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15. Sonntag nach Trinitatis (8.9.24)


Die Sorge

20. September 2009

15. Sonntag nach Trinitatis

Matthäus 6,25-34


Es geht heute um die Sorge. Und bei der Sorge geht es um das rechte Maß. Wir können uns zu viel sorgen und wir können uns zu wenig sorgen. Der Predigttext heute möchte uns von einem Übermaß an Sorgen befreien und uns zu mehr Gottvertrauen ermutigen.

Unser Text heute richtet sich also nicht so sehr an diejenigen, die sorglos in den Tag hineinleben. Fast möchte ich sagen: „Das sind beneidenswerte Menschen: die nicht immer gleich die Probleme und Risiken sehen und die sich von Warnungen und schlechten Nachrichten nicht allzusehr beeindrucken lassen. Ein gewisses Maß an Unbedarftheit, an Naivität kann uns geradezu als eine Gnade erscheinen, vor allem wenn wir sehen, wie manche andere unter ihren Sorgen leiden.  

Aber wir haben natürlich auch die Aufgabe und die Verantwortung, ein gewisses Maß an Sorgfalt walten zu lassen und in mancher Hinsicht Vorsorge zu treffen. Wer ein Flugzeug baut, muss mit außerordentlicher Sorgfalt vorsorglich so viele Sicherungen einbauen, dass auch im schlimmsten Fall das Flugzeug noch fliegen und sicher landen kann. Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es allerdings auch im besten Fall nicht. Wer deshalb nicht in ein Flugzeug steigt, bei dem stellt sich die Frage, ob die Sorge dann nicht das vernünftige Maß überschritten hat. 

Zur Verantwortung kann es auch gehören, Versicherungen abzuschließen. Die etwas Unbedarften werden vielleicht darauf verweisen, dass meistens ja nichts passiert. Das ist statistisch richtig. Aber es trifft nicht immer nur die anderen. Wir können auch selbst krank werden, einen Unfall haben, einen Sach- oder Vermögens- oder Personenschaden erleiden oder verursachen. Da ist es angemessen, sich durch Abschluss einer Versicherung gegen den zwar seltenen, aber nicht auszuschließenden Fall  eines großen Schadens finanziell abzusichern. 

Es geht um das rechte Maß der Sorge, der Vorsorge, der Fürsorge, der Sorgfalt. 

Was hat nun diese Aussage mit dem christlichen Glauben zu tun? Sie hat insofern mit dem christlichen Glauben zu tun, als es hier um eine grundsätzliche Einsicht in die Merkmale unseres Daseins geht und um die Einsicht in die Möglichkeiten und Begrenzungen und Aufgaben des Menschen und um unser Verhältnis als Menschen zu den Gegebenheiten unseres Seins. 

Wir haben die Grundbedingungen des Seins nicht geschaffen und wir haben sie letztlich auch nicht in unserer Hand. Wir können nur das uns Mögliche tun. Der große Rest, das für uns Unverfügbare, könnte uns in ständiger Unruhe halten und könnte uns in immer neue Sorgen bis hin zu tiefer Verzweiflung stürzen.

Wir könnten aber auch anerkennen, dass der für uns unverfügbare Rest im Verfügungsbereich eines anderen liegt, des letztlichen Schöpfers allen Seins nämlich, und wir könnten uns dazu entschließen, ihm den Rest, das Unverfügbare, anheimzustellen - mit dem Vertrauen, dass er die Dinge für uns gut ausgehen lässt und uns, wenn es doch Probleme geben sollte, die Kraft schenkt, damit fertigzuwerden. 

Die Einsicht in die menschlichen Grenzen, die Anerkennung eines höheren Schöpfers, die Bereitschaft, das Menschenmögliche als unsere Verantwortung anzunehmen, und das Bekenntnis zum Gottvertrauen machen die religiöse Seite des Themas „Sorgen“ aus. 

Gottvertrauen ist etwas Vernünftiges. Es ist nichts Naives, nichts Abstruses. Es ist vielmehr eine Haltung, die sich dem bewussten, denkenden und das Leben bejahenden Menschen geradezu aufdrängt.  

Jesus versucht, seinen Zuhörern die Vernünftigkeit des Gottvertrauens mit dem Gleichnis von den Vögeln unter dem Himmel und den Lilien auf dem Feld klarzumachen. In der Tat ist es doch geradezu unglaublich, wie schön die Blumen sind, ohne dass diese sich selbst um ihre Schönheit auch nur im Geringsten gekümmert und gesorgt hätten. Sie empfangen ihre Schönheit ohne eigenes Zutun und ohne Zutun des Menschen. 

Wir denken natürlich spontan: „Ja, aber beim Menschen ist das anders. Der muss sich schon selbst schöne Kleidung ausdenken und herstellen, sonst sieht er eben nur so aus, wie ihn die Natur erschaffen hat, nicht so schön bunt wie die Blumen.“ Das mag in Bezug auf die Kleidung wohl zutreffen. 

Aber die natürliche Schönheit der Blumen ist ja nur ein Beispiel, ein Beispiel dafür, dass vieles ohne eigenes Zutun schon da ist. Unser menschliches Sein besteht vor allem aus dem, was wir nicht selbst erschaffen haben. Wir haben das Leben nicht erschaffen, wir haben den Erdball nicht erschaffen, wir haben die Natur nicht erschaffen. Das bisschen, was menschengemacht ist, ist wirklich ein verschwindend geringer Anteil des Seins. Und das meiste wurde auch erst kürzlich geschaffen, in den letzten Jahren und Jahrhunderten. Vor fünftausend Jahren gab es kaum Menschengemachtes. Und was sind fünftausend Jahre gegenüber der Ewigkeit des Seins?!

Wir haben Grund zur Bescheidenheit. Wir haben Grund zum Respekt vor den Vorgegebenheiten unseres Lebens. Wir haben Grund zur Anerkennung des unleugbaren Tatbestandes, dass von uns selbst relativ wenig abhängt. 

Aber wie gesagt: Ein gewisses Maß an Gestaltungsfreiheit und Gestaltungsmöglichkeit haben wir, und die sollen wir verantwortlich nutzen. Verantwortlich vor wem? Da kommt wieder das Religiöse und Christliche ins Spiel. Jesus sagt: „Strebt nach dem Reich Gottes, dann wird euch alles andere zufallen.“

Das ist unser Auftrag: dass wir den Willen Gottes, des Schöpfers, zu ergründen versuchen, die gute Richtung, die er in diese seine Schöpfung hineingegeben und uns durch Christus in besonderer Weise aufgezeigt hat, und dass wir unser Denken und Reden und Tun in diese Richtung lenken, ohne allerdings zu meinen, wir könnten den Schöpfer ersetzen. Aber es könnte sein, dass wir noch ganz viel mehr aus der Weisheit des Schöpfers empfangen, wenn wir uns ihr empfangsbereit öffnen. 

Mit der Nahrung ist es ähnlich wie mit der Schönheit. Jesus spricht in seinem Gleichnis von den Vögeln unter dem Himmel: Sie säen nicht, sie ernten nicht - dennoch haben sie zu essen. 

Wir müssen bezüglich unserer menschlichen Weltgemeinschaft allerdings feststellen, dass viele, ja viele Millionen Menschen nicht ausreichend zu essen zu haben, dass viele Millionen Menschen sogar verhungern. Wirkt in dieser Hinsicht der Aufruf zur Sorglosigkeit nicht fast makaber?

Müssten wir nicht vielmehr die Sorglosigkeit der Satten anprangern und auch uns selbst diesbezüglich einmal kritisch überprüfen? Ja, das müssten wir. Dennoch bleibt die Aussage Jesu uneingeschränkt wichtig, und wir hätten gegenwärtig sogar Grund, sie zu unterstreichen.  

Was er nämlich sagen will, ist dies: „Die Grundlage unserer Ernährung ist uns vorgegeben.“ Es gab schon zu essen, als es noch gar keine Menschen gab. Und es gab Zeiten, da hat sich der Mensch ernährt, wie sich die Vögel immer noch ernähren. Der Mensch sättigt sich von dem, was die Natur vorhält. Das gilt auch weiterhin, auch wenn der Mensch durch Ackerbau und Viehzucht manches selbst beiträgt. 

Es versuchen inzwischen zwar einige Firmen, sich z. B. bestimmtes Saatgut patentieren zu lassen. Die Patente, um im Bild zu bleiben, auf die Grundsubstanzen der Natur gehören aber dem göttlichen Schöpfer. Und dabei sollte es auch bleiben.

Die Grundlagen für die Ernährung der Menschen auf unserem Erdball sind uns vorgegeben. Das Problem des Hungers werden wir nicht lösen, indem wir versuchen, dem Schöpfer das Heft aus der Hand zu nehmen. Der Weg zu einer Lösung könnte wohl eher sein zu versuchen, in seinem Heft zu lesen und uns durch ihn anregen zu lassen - unter vollem Respekt vor der Souveränität und Weisheit und Güte des Schöpfers. „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes, dann wird euch alles andere zufallen“, sagt Jesus. 

Sich im rechten Maß sorgen, das ist sicherlich leichter gesagt als getan. Einige von Ihnen haben Zeiten miterlebt, wo Sie selbst vielleicht nicht gewusst haben, was Sie am nächsten Tag zu essen haben würden. Vielleicht haben Sie sich dabei in der Sorge aufgezehrt. Vielleicht hat Sie die Hilflosigkeit aber auch erfahren lassen, dass es ohne Gottvertrauen nicht geht.

Sich sorgen im rechten Maß - zwischen eigenverantwortlichem Tun und der Gelassenheit des Gottvertrauens, um das Ineinander von Beten und Handeln, darum geht es. Gott schenke uns die Weisheit dieses Glaubens.

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, am 20. September 2009)

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