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Pfingstsonntag (4.6.17)


Geistliche Energiezufuhr

15. Mai 2005

Pfingstsonntag

Apostelgeschichte 2,1-18


Vielleicht haben Sie einmal am Totenbett eines lieben Menschen gestanden - oder überhaupt einen Leichnam gesehen. Welch ein Unterschied zwischen dem toten Körper und dem lebendigen Menschen! Es ist ein endloser und ewiger, ein unermesslicher Unterschied zum einen. Zum anderen erscheint der Unterschied fast minimal: als wäre einfach nur das Licht ausgeschaltet. Aber es lässt sich nicht wieder anschalten.

Dem lebendigen Körper von eben fehlt etwas, etwas Unsichtbares, was aber den Unterschied ausmacht zwischen Leben und Tod.

Das Alte Testament schreibt über die Erschaffung des Menschen: „Gott machte den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so wurde der Mensch ein lebendiges Wesen.“ Odem des Lebens, Atem des Lebens, Geist des Lebens - dieses Unsichtbare: Wenn es in den Körper hineinfließt, erwacht der Körper zum Leben, wenn der Zufluss aufhört, erstarrt der Körper im Tod.

Es ist fast so wie - verzeihen Sie diesen Vergleich - wie der Computer zu Hause. Da steht er als Hardware, als lebloses Gerät, tut nichts, sagt nichts, kann nichts. Sobald wir den Einschaltknopf drücken, erwacht er zum Leben und geradezu Unglaubliches lässt sich mit ihm anstellen. Schalte ich ihn aus, ist er wieder wie tot.

Mit dem Menschen ist es nicht so, dass wir ihn ein- und ausschalten könnten, vor allem können wir ihn nicht wieder einschalten. Der Schöpfungsvorgang ist ein einmaliger. Der Lebensgeist wird uns einmal gegeben - für die Dauer einer einmaligen Lebenszeit.

Vielleicht helfen uns diese Überlegungen zu verstehen, dass der Geist des Lebens etwas sehr Reales ist, obwohl man ihn selbst nicht sieht. Den elektrischen Strom sehen wir auch nicht, aber wir erleben seine Wirkung. Es ist wirklich geradezu unglaublich, was alles in Gang kommt, wenn der Strom fließt. Der elektrische Strom selbst interessiert uns in der Regel nicht so sehr, aber das, was er bewirkt. Was er auslöst, war in gewisser Weise vorher schon da, aber als starre Masse. Dann kommt die Energie dazu in Form des elektrischen Stromes und die starre Masse löst sich aus ihrer Starrheit, kommt in Bewegung und entfaltet ihre Potentiale, je nachdem, was in der Masse an Möglichkeiten angelegt ist.

Diese Überlegungen haben durchaus mit Pfingsten zu tun. Denn Pfingsten ist der Moment, um im Bild zu bleiben, in dem der Strom eingeschaltet worden ist. Der Lebensgeist, so beschreibt es die Apostelgeschichte, kommt vom Himmel, eine himmlische Kraftzufuhr ergießt sich in die Jünger und löst in ihnen Aktivitäten aus, die letztlich zur Herausbildung der Kirche geführt haben - und schließlich auch dazu, dass wir hier heute Morgen miteinander versammelt sind.

Als Jesus sie verlassen hatte, zuletzt zu Himmelfahrt, vorher schon einmal bei seiner Kreuzigung, da waren sie wie erstarrt. Denn die Lebenskraft war bis dahin jeweils von ihm selbst ausgegangen. Er selbst war die Stromquelle gewesen, die Quelle der Kraft, des Geistes, zunächst als leibhaftiger Mensch, dann noch einmal kurzzeitig als Auferstandener.

Aber danach, nach seiner Himmelfahrt, waren sie wie abgestellte Hardware. Was Jesus in sie hineingegeben hatte, um es noch einmal in der Computersprache zu sagen: seine Programmierung, nämlich sein Reden und Handeln, all das, was sie an ihm beeindruckt hatte, konnte sich in ihnen nicht entfalten, weil die Energiequelle nicht da war. Das ändert sich schlagartig mit Pfingsten. Pfingsten ist die Kraft wieder da, und sie fließt nun reichlich. Die Quelle, die sich zu Pfingsten aufgetan hat, hat sich als unerschöpflich erwiesen. Den Schalter, sie abzuschalten, hat seitdem niemand mehr gefunden.

Der Geist von Pfingsten speist sich aus einer himmlischen Energiequelle. Sie ist allgegenwärtig, drahtlos. Und die Empfänger sind über den ganzen Erdball verteilt - aufnahmebereite Menschen. Seit zweitausend Jahren lassen sich Menschen vom pfingstlichen Lebensgeist in Gang setzen und entfalten die Gottes- und Menschenliebe, die Jesus Christus gelebt und in seine ersten Jünger hineingegeben hatte.

Sie ist schon etwas Wundersames, diese himmlische Energiequelle. Auch die Quelle der elektrischen Energie ist etwas Wundersames. Und auch die Quelle unserer Lebensenergie, die den Unterschied ausmacht zwischen Tod und Leben, ist etwas sehr Wundersames. So ganz begreifen können wir das alles nicht. Wir können es nur zu beschreiben versuchen, mit Worten und Bildern und Formeln.

Die Apostelgeschichte beschreibt das Pfingstwunder mit den Worten und Bildern der biblischen Zeit: „Es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem die Jünger saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt, wie von Feuer, und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an, zu predigen in anderen Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.“

Das ist nur ein Versuch, in Worte und Bilder zu fassen, was bald nach Jesu Abschied zu beobachten gewesen war: dass nämlich seine Anhänger mit Begeisterung seine Botschaft weitergaben und sie auch in andere Länder trugen, zu Menschen anderer Sprache. Der christliche Glaube ist heute über den ganzen Erdball verbreitet. Die Bibel ist in viele Sprachen übersetzt.

Das ist einfach eine Tatsache. Zu diesem Tatbestand ist es gekommen, weil am Anfang Menschen waren, die - um es mit den Pfingstbildern zu sagen: die „Feuer und Flamme“ waren, begeistert von der Sache Jesu, begeistert von seiner Botschaft und von ihren Erfahrungen mit ihm. Für diese Begeisterung, für die Ausstattung mit dem belebenden aktivierenden Geist nennt die Bibel einen Termin: Pfingsten, 50 Tage nach Ostern, und sie nennt einen Ort: Jerusalem, und sie benennt die Menschen, die mit dem Geist ausgestattet wurden: die Jünger. So fing es an. Und daraus wurde die Kirche. Pfingsten ist die Geburtsstunde der Kirche.

Wir sollten nun noch eines bedenken, was die Art des Geistes angeht, die Art der himmlischen Energiezufuhr. Der elektrische Strom ist eine ziemlich neutrale, gesichtslose Angelegenheit. Der Strom kommt aus der Steckdose. Wo er letztlich herkommt, ist uns eigentlich egal, nur dass uns der Preis noch interessiert. Die Stromerzeuger versuchen zwar, sich interessant zu machen und sich ein persönliches Image zu geben, um die Kunden an sich zu binden. Aber von der Sache her ist es egal, ob der Strom von hier oder von dort kommt.

Das ist mit der himmlischen Energie ganz anders. Der Geist, der die Jünger erfüllt, hat von vornherein ein menschliches Gesicht: das Gesicht Jesu nämlich. Er ist es - er, mit seiner ganz speziellen Art, er ist es, der den Energieschub auslöst. Seine menschlich-göttliche Art. Seine Art, auf Menschen zuzugehen, sie anzunehmen, sich ihrer Not anzunehmen, ihnen zu helfen, ihnen beizustehen, sie gesund zu machen, sie zu trösten, ihnen seine menschliche Nähe zu schenken, ihnen zu verzeihen, ihnen Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen, ihnen Mut zu machen, ihnen Hoffnung zu schenken, ihnen Wege eines sinnvollen Lebens aufzuzeigen. All das, diese seine ganz besondere einzigartartige und unübertreffliche Art ist es, die den Energieschub auslöste. Er ist die Energiequelle.

Es ist so, wie wenn ein bestimmter Mensch den Saal betritt - und alle sind begeistert. Hätte ein anderer Mensch den Saal betreten, hätte sich unter den Anwesenden nichts getan. Es geht um den einen speziellen Menschen, dessen besondere Art die Herzen und Hirne und Leiber in Bewegung zu versetzen vermag.

Als die Jünger in Jerusalem versammelt waren und sie sich über ihren Herrn und Meister unterhielten, muss es für sie in einem bestimmten Moment so gewesen sein, als hätte er jetzt selbst den Raum betreten. Er hatte den Raum nicht selbst betreten. Aber vielleicht waren es ihre Erzählungen, die ihn vor ihren Augen lebendig werden ließen, sodass er sie - auch als Unsichtbarer - mit einer enormen Begeisterung zu erfüllen vermochte.

Für uns kann Jesus mit seiner besonderen Art lebendig werden, wenn wir die biblischen Texte, das Neue Testament lesen oder die vielen Geschichten über ihn hören. Dann mag uns sein Geist erfassen und uns aktivieren oder einfach nur zur Besinnung führen oder uns trösten.

Es geht zu Pfingsten jedenfalls nicht um irgendeinen Geist, sondern um seinen Geist. Die pfingstliche Energiezufuhr hat ein Gesicht, das Gesicht Jesu, es ist sein heiliger Geist, der Geist Gottes.

Dieser Geist löst in uns das aus, was wir mit diesem Geist verbinden, was durch Texte und Erzählungen und Erfahrungen in uns als christliche Grundlage hineingegeben ist. Durch seinen Geist kommt unsere christliche Sozialisierung oder, verzeihen Sie nochmal, unsere „christliche Programmierung“ zur Entfaltung.

Das ist uns allen nur zu wünschen, uns allen und der ganzen Kirche: dass wir uns wieder mehr begeistern lassen, dass wir uns aus einer gewissen Erstarrung befreien lassen und zu lebendigen Christen und zu einer lebendigen Kirche werden. Ein bisschen Belebung tut hier und dort ganz gewiss not.

Möge uns also der Geist Jesu, der pfingstliche Geist erfüllen und in Bewegung bringen - zu unser aller Wohl und zur Ehre Gottes.

(Predigt von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, am 15. Mai 2005)

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