen. Gerade ein Angehöriger aus dieser gering geachteten Volksgruppe bringt den Mut zum Helfen auf. Wenn Jesus eine solche Geschichte erzählt, dann steckt darin vielleicht eine Warnung vor moralischer Überheblichkeit Andersgläubigen gegenüber. 

Geht es uns nicht manchmal auch so, dass wir meinen, christliche Nächstenliebe sei eben typisch christlich, eine christliche Erfindung und Besonderheit, und dass wir den Angehörigen anderer Religionen so etwas gar nicht recht zutrauen. Trauen wir einem Moslem Nächstenliebe zu, einem Hindu, einem Buddhisten – echte, wahre Nächstenliebe – oder machen wir da – vielleicht unbewusst – einen Unterschied?

Mir scheint, dass das Gleichnis vom barmherzigen Samariter vor einer solchen Unterscheidung warnt. Vielleicht ist hierin ein bisschen Polemik enthalten gegen diejenigen, die sich für besonders rechtschaffen und moralisch höherwertig halten. 

Die Zuhörer, denen Jesus das Gleichnis erzählte, werden solche Polemik vielleicht empfunden haben. Sie werden sich über dieses Gleichnis nicht gefreut haben. Es war ein Schriftgelehrter, der Jesus fragte, wer denn sein Nächster sei. Mit den Schriftgelehrten hat Jesus beständig seine Schwierigkeiten gehabt, weil sie ihn nicht verstanden haben und seine ungewöhnlichen Einstellungen nicht akzeptieren mochten. Und wenn unter den Zuhörern ein Priester war und ein Levit, werden diese sich auch nicht über das Gleichnis gefreut haben. Sie kommen darin ja sehr schlecht weg. 

Es geht bei diesem Gleichnis also über die Frage „Wie viel Mut und wie viel Zivilcourage sind wir bereit aufzubringen?“  Es geht darüber hinaus auch um die Frage: „Wem trauen wir solche Hilfsbereitschaft zu?“ Und es geht um die Frage, ob wir nicht auch Andersgläubigen ein hohes Maß an ethischem Engagement zutrauen sollten, das wir uns im Einzelfall vielleicht sogar zum Vorbild nehmen sollten?

Ich unterstreiche diesen Aspekt der Geschichte jetzt ein wenig, weil wir gerade den 11. September hinter uns haben. Dieses schreckliche Datum kann dazu verleiten – und hat viele Menschen dazu verleitet –, Menschen moslemischen Glaubens nicht viel Gutes zuzutrauen, eher schon eine Menge Böses. 

Vielleicht hätte Jesus uns in dieser Zeit das Gleichnis erzählt als das „Gleichnis vom barmherzigen Moslem“, um uns vor moralischer Überheblichkeit zu warnen. 

Den ersten Christen hatte man auch nicht viel Gutes zugetraut. Jesus selbst ist hingerichtet worden, und in seiner Nachfolge sind viele seiner Anhänger verfolgt und umgebracht worden. Die ersten Christen galten als gesetzlos, weil sie jemandem nachfolgten, der sich über geltende Bestimmungen hinweggesetzt hatte. Diese Unstimmigkeiten führten zu lebensgefährlichen Auseinandersetzungen zwischen der neuen Religionsgruppe und den etablierten Religionen, dem Judentum und auch den nichtjüdischen Religionen. 

Wir sollten aus der Geschichte eine Lehre ziehen und im Sinne des Gleichnisses Jesu von jeder moralischen Überheblichkeit auf unserer Seite Abschied nehmen. Es ist schon immer eine wichtige Aufgabe gewesen, aber für uns ist sie jetzt wieder sehr dringlich: dass wir nach den guten Qualitäten in allen Religionen suchen und wir auch den anderen Gutes zutrauen. 

Ich hatte in dieser Woche Besuch von einem Hindu, der seinerseits das Gespräch suchte in dem Wunsch, Gemeinsames zu finden, das uns über die Unterschiede hinweg helfen kann, in Frieden miteinander zu leben und den Frieden der weltweiten menschlichen Gemeinschaft zu fördern.

Ich habe mich auf das Gespräch gern eingelassen und meine, dass wir als christliche Gemeinde auch da eine Aufgabe haben, die Aufgabe nämlich, uns offen und wohlwollend in den interreligiösen Dialog hineinzubegeben. 

Auch das erfordert schon ein bisschen Mut und Zivilcourage: über den eigenen Bereich hinauszublicken, in dem wir uns so sicher fühlen, und uns den Fragen anderer und den Andersartigkeiten anderer auszusetzen. 

Nun haben wir also zwei kleine Predigten über ein großes Gleichnis. Nun müßte eigentlich noch einer oder eine von Ihnen, liebe Gemeinde, hier nach vorn treten und noch eine dritte Auslegung darbieten. Es gäbe jedenfalls noch sehr viel mehr zu sagen. 

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 14. September 2003)

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