Predigt, Predigten, Predigtsammlung, Bibelauslegung, Andachten, Morgenandachten, Wochenspruch, Wochensprüche, Hoheluft, Hamburg-Hoheluft, Wolfgang Nein, St. Markus

Heiligabend (24.12.18)


Die Nacht der Nächte

24. Dezember 1993

Heiligabend

Lukas 2,1-20


Das Licht des Tages erloschen, 

die Stimmen der Menschen verstummt -

mit sanfter Gewalt hat Gott die Welt zur Ruhe gebracht.

Die starken Krieger sind ermattet,

die Ängstlichen können ihre Sorgen vergessen,

die Kranken können sich von ihren Schmerzen erholen -

Gott gibt Schlaf in alle Seelen und alle Leiber.


Es ist Nacht in Bethlehem.

In weichen Betten schlafen, die rechtzeitig kamen.

In einem Stall auf Stroh ein junges Paar, 

draußen, auf bloßer Erde unter dem dunklen Himmel

in wärmendes Fell gehüllt, arme Gestalten.

Es ist Nacht in Bethlehem, es ist Nacht in Jerusalem,

es ist Nacht in Rom.


Es ist Nacht in Bethlehem.

In dieser Nacht geschieht das Wunderbare.

Der Himmel öffnet sich über denen, 

die am geringsten geachtet sind. 

Ein Engel, ein Bote Gottes, tritt zu jenen, die am Boden liegen.

„Fürchtet euch nicht  - habt keine Angst,

ich bringe euch eine gute Nachricht.

Gott meint es wohl mit euch.

Gott schenkt euch ein Kind, seinen eigenen Sohn,

er soll euer Bruder sein - er soll der Bruder aller Menschen sein,

damit endlich Frieden werde auf der Erde. 

Geht hin nach Bethlehem, dort findet ihr den Stall 

und in dem Stall das Kind.

Lasst euch anrühren von dem Kind, lasst euch beschenken.“


So spricht der Engel, und der Himmel weitet sich,

und der Chor der Engel singt den Lobpreis:

„Ehre sei Gott in der Höhe.“

Und die Engel singen den Willen Gottes für unsere Welt:

„Friede auf Erden allen Menschen, seinen geliebten Geschöpfen.“


Als sich die Hirten, vom grellen Licht geblendet

noch die Augen reiben, schließt sich der Himmel

und Dunkelheit umhüllt erneut das Land, doch nicht wie zuvor.

Ein Stern ist aufgegangen, ein großer leuchtender Stern -

in seinem Schein: der kleine Ort, den der Engel genannt hatte.

Die Hirten machen sich auf den Weg, 

sie finden den Stall, sie finden das Kind.

Auf dem Stroh in der Krippe: 

Gott in menschlicher Gestalt - zerbrechlich, arm.

Der Stall: in dieser Nacht das Himmelreich.

Gott gab den Ärmsten der Armen die Ehre. 


Die Mitte der Nacht wurde der Anfang eines neuen Tags.

Die Dunkelheit wich, 

Bethlehem erwachte, Jerusalem erwachte, Rom erwachte, 

die starken Krieger legten wieder ihre Rüstung an, 

die Ängstlichen machten sich neue Sorgen, 

die Kranken litten weiter an ihren Schmerzen.

Das Leben nahm neu seinen Lauf 

in den Bahnen unserer menschlichen Ordnung.

Die Hirten hüteten ihre Schafe,

die Gastwirte wiesen ihren Gästen die Zimmer zu - 

oder ein Notquartier.

Die Beauftragten des Kaisers zogen durchs Land 

und trieben die Steuern ein,

und jeder versuchte zurechtzukommen -

auf rechtem Wege oder auf unrechtem Wege.


Und doch war in der Mitte der Nacht 

ein neuer Tag angebrochen, 

ein neuer Tag, eine neue Zeit.


Der allmächtige Gott hat sich uns in die Hand gegeben.

Er hat sich als hilfsbedürftiges Kind 

in die Hände einer jungen, armen Mutter gelegt.

Er hat sich seiner armseligen, verängstigten, geschundenen 

Kreatur gleichgemacht.

Er geht den Weg der Schmerzen, den Weg der Einsamkeit, 

den Weg der Entbehrungen, den Weg der Verfolgung, 

der Erniedrigung, der Geißelung ... bis ans bittere Ende.

Er geht den Weg der Hingabe.


Die Geburt jenes Kindes, die Geburt des Christus 

ist zu unseren Gunsten geschehen -

ein Geschenk der Liebe 

und eine Herausforderung zur Liebe.


Seit jener Nacht sind die Leiden der Menschen 

nicht weniger geworden.

Doch unser Leiden ist nun auch Gottes Leiden. 

Das Kind in jener Nacht war ein Kind wie viele Kinder,

und seine Eltern waren wie viele Eltern.

Die Hirten betrachteten das Kind mit den Augen des Glaubens.

So konnten sie wahrnehmen, dass es ein göttliches Kind war.

Wenn wir einander mit solchen Augen des Glaubens betrachten,

dann mag es wohl sein, 

dass auch wir das Göttliche im Mitmenschen erkennen.  


Die Welt hat sich dem Augenschein nach

seit jener Nacht in Bethlehem nicht zum Besseren verändert.

Doch es ist ein Wandel da. 

Die Botschaft von der Liebe Gottes zu den Menschen

ist in die Welt gekommen, 

die Botschaft von der Würde des Menschen,

von der Würde der Schwachen.

Diese Botschaft ist in die Welt gekommen wie ein Samenkorn,

das immer wieder neues Leben schafft.

Der Wind treibt die Saat von Ort zu Ort,

und wo sie auf fruchtbaren Boden fällt, da bringt sie Frucht. 


Es ist Nacht. 

Wenn wir nach Hause gehen, 

werden wir die Gegenwart Gottes spüren. 

Mit seiner sanften, unwiderstehlichen Macht 

wird er uns zur Ruhe bringen.  

Und wenn es ihm gefällt, wird er uns aufwachen lassen 

zu neuem Leben an einem neuen Tag. 


Gott sei Dank für das Wunder dieser Nacht.


(Predigt in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 24. Dezember 1993) 

wnein@hotmail.de    © Wolfgang Nein 2013