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1. Sonntag nach Weihnachten (29.12.24)


Was bedeutet uns das Christkind?

27. Dezember 2009

1. Sonntag nach Weihnachten 

1. Johannes 1,1-4


An Heiligabend waren die Gottesdienste wieder gut besucht. Weihnachten ist in unserer Gesellschaft wohl das größte Fest. Die Geburt Jesu, vor allem wie Lukas sie erzählt, steht dabei im Mittelpunkt. Der Stall mit Maria und Josef, dem Kind in der Krippe, Ochs und Esel, den Hirten, den Schafen, den Engeln, dem Stern, dann auch den Heiligen Drei Königen, dies alles zusammen macht die Weihnachtsbotschaft anschaulich. Hier vorn ist die Krippenszene aufgebaut - geschaffen übrigens von unserem ehemaligen Diakon Herbert Heidrich. Wir können die einzelnen Figuren nicht nur betrachten, wir könnten - tun Sie es aber bitte nicht - die Figuren auch in die Hand nehmen.

Dies sage ich, weil unser heutiger Predigttext aus dem 1. Johannesbrief mit den Worten anfängt: „Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit unseren Augen, was wir betrachtet haben und unsere Hände betastet haben, das verkündigen wir euch.“

Die Frage ist jetzt: Wenn wir das Weihnachtsgeschehen hören, anschauen und anfassen, welche Botschaft ergeht dann an uns? Vermutlich - trotz aller Anschaulichkeit - keine eindeutige Botschaft. Jeder hört und sieht und empfindet schwerpunktmäßig etwas anderes, je nach persönlicher Voreinstellung und Lebenssituation. Manchem sagt das Weihnachtsgeschehen vielleicht sogar gar nichts. Wenn wir der Krippenszene eine Interpretationshilfe beifügten, dann könnte wohl auch diese sehr unterschiedlich ausfallen, je nach dem, wer sie verfasste.

Insgesamt haben wir aber wohl mehrheitlich doch das Empfinden, dass zu Weihnachten etwas sehr Grundlegendes, Existentielles, für uns alle Geltendes geschieht und vermittelt wird. Worum aber geht es?

Versuchen wir einmal, eine Antwort auf diese Frage aus der Perspektive der einzelnen biblischen Gestalten zu suchen.

Nehmen wir zunächst den alten Simeon, den Greis, dessen letzte Stunde nicht mehr fern war. Wir haben eben in der Evangelienlesung von ihm gehört. Er war ein frommer Mann, erfüllt von der jüdischen Hoffnung auf den Messias. Als er den kleinen Jesus sah, durfte er ihn auf den Arm nehmen. Er erkannte in ihm denjenigen, auf den das jüdische Volk seit Jahrhunderten gewartet hatte: den König mit göttlicher Kraft, der das jüdische Volk aus seinen andauernden Bedrohungen befreien und für alle Welt zu einer Lichtgestalt werden würde.

Für Simeon war dieser Moment wohl überhaupt der größte in seinem Leben. Er preist Gott mit den Worten: „Gott, nun lässt du deinen Diener fahren; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen.“

Wenden wir uns nun einmal den Hirten von Bethlehem zu und vergleichen wir diese mit dem alten frommen Simeon. Die armen, ungebildeten und von den Frommen als Sünder gering geachteten Hirten wussten vielleicht noch nicht einmal so recht etwas von der jüdischen Messiaserwartung. Was ihnen der Engel auf dem Feld verkündet hatte, hatte ihnen nur klar gemacht: „Da ist ein ganz Großer geboren worden - für euch - als Helfer und Heiland.“ Als sie im Stall vor der Krippe standen und das Neugeborene betrachteten, werden sie vielleicht gedacht haben: „Wenn das stimmt, was der Engel gesagt hat, dann wird uns hier eine Ehre zuteil, die uns von unseren Mitmenschen verweigert wird.“ Ja, so werden das die Hirten wohl empfunden haben: dass sie als soziale Randgruppe in dieser heiligen Nacht mit einer großen Würde ausgestattet wurden.

Für sie bedeutete das Jesuskind damit etwas ganz anderes als für den alten Simeon. Denn der ist kein Randständiger gewesen. Sein Problem war es nicht gewesen, von anderen nicht anerkannt zu sein.

Wenn wir nun einmal den Blick auf Maria werfen. Was wird sie wohl empfunden haben, als sie das Neugeborene in der Krippe vor sich sah? Ein Engel hatte ihr die Geburt eines Sohnes von überragender Bedeutung angekündigt. Und da liegt er nun. Muss ihr nicht ganz schwindelig gewesen sein ob dieser immensen Ehre und dieses ganzen wundersamen Vorgangs: sie als einfache Frau Mutter eines Kindes, dem eine große Zukunft vorhergesagt ist? Ging es ihr vielleicht so ähnlich, wie es jungen Frauen gehen mag, die in Königshäuser hineingeheiratet haben und wo nun alle Welt auf das zu gebärende Kind wartet, den nächsten zukünftigen König? Was soll denn eine solche Frau von all den Erwartungen und dann von dem eigenen Kind und von sich selbst denken? Wird das nicht alles viel zu groß für sie sein?

Und wenn wir Josef betrachten: Dem muss doch eher mulmig zumute gewesen sein. Maria bekommt ein Kind, und er soll zu ihr halten - als quasi Ehemann und quasi Vater, obwohl er das eine nicht war und das andere nicht sein sollte. Aber wie sollte er das verstehen? Musste er nicht ein schlechtes Gewissen haben oder die Sorge, dass man schlecht über ihn reden würde? Musste er das Neugeborene nicht als persönliche Belastung empfinden? Er konnte nur ahnen, dass alles doch irgendwie einen unergründlichen guten Sinn haben würde.

Und wenn wir nun noch die drei Könige hinzunehmen, die hier vorn auch als Figuren an der Krippe stehen? Das waren Weise, Sterndeuter, von weither angereist, reiche Leute. Als die vor der Krippe standen - die werden sich doch etwas ganz anderes gedacht haben als die Hirten. Sie waren keine gering geachtete Randgruppe, sie waren gebildete Menschen, sie hatten die Bücher gewälzt, hatten den Sternenhimmel beobachtet und hatten sich auf einen langen Weg in ein für sie fremdes Land gemacht, um dort denjenigen zu finden, mit dem sie große Erwartungen verbanden.

Aber welche Erwartungen denn? Gewiss nicht die Messiaserwartung des alten Simeon, denn sie waren ja keine Juden. Auch nicht die Hoffnung der Hirten, dass ihnen endlich mal jemand Respekt erweisen würde. Das hatten sie gar nicht nötig, weil sie eh hoch anerkannt waren. Und sie hatten auch nicht die persönliche Verbindung zu dem Neugeborenen wie Maria und Josef.

Für sie muss das Neugeborene eine eher überragende Bedeutung allgemein menschlicher Art oder gesellschaftlicher und übernationaler, gar weltpolitischer Art gehabt haben.

Vielleicht reicht dies, um deutlich zu machen, dass verschiedene Menschen sehr unterschiedliche Gedanken, Empfindungen, Erwartungen, Hoffnungen mit dem Kind der Heiligen Nacht verbunden haben werden und verbinden.

Die Anschaulichkeit des Weihnachtsgeschehens, wie vom Evangelisten Lukas aufgeschrieben und wie z. B. hier vorn in Ton dargestellt, verhindert nicht die vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten.

Dennoch ist die Anschaulichkeit des Weihnachtsgeschehens ganz wichtig. Die christliche Botschaft ist eine leibhaftige Botschaft. Sie ist keine Philosophie. Es geht in ihr nicht um die verbale Vermittlung von Gedanken und Worten. Es geht um die leibhaftige Weitergabe der Botschaft. Das macht einen ganz großen Unterschied. Wir können z. B. über Kinder ganz viel reden. Wenn wir ein eigenes, neugeborenes Kind in den Händen halten, dann erleben wir viel mehr, als wir jemals überhaupt in Worte zu fassen vermöchten.

Das Weihnachtsgeschehen enthält eine leibhaftige Botschaft. Sie ist zwar nicht eindeutig. Und ich vermute mal, wir alle, die wir hier sitzen, und mehr noch die Christen in den verschiedenen sozialen Gruppen und die Christen verschiedener Kulturen in aller Welt haben alle ihr eigenes, je besonderes Jesusbild.

Aber da ist doch auch - bei allen unterschiedlichen Verstehens-möglichkeiten - im Wesentlichen viel Gemeinsames, was uns als Christgläubige verbindet - über die äußerliche Tatsache hinaus, dass wir eine gemeinsame heilige Schrift, die Bibel, haben.

Was verbindet den greisen Simeon, die armen, ungebildeten Hirten, die reichen, weisen Heiligen Drei Könige, Maria und Josef untereinander und mit uns und mit den Christen in aller Welt? Was verbindet uns alle im Glauben?

Es ist wohl der Glaube daran, dass wir uns alle mit unseren vielen Unterschiedlichkeiten - aber doch gemeinsamen existentiellen Grundbedingungen - als erbarmungswürdige und geliebte Geschöpfe des göttlichen Schöpfers verstehen dürfen.

Noch einmal: Was uns über alle Unterschiede hinweg verbindet, sind zunächst die existentiellen Grundbedingungen: Wir werden geboren und wir müssen sterben. Wir haben eine begrenzte Spanne Leben und durchleben in dieser Zeit Freud und Leid, Sorgen und Ängste, haben Erfolg und Misserfolg, bewegen uns zwischen Gut und Böse, suchen nach Orientierung, suchen Ziele, streben voran und werden getrieben, werden schuldig, brauchen Anerkennung und Liebe, haben Hoffnungen, erleben Enttäuschungen, versuchen zu verstehen, stehen vor immer neuen Fragezeichen und fragen nach dem Sinn des Ganzen. Diese existentiellen Grundbedingungen gelten für uns alle, ob arm oder reich, ob klug oder ungebildet und egal, in welchem Teil der Welt wir leben. Das ist das eine.

Diese Grundbedingungen unseres Seins sind für uns, für einen jeden Menschen eine ziemliche Herausforderung und nicht selten eine Überforderung. Wir brauchen Unterstützung. Und diese Hilfe, das ist nun das andere, das, was uns im Glauben verbindet: diese Hilfe in den grundlegenden, existentiellen Problemen unseres Seins wird uns durch das Christkind - und dann durch den erwachsenen Jesus Christus - auf sehr liebevolle Weise von höchster, göttlicher Stelle zuteil.

Das ist es, was die Weihnachtsbotschaft aussagt und was wir weitersagen. Möge uns diese wunderbare Botschaft helfen, einem jeden von uns und Menschen in aller Welt. 

(Predigt in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 27. Dezember 2009)

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