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3.-9.2.19


Was ans Licht kommt, kann erschrecken und trösten

1. Korinther 4,5b


Paulus wehrt sich gegen Kritik an seiner Arbeit in der Gemeinde in Korinth. Er wehrt sich gegen die Kritik, indem er die Adressaten seines Briefes ermahnt, mit Urteilen, mit Be- und Verurteilungen anderer zurückhaltend zu sein. Ob er ein zuverlässiger Verwalter der Geheimnisse Gottes ist, das zu beurteilen stehe ihnen nicht zu. Das stehe überhaupt keinem menschlichen Gericht zu. Auch er selbst möchte sich dieses Urteil über sich selbst nicht anmaßen. Auch wenn er ein reines Gewissen habe, könne ihn die Stimme seines Gewissens dennoch täuschen. „Mein Richter“, sagt er, „ist allein der Herr. Der bringt auch das Verborgene ans Licht und enthüllt die geheimsten Gedanken.“

Was Paulus da sagt, ist, wenn wir es einmal auf uns persönlich beziehen, erschreckend und tröstlich zugleich. Erschreckend, weil auch wir in der Beurteilung anderer gelegentlich mit Halbwahrheiten und gar Unwahrheiten umgehen und uns dabei bewusst oder unbewusst von unlauteren Motiven leiten lassen. Es kann dann für uns peinlich sein, wenn dies von jemandem durchschaut wird. Die Vorstellung, es könnte einmal alles ans Tageslicht kommen, ans Licht der Wahrheit, ist erschreckend. Denn vor der Wahrheit könnten wir dann nicht bestehen. Wo wir uns jetzt noch mit Rechtfertigungen zu beruhigen vermögen, würden uns dann die ungeschminkten Tatsachen in voller Härte treffen. Das wäre für uns das Schreckliche an der Wahrheit.

Das Tröstliche an Paulus Worten ist, dass wir als Opfer der Unwahrheit rehabilitiert würden. Am Ende wird uns Gerechtigkeit widerfahren, sagt Paulus. Diese Vorstellung kann uns trösten. Denn auch wir werden immer mal wieder oder auch des öfteren verkannt und bewusst oder unbewusst ungerecht beurteilt oder gar verurteilt. Es gehört zu den unangenehmen Erfahrungen, spüren zu müssen, dass wir nicht verstanden werden, dass wir von anderen  getrennt sind durch den Graben des Unverständnisses, des Missverständnisses, der Vorbehalte, der Vorurteile und Vorverurteilungen. Wenn wir in unserem Leben wenigstens einen Menschen finden, von dem wir das Gefühl haben, dass er uns wirklich versteht und uns aus solchem Verständnis heraus begegnet, dann haben wir schon fast mehr, als wir erwarten können.

Das Amt des Richtens sollten wir, so sagt Paulus, Gott, unserem Herrn, überlassen. Nur vor ihm sind alle Dinge offenbar. Seinem Urteil können wir uns anvertrauen. Wir vertrauen darauf, dass er uns in seinem Urteil gerecht wird. Wir wissen jetzt schon, dass wir vor ihm nur bestehen, wenn er gnädig mit uns ist. Allzu selbstverständlich sollten wir seine Gnade für uns aber nicht in Anspruch nehmen. Wenn auch Gott allein der Herr der Wahrheit ist und wir untereinander mit Urteilen zurückhaltend sein sollen, so sind wir doch nicht davon entbunden, uns alle gemeinsam beständig um ein Leben in Wahrheit zu bemühen.

(Morgenandacht von Pastor Wolfgang Nein in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, am 7.2.1984)

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