Predigt, Predigten, Predigtsammlung, Bibelauslegung, Andachten, Morgenandachten, Wochenspruch, Wochensprüche, Hoheluft, Hamburg-Hoheluft, Wolfgang Nein, St. Markus

6.-12.1.19


Biblische Texte, Traditionen und die Wahrheit

1. Johannes 2,8b


Heute haben wir das Epiphaniasfest - das Fest, der Erscheinung Christi, das Fest der Heiligen Drei Könige. Die mazedonisch-orthodoxen Christen feiern heute das Weihnachtsfest in unserer Kirche. Das mag etwas verwirrend erscheinen - und ist es ja auch. Warum sollen wir uns z. B. am heutigen Tag mit den Heiligen Drei Königen befassen, die ja eh nicht mal Könige gewesen sind, wenn das Fest der Geburt doch schon zwei Wochen zurückliegt und die drei weitgereisten Herren, wenn schon, dann ja auch in der Geburtsnacht im Stall gewesen sein müssen - zeitgleich mit den Hirten, in derselben Nacht, in der alle den einen hellen Stern gesehen haben. Oder ist heute das eigentliche Datum - auch für die Hirten?

Am 24. Dezember hatten wir unsere Heilige Nacht. Die orthodoxen Christen feiern heute ihr Weihnachtsfest. Es klingt schon etwas ironisch, wenn ich das so sage, weil uns ja klar ist - und wir uns daran gewöhnt haben –, dass man das alles nicht so wörtlich nehmen darf mit dem Ablauf des biblischen Geschehens und mit unseren kirchlichen Traditionen.

Wer allerdings von außen als Neuling an die Kirche herantritt und in der Kirche das sucht, was auch gemeinhin von Kirche erwartet wird: die Wahrheit nämlich, und dass da etwas Verbindliches gesagt wird, an das man sich halten kann in seinem Leben, an dem man sich orientieren kann, der mag dann wohl doch etwas zu schlucken haben.

Wir haben uns gestern Abend wieder - in unserem neugegründeten Männerkreis - gerade mit dieser Frage beschäftigt, mit der Wahrheitsfrage: Was gilt in der Kirche? Was kann verbindlich ausgesagt werden?

Oder geht es auch in Kirche - wie anderswo - nur um persönliche Meinungen, um Relatives? Ist letztlich etwa alles gleichwertig oder egal, um das ganz negativ auszudrücken?

Dies ist jetzt ein langes Thema. Wir haben auch gestern wieder drei Stunden zusammengesessen. Es ist nicht für jedermann leicht zu verdauen, dass es „die“ Wahrheit nicht gibt - jedenfalls nicht in dem Sinne, dass wir sie erkennen und verbindlich verkünden könnten, auch wenn manche so tun als ob. Auch das, was wir aus den biblischen Texten herauslesen, wird immer nur das sein können, was „wir“ herausgelesen haben. Es wird immer diesen persönlichen Anstrich haben, dieses Subjektive. So, wie unser Auge nur das sehen kann, was es von seinen technischen Voraussetzungen her zu sehen vermag, so werden auch wir nur das wahrnehmen, was wir von unseren persönlichen - und auch kulturell bedingten - Voraussetzungen her wahrzunehmen in der Lage sind. So können wir uns dann letztlich nur in gegenseitigem Respekt über unsere eventuell unterschiedlichen Ergebnisse austauschen.

Vielleicht wird es so sein, wie Paulus es zum Ausdruck gebracht hat: dass die Erkenntnis der vollen Wahrheit einem späteren Zeitpunkt vorbehalten bleibt: „Jetzt sehen wir wie in einem dunklen Spiegel, aber dann erkennen wir von Angesicht zu Angesicht.

(Morgenandacht in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, 6. Januar 1998)

wnein@hotmail.de    © Wolfgang Nein 2013