Nicht verlängerter Arm des Untäters werden!
Römer 12,21
Dies ist ein Satz gegen das Prinzip der Vergeltung. Interessant sind die Details der Formulierung. Reagieren wir auf eine gegen uns gerichtete böswillige Handlung mit gleicher Tat, so fühlen wir uns gern im Recht. Die gleiche Handlung, mit der uns Unrecht zugefügt wird, empfinden wir als gerechtfertigt, wenn sie gegen den Täter gerichtet ist als Antwort auf die Untat. Unrecht hat, wer zuerst geschlagen hat. Im Recht ist, wer zurückschlägt. Dies empfindet sicherlich nicht jeder so, wie ich es sage, aber es ist doch eine tiefverwurzelte und verbreitete Überzeugung.
Ganz anders Paulus: Die Antwort auf eine Untat ist ebenfalls eine Untat, wenn es sich dabei um eine gleichartige Tat handelt. Die Vergeltung akzeptiert er nicht als Rechtfertigung. Das Böse wird nicht gut, indem es gegen den Verursacher des Bösen gerichtet wird. Es bleibt böse. Das ist das Eine.
Das Andere: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden.“ Den, der Vergeltung übt, charakterisiert Paulus hiermit als schwach. Er ist vom Untäter überwunden worden und hat sich eine Handlungsweise aufdrängen, aufnötigen lassen, hat sich zu einer gleichartigen Tat hinreißen lassen. Er hat sich das Gesetz des Handelns auferlegen lassen. Er ist zum verlängerten Arm des Untäters geworden. Als Vergeltung-Übender ist er nicht Subjekt seines Handelns, sondern Objekt des Anderen. Er macht das Spiel des Bösen mit nach den Regeln des Anderen.
Als Vergeltender kommen wir uns stark vor. Auf Vergeltung zu verzichten, erscheint uns als ein Zeichen von Schwäche. Paulus sieht das anders: Wer vergilt, ist überwunden worden vom Bösen.
Paulus ruft dazu auf, die Position wahrer Stärke einzunehmen, zu tun, was der Untat ein Ende bereitet, nämlich das Böse zu überwinden mit Gutem. Die Handlung muss in sich gut sein und nicht erst einer Rechtfertigung bedürfen, um den Schein des Guten zu erlangen.
Eine solche Handlung darf keine bloße Reaktion mehr sein. Sie muss ein eigenständiger schöpferischer Akt sein, der sich nicht aus der Kraft des Untäters speist, sondern aus einer anderen Kraft, die stärker ist als Zorn und Wut und Gelüste der Rache. Auf ausgleichende Gerechtigkeit im Sinne des Vergeltens mit Gleichem muss verzichtet werden.
Umso klarer heben sich dann allerdings die Konturen der Untat ab, wenn die eine Untat alleine dasteht und keinen Partner zu Seite bekommen hat.
Die letzte Gerechtigkeit möchte Paulus einem höheren Richter überlassen, der über allen Dingen steht. Uns sieht Paulus mit einer bescheideneren Aufgabe betraut, die doch so schwer wahrzunehmen ist: Statt Böses zu vergelten, selbst das Gute zu tun.
(Morgenandacht in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, 21. Oktober 1986)