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1. Weihnachtstag (25.12.18)


Der Allmächtige als Kind

25. Dezember 2007

1. Weihnachtstag 

Johannes 1,14a


Der 1. Weihnachtstag ist mit einem Wort aus dem Evangelium des Johannes im 1. Kapitel überschrieben: 

Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns
und wir sahen seine Herrlichkeit.

Die Weihnachtsgeschichte des Lukas ist so wunderbar anschaulich, dass sie sogar aufgeführt und Kindern nahegebracht werden kann. Der Evangelist Johannes dagegen äußert sich über die Geburt Jesu in recht abstrakten Formulierungen. Beide - Lukas und Johannes - wollen aber im Grunde auf dasselbe hinaus: dass nämlich das Göttliche in unsere menschliche Welt hineingekommen ist in der Gestalt eines Menschen. Johannes sagt: Das Wort wurde Fleisch, das Wort wurde Mensch. Lukas sagt: Gottes Sohn ist geboren. Er stellt dies als ein lebendiges Geschehen dar.

Das Göttliche und das Menschliche, das Himmlische und das Irdische begegnen einander. Gott kommt zum Menschen, der Himmel neigt sich zur Erde. Von zwei grundverschiedenen Bereichen ist die Rede. Auch wer der Kirche und dem christlichen Glauben fernsteht, wird wohl ein Empfinden dafür haben, dass der Bereich des Menschlichen, des Kreatürlichen, der Bereich unserer erfahrbaren Welt eingebettet ist in einen anderen geheimnisvollen, unergründlichen, allumfassenden Bereich, den wir etwas hilflos als den Bereich des Göttlichen, des Himmlischen oder als den Himmel bezeichnen. Es gibt mehr, als was wir sehen und hören, riechen, schmecken und fühlen können. Das ist das Wunder des Daseins. Auf vieles können wir keine Antwort geben. Aber mit unseren Fragen reichen wir in den Bereich des für uns Unergründlichen hinein. 

Vor diesem Unergründlichen könnte man erschaudern. Und in manchen Augenblicken des Lebens ist vielleicht schon jeder von uns von diesem Gefühl der Verlorenheit in diesem unendlichen Universum erfasst worden. Wer nachts allein durch den Wald geht, der hat ja nicht nur Angst vor einem Bösewicht, sondern der wird auch erfasst von einem viel tiefer sitzenden Gefühl der Bedrohung, der Leere und Haltlosigkeit. Wir spüren, wie klein und unbedeutend und wie gefährdet wir sind.

Die Menschen der Bibel waren von Anfang an von dem Glauben erfüllt, dass dieses Große, Allumfassende, Unbekannte nicht ein neutrales Etwas, nicht eine anonyme Schicksalsmacht ist, die in unser Leben eingreift und der wir schutzlos ausgeliefert sind. Sie waren von dem Glauben erfüllt, dass das Geheimnis unseres Daseins persönliche Züge trägt, dass es ein persönlicher Gott ist, der alles geschaffen hat, der hinter allem Geschehen steht und der dem Menschen ganz nahe kommt: Gott, der Vater aller Menschen, der Allmächtige, der Schöpfer des Himmels und der Erde - so wird er genannt.

Natürlich können einem solche Beschreibungen Gottes auch Schwierigkeiten bereiten. Wenn es erneut ein großes Unglück gegeben hat, fragen wir irritiert: „Wo war der allmächtige Gott, der dies hätte verhindern können?“ Natürlich geraten wir mit unseren Beschreibungen Gottes in Schwierigkeiten. Denn alles menschliche Reden von Gott kann nur ein Versuch sein, das große Unbekannte in Worte zu fassen.

Auch das Reden der Menschen des Alten und Neuen Testaments ist der vielfältige Versuch, dem Geheimnis unseres Daseins Ausdruck zu geben in Worten, in abstrakten Worten wie bei Johannes oder in anschaulichen Bildern wie bei Lukas. Es sind die Versuche vieler Menschen zu vielen Zeiten aus den unterschiedlichsten Situationen und Erfahrungen heraus. Was uns da überliefert ist, das lässt sich nicht alles auf einen Nenner bringen, das passt nicht immer alles nahtlos zusammen. Das sollen wir auch nicht erwarten. Denn dann hätte der Mensch das Geheimnis Gottes gelüftet. Davon sind wir aber weit entfernt.

So bleibt weiterhin wahr, was Johannes uns an einer Stelle seines Evangeliums sagt: Da ist das Himmlische und da ist das Irdische. Der von oben her kommt, der ist über allem. Und wer von der Erde stammt, der redet von der Erde her.

Dieses Reden von der Erde her ist ein Reden mit den begrenzten Ausdrucksmitteln unserer Sprache auf der Grundlage unseres begrenzten Verstandes. Wir wüssten gern mehr, und wir hätten gern sicherer gewusst, woran wir mit diesem ganzen Dasein sind. Aber wir bleiben darauf angewiesen zu glauben, uns vertrauensvoll einzulassen auf die uns überlieferten menschlichen Versuche, dem Geheimnis des Daseins ein menschliches Antlitz zu geben.

Gott ist zur Erde gekommen. Der Sohn Gottes ist geboren. Aus jener anderen, für uns nicht zu ergründenden Welt ist einer zu uns gekommen, den wir anschauen können, der uns etwas mitzuteilen hat aus dem Bereich des Himmlischen. Jesus von Nazareth, geboren in Bethlehem - in diesem Menschen haben viele erkannt: Der ist nicht von unserer Welt, der ist aus jenem anderen Bereich, der kommt von oben her.

Wir spüren allen Schilderung über Jesus ab, welchen tiefen Eindruck er auf die Menschen damals gemacht hat. Was er sagte und tat, ist zur Kraft ihres Lebens geworden, zu einer verändernden und neu gestaltenden Kraft, und sie haben in überschwänglichen Worten und Bildern versucht, ihrem Erleben des Göttlichen Ausdruck zu verleihen.

Was wir in manchen Situationen erfahren als die undurchdringliche Schicksalsmacht, vor der man gelegentlich erschaudern könnte, schildern sie uns anhand Jesu Christi als einen liebenden Vater, der auf seine Kinder zugeht, sich ihrer annimmt, so, wie sie sind, der sie tröstet, ihnen hilft, ihnen verzeiht und ihnen auch die Richtung weist. Es ist ein liebender Gott, an den zu glauben die Menschen der Bibel uns werben. Sie laden uns ein, dem Geheimnis unseres Daseins vertrauensvoll zu begegnen, uns nicht irritieren oder gar in Verzweiflung stürzen zu lassen von den Ungereimtheiten dieses Daseins und den vielen erschreckenden Erfahrungen. Sie bringen uns einen Gott nahe, der sich nicht zu schade ist, sich in die Niederungen unserer menschlichen Welt hineinzubegeben, der selbst das Leid auf sich nimmt, der die Nöte der Menschen teilt und der zu dem Leben unter den Bedingungen unseres irdischen Daseins "Ja" sagt.

Die uns von Jesus Christus erzählen, wollen uns zum Leben ermutigen. Wir haben solche Ermutigung nötig. Sie wollen uns trösten - und auch Trost haben wir nötig. Sie wollen uns Maßstäbe des Handelns geben - und auch sie brauchen wir dringend. Und sie wollen uns helfen, mit dem Scheitern fertigzuwerden. Wer bräuchte nicht solche Unterstützung?

Lassen wir uns also auf Johannes und Lukas und die vielen anderen ein, denen wir dieses Geschenk verdanken: Dass sie uns diesen Jesus überliefern, der die Liebe Gottes gelebt und als eine unzerstörbare Kraft in unserer Welt hineingegeben hat. 

(Predigt in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 25. Dezember 2007)

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