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Epiphanias (6.1.19)


Eine Sehnsucht wohl aller Menschen

6. Januar 2019

Epiphanias 

Matthäus 2,1-12


Nehmen wir den Text für einen Moment mal so, wie ihn die Tradition uns übermittelt hat: drei Könige auf dem Weg nach Bethlehem. Und stellen wir uns das einmal als ein Geschehen in heutiger Zeit vor: Da treffen sich ein mächtiger Herrscher von weit aus dem Osten und ein mächtiger Herrscher von weit aus dem Westen, von jenseits des Atlantiks, und ein mächtiger Herrscher aus dem Nahen Osten, nördlich des östlichen Mittelmeeres. Sie treffen sich und machen sich auf den Weg in ein kleines Land, in ein kleines Dorf zu einem Stall. Sie haben sich gemeinsam leiten lassen von etwas, das im sprichwörtlichen Sinne in den Sternen stand: von der Erwartung, dass an diesem eigentlich unscheinbaren Ort ein neuer König geboren sein könnte, der den Frieden in die Welt bringen würde, nach dem sich wohl alle Menschen seit Menschengedenken sehnen. 

Das wäre wohl zu schön, um wahr werden zu können. Diese drei Herren aus heutiger Zeit sind sich ihrer eigenen Macht zu sehr bewusst und um die Bewahrung ihrer eigenen Macht zu sehr besorgt. Sie würden sich wohl nicht zusammentun, um einem noch Mächtigeren über sich zu huldigen, schon gar nicht einem, der nichts von ihrer Art von Macht an sich hat, und den sie mit ihrer Art von Macht auch ganz und gar nicht würden beeindrucken können. 

Von den betreffenden drei Herren erwarten wir nicht ein solches Maß an Demut. Aber wäre es nicht großartig, wenn die Mächtigen dieser Welt ganz bewusst und ausdrücklich und ehrlich und wahrhaftig einen über sich anerkennen würden, der den Frieden und das Wohlergehen für alle Menschen auf diesem Erdball verkörpern würde?! Ja, das wäre etwas ganz Wunderbares. Die Wirklichkeit gibt uns wenig Anlass zu glauben, dass sich dieses Wunder ereignen könnte. Aber die Sehnsucht nach einem solchen Friedensbringer und Frieden ist doch da, unsere Sehnsucht und die Sehnsucht wohl aller Menschen und wohl aller Menschen zu allen Zeiten. 

In der heutigen Geschichte erleben wir diese Sehnsucht anschaubar. In der Überlieferung des vor zweitausend Jahren entstandenen Textes hat sie ihre ausdrucksstärksten Konturen bekommen. 

In den Sternen hatten die drei Männer von dem bevorstehenden Ereignis gelesen. Astrologen werden aber von vielen nicht ernst genommen. Drei weise Männer haben manche Bibelübersetzungen aus ihnen gemacht. Weise Männer genießen Ansehen. Weise Männer können Kluges sagen. Aber haben sie auch etwas zu sagen – im dem Sinne, dass getan werden muss, was sie sagen? Wohl eher nicht. Also sind die drei Männer in der Überlieferung des Textes zu mächtigen Entscheidern gemacht worden, zu Königen, die etwas zu sagen haben und die die Macht haben durchzusetzen, was sie wollen. 

Solche mächtigen Entscheider aus verschiedenen Teilen der Welt und aus unterschiedlichen Kulturen stehen an der Krippe im Stall von Bethlehem und huldigen einem neugeborenen Kind, dem erhofften und verheißenen Friedensbringer himmlischer Art. Es wäre zu schön, wenn es wirklich so gewesen wäre und wenn es so sein könnte. Was aber ist die Wirklichkeit? Wirklich und wahr ist die Sehnsucht. Und die sollten wir uns nicht zerstören lassen. Wir sollten sie uns nicht ausreden lassen und wir sollten uns ihrer nicht schämen. Ja, vielmehr, wir sollten sie am Leben erhalten, wir sollten sie als Leitbild vor uns und als Kraft in uns haben und pflegen und weitergeben.

Wir sollten diese biblische Geschichte immer wieder erzählen, sie gestalten und darstellen, sie spielen, aufführen und auslegen, wie es ja zum Glück auch immer noch getan wird. Die Geschichte enthält eine große, unaufgebbare Sehnsucht. Ein großer Politiker hat einmal gesagt: "Wer eine Vision hat, der sollte zum Arzt gehen." Aber eine bekannte Theologin hat einem ihrer Bücher den Titel gegeben: "Ein Volk ohne Vision geht zugrunde." Und so ist es wohl. 

Es ist für uns geradezu lebens- und überlebenswichtig, dass wir nicht nur an das glauben und das für möglich halten, was wir tagtäglich erleben. Das wäre erbärmlich. Das Leben ist weit mehr als das, was menschenmöglich ist. Ist denn dieses ganze Dasein von Menschen gemacht? Haben wir den Menschen erschaffen? Nein. Das ganze Dasein ist ein großes Wunder, ein geradezu unglaubliches Wunder. Jeder einzelne Mensch, jeder neue Mensch ist ein Wunder. Auch die kleinste Stubenfliege ist ein großes Wunder. 

Wir haben das gute Recht – und es ist sinnvoll, rational und vernünftig –, das für uns nicht Machbare, aber doch im tiefsten Herzen Ersehnte als Leitbild vor Augen zu haben und unser konkretes Verhalten, so gut es geht, auf dieses Ziel hin auszurichten. Ob wir es jemals erreichen, müssen wir dahingestellt sein lassen. Aber vorzeitig aufgeben sollten wir nicht. 

Die Geschichte – die Legende, dürfen wir wohl sagen – von den Heiligen drei Königen, den drei Weisen, den drei Sterndeutern berichtet nicht von einem Geschehen, das sich in dieser Weise ereignet hat. Aber sie bringt unsere Sehnsucht in einem bildhaften Geschehen zum Ausdruck.

Ist es legitim, so mit biblischen Texten umzugehen: dass wir sie quasi aus dem Bauch heraus oder aus dem Herzen heraus auslegen – ungeachtet der Frage, ob das überhaupt stimmt, was da drin steht – im Sinne eines tatsächlichen Geschehens? Ja, ein solcher Umgang mit biblischen Texten ist legitim. Und ich füge hinzu: Das ist sogar nötig. Wir dürfen unseren Glauben nicht davon abhängig machen, dass biblische Texte Fakten korrekt wiedergeben. Wenn wir biblische Texte lesen, müssen wir dabei immer zugleich auch auf die Regungen unseres Herzens achten. Nur mit dem Herzen werden wir aus den biblischen Texten das heraushören und herauslesen, was für manche Menschen damals und für so viele Menschen in den vergangenen 2000 Jahren zur göttlichen Offenbarung geworden ist. 

Die Faktenlage der biblischen Texte und ihrer Überlieferung ist in vielem so verwirrend, undurchschaubar, wenig nachprüfbar, oft widersprüchlich, dass wir gar nichts mehr glauben könnten, wenn wir auf die Klärung der Faktenlage warten wollten. Aber von der Faktenlage dürfen wir uns von vornherein nicht abhängig machen.

Es ist z. B. immer wieder irritierend, dass wir uns am 6. Januar, zwei Wochen nach Heiligabend, Gedanken über diese drei bedeutenden Männer machen sollen, die von weither angereist sind und dem neugeborenen Kind in Bethlehem ihre Aufwartung machen und es reich beschenken. Gefühlsmäßig haben wir uns von dem Weihnachtsgeschehen ja längst verabschiedet. Aber wir sind nicht nur gefühlsmäßig etwas irritiert. Die biblischen Texte selbst sind verwirrend.

Beim Evangelisten Lukas steht: Es waren Hirten in der Nacht bei dem neugeborenen Kind. Von bedeutenden Persönlichkeiten ist keine Rede. Und Lukas schreibt dann weiter, dass wenige Tage nach der Geburt Maria und Josef mit ihrem neugeborenen Kind nach Jerusalem gingen, damit ihr Sohn dort im Tempel beschnitten würde.

Der Evangelist Matthäus, der von den drei bedeutenden Männern berichtet, erwähnt dagegen keine Hirten. Er erzählt uns aber von einem Traum Josefs, in dem ihm geraten wird, unverzüglich die Flucht zu ergreifen, weil Herodes, König in Jerusalem, das Kind töten wolle. Maria und Josef fliehen umgehend mit Ihrem Kind nach Ägypten. Sie begeben sich also nicht nach Jerusalem zur Beschneidung ihres Sohnes im dortigen Tempel. Das wäre ja auch der Gang in die Höhle des Löwen gewesen. Herodes lässt alle neugeborenen Jungen umbringen, als er merkt, das die drei bedeutenden Männer auf ihrem Rückweg von Bethlehem nicht wieder beim ihm vorbeischauen und ihm also nicht mitteilen, wo sie den neugeborenen König gefunden hatten.

Lukas wiederum erzählt von all diesem nichts. Das passt doch alles nicht zusammen.

Es wird der eine oder andere sagen: So genau dürfen wir die biblischen Texte nicht nehmen. Ja. So ist es wohl. Darum könnten und sollten wir auch einmal die grundsätzliche Frage stellen: Was stimmt denn überhaupt an den biblischen Texten? Was sind die Fakten? Und wie wichtig sind eigentlich die nachprüfbaren Fakten, und auf welche käme es uns an?

Und auf unsere heutige Geschichte bezogen: Was ist uns an dieser Geschichte wichtig? Die Antwort hatten wir schon zu Beginn der Predigt gegeben: Wichtig ist die Sehnsucht, die Menschheitssehnsucht nach Frieden und Wohlergehen für alle Menschen – im Äußeren wie im Inneren – und dass wir nicht nachlassen, uns von dieser Sehnsucht leiten zu lassen – in unserem persönlichen Leben und als Leitbild für die Gestaltung unseres gemeinschaftlichen Lebens und des Miteinanders der Völker weltweit.

Die Geschichte von den Sterndeutern, den drei Weisen, den Heiligen Drei Königen hilft uns, diese Sehnsucht immer wieder anschaulich zu vergegenwärtigen und mit neuer Kraft zu beleben.

(Predigt in St. Markus, Hamburg-Hoheluft am 6. Januar 2019)

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