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Neujahrstag (1.1.19)


Mut, guter Wille, Gottvertrauen

1. Januar 2006

Neujahrstag 

Josua 1,1-9


Ein friedvolles, gesegnetes neues Jahr wünsche ich Ihnen allen!

Für den Beginn dieses neuen Jahres ist uns ein Predigttext aus dem Alten Testament aufgetragen. Es sind die ersten neun Verse des Buches Josua. 

Die Israeliten haben den langen Weg durch die Wüste hinter sich. In Ägypten hatten sie in der Knechtschaft gelebt. Nun stehen sie am Jordan und blicken hinüber zum anderen Ufer. Dort liegt das verheißene Land, wo Milch und Honig fließen sollen. 

Wir haben, um im Bild zu bleiben, den Jordan schon überquert. Wir haben die Silvesternacht hinter uns gebracht. Das alte Jahr liegt hinter uns. Wir blicken voraus auf das noch unberührte neue Jahr. 

Für die Israeliten mag das verheißene Land jenseits des Jordan in ihrer Phantasie ein Land der Freude und des Friedens und des Wohlergehens gewesen sein. Sie mögen Gefühle in sich gehabt haben wie wir, wenn wir z. B. sehen, wie reiner weißer Neuschnee das Land bedeckt. Ein Gefühl des Glücks breitet sich in uns aus angesichts der Reinheit und Ruhe schneebedeckter Natur.

Ein klein wenig geht es uns so vielleicht auch, wenn wir einen neuen Terminkalender in der Hand halten, solange noch nichts eingetragen ist. Die Kalenderseiten sind noch weiß und rein und strahlen uns einfach nur ganz unbedarft an.

Wir wissen, dass dies nur momentane Gefühle sind. Sie geben uns immerhin eine Ahnung von einer Welt, wie sie nicht wirklich ist, wie sie vielleicht noch nicht ist, wie wir sie uns im Innersten unseres Herzens aber wohl manchmal ersehnen: rein und ruhig und unbelastet.

Wie das mit den Israeliten weitergegangen ist, können wir in den biblischen Texten und dann auch in den Geschichtsbüchern und heute fast täglich in der Tagespresse nachlesen.

Das verheißene Land war schon damals kein freies unberührtes Land. Es war bewohnt. Und die Neuankömmlinge mussten sich in endlosen kriegerischen Auseinandersetzungen ihren Lebensraum erst erobern. Das sind keine schönen Geschichten. Das Volk Israel ist im verheißenen Land nie wirklich zur Ruhe gekommen. Es hat dieses Land wieder verloren. Auch als sich die Juden dort nach dem 2. Weltkrieg wieder neu ansiedeln konnten, haben sie - bis zum heutigen Tag - keine Ruhe gefunden.

Das verheißene Land als ein Land der Ruhe und des Friedens, des unbelasteten Lebens in Freude und Wohlergehen ist ein Land der Sehnsucht geblieben. Die Erfüllung dieser Sehnsucht steht noch aus. Alles Bisherige ist sehr vorläufig und mit den ungelösten Konflikten des täglichen realen Lebens verbunden. 

Wenn wir auf eine schneebedeckte Landschaft blicken, genießen wir den Anblick. Wir wissen aber, dass er nur von kurzer Dauer sein wird. Wir genießen diesen Moment der Ausnahme. Wenn der Schnee schmilzt, kommt die Wirklichkeit zutage, die nicht mehr so rein und unschuldig aussieht.

Der Anblick der weißen Kalenderblätter bereitet uns auch nur eine vorübergehende Freude. Dann kommen die ersten Termine. Natürlich gibt es auch viele schöne Termine. Aber dann füllen sich die Tage eben mit dem Ganzen des Lebens, mit dem, was für das tägliche Überleben erforderlich ist, mit dem, was für die Lösung von Problemen nötig ist, mit den immer neuen Konflikten, Aufgaben, Arbeitsanforderungen. Und dann tragen wir schließlich zur Erholung auch Auszeiten ein. Manche Kalenderseiten versuchen wir frei zu halten.

Es hängt ein wenig - oder vielleicht auch eine ganze Menge - von unserer Mentalität ab, wie wir in das neue Jahr hineingehen. Der eine oder andere von uns hätte vielleicht gern tagtäglich den Neuschnee und könnte sich daran vielleicht niemals sattsehen. Manch anderem von uns würde das dann aber vielleicht doch ein wenig langweilig werden. Einige von uns, vielleicht die meisten von uns, brauchen doch die Herausforderung, das Abenteuer, das Unbekannte und möchten gern was anpacken, Probleme lösen, Konflikte lösen, was Neues ausprobieren und sind auch gerne bereit, Risiken eingehen. 

Der verträumte Blick auf die schneebedeckte Landschaft ist einfach nicht das ganze Leben. Und solange wir noch Lebenswillen und Lebenskraft in uns haben, werden wir doch wieder gern zur Tagesordnung des realen Lebens übergehen wollen und uns einbringen und erproben und uns nützlich machen wollen. 

Das muss wirklich nicht in der Weise geschehen, wie es den Israeliten bevorstand, als sie dabei waren, den Jordan zu überqueren. Sie standen damals vor der Aufgabe, sich die Lebensmöglichkeiten für sich selbst zu erobern und mit Gewalt zu erkämpfen.

Es könnte heute aber eine wunderbare Herausforderung sein, sich z. B. dafür zu engagieren, dass die unterschiedlichsten Menschen verschiedener Völker und Volksgruppen und religiöser Herkunft friedlich miteinander leben, ggf. auch in enger Nachbarschaft. Das ist heute eine globale Herausforderung und ein sicherlich ziemlich anstrengendes und wohl auch nervenaufreibendes Unterfangen. Aber das weltweite friedliche Miteinander ist nicht nur eine weihnachtliche Verheißung, sondern auch unserer bleibender biblischer Auftrag.

Die Israeliten hatten damals während ihrer Wüstenwanderung die zehn Gebote und überhaupt die Gebote Gottes durch Mose mit auf den Weg bekommen. Sie sollten ihnen ein Leitfaden für ein gottwohlgefälliges Leben sein. 

Die zehn Gebote sind heute so aktuell wie damals. Sie enthalten an ethischen Forderungen mehr als das, was in menschliche Gesetze gefasst werden kann. Das hat Jesus in seiner Bergpredigt und an anderen Stellen deutlich gemacht. Sie enthalten ganz gewiss auch mehr an ethischen Forderungen, als wir realistischerweise in unserer menschlichen Schwachheit zu leisten imstande sind. Wir werden immer auf Vergebung angewiesen bleiben. 

Dennoch wäre der Jahresbeginn wieder eine gute Gelegenheit, sich vorzunehmen, sich wieder stärker auf die christlichen Werte zu besinnen und sie auch tatsächlich in gelebtes Leben umzusetzen. Wenn sich das alle vornähmen in unserem Land - vom einfachsten Menschen auf der Straße bis zum Wirtschaftsführer in der obersten Etage -, dann würde uns das sicher allen gut bekommen. 

Als die Israeliten über den Jordan blickten, konnten sie davon ausgehen, dass ihnen auf der anderen Seite eine Menge Konflikte bevorstehen würden. Davon können auch wir ausgehen, wenn wir in das neue Jahr hineinblicken. Denn so ist eben das Leben. Wir brauchen uns aber vor Konflikten nicht zu scheuen. Und wir scheuen uns in der Regel ja auch nicht. 

Ein ermutigendes Zeichen für eine geradezu natürliche Konfliktbereitschaft ist, dass immer noch und immer wieder Kinder geboren werden, auch wenn es in Deutschland nicht mehr so viele Kinder sind wie in früheren Zeiten. Wer bewusst ein Kind in die Welt setzt, kann dies ja nur in der Bereitschaft tun, all die wohlbekannten Probleme der Kindererziehung und des Lebens überhaupt auf sich zu nehmen - aus Freude am Leben, aus Dankbarkeit für das eigene Leben, in der Bereitschaft zum liebevollen Engagement und in der Bereitschaft, einiges an Belastungen und auch Frustrationen auf sich zu nehmen. 

"Siehe, ich habe dir geboten, dass du getrost und unverzagt seist. Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht, denn Gott ist mit dir in allem, was du tun wirst." Dieses tröstende und mutmachende Wort unseres heutigen Predigttextes ist den Israeliten damals mit auf den Weg gegeben worden. Und das dürfen auch wir uns sagen lassen.

Bezüglich der Kinder bemühen wir uns gerade in unserer Gemeinde  darum, offen und aufnahmebereit zu sein, Kinder willkommen zu heißen und das zu tun, was für Kinder und Eltern gut ist, und was Mut macht, sich auf Kinder einzulassen. 

Das ist eine schöne und wichtige Aufgabe von Kirche: Mut zum Leben zu machen, Mut zu machen, die vielen Herausforderung und auch die unausweichlichen Belastungen des Lebens zuversichtlich, im Vertrauen auf die eigenen Kräfte und mit einer gehörigen Portion Gottvertrauen anzunehmen. 

Es werden allenthalben Kirchen - aus finanziellen Gründen - geschlossen. Das ist sehr bedauerlich. Kirche ist wichtig, Gottesdienste sind wichtig, Gemeinden in überschaubarer Größe mit menschlichen Kontakten sind wichtig. 

Für das neue Jahr bleibt dies eine bedeutsame Aufgabe: St. Markus als Gemeinde und als Kirche zu erhalten und zu stärken, damit wir auch künftig den Schatz der guten Worte in unserem Stadtteil in lebendiges Leben umsetzen können.  

Das neue Jahr liegt vor uns. Gehen wir darauf zu wie auf verheißenes Land, in dem wir uns aber um gute Lebensmöglichkeiten für alle bemühen wollen. Nehmen wir die Herausforderungen des neuen Jahres an - im Vertrauen auf den Beistand Gottes, in der Bereitschaft, uns an sein Wort und seine Gebote zu halten, und in dem Bemühen, die Liebe Gottes zum Menschen durch unser Tun und Leben glaubwürdig zu bezeugen - zu unser aller Wohl und zur Ehre Gottes. 

(Predigt in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 1. Januar 2006)

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