Von wo aus kann Hoffnung neu wachsen?
Sacharja hat eine Vision – sie bezieht sich auf Jerusalem und auf den ganzen Globus, eine Vision des Friedens. Aktueller geht‘s nicht. Die Israeliten damals leiden an der Zerstörung Jerusalems, sie leiden an der Fremde des Exils in Babylon. Was ist ihnen an Hoffnung geblieben, dass sie in ihrer Heimat einmal wieder in Ruhe und Frieden würden leben können – und dass in der Welt um sie herum Frieden sein möchte, in der Welt um sie herum, die das Schicksal ihres kleinen Landes immer so sehr mitbestimmt hat?!
Was ist an Hoffnung geblieben? Das ist ja auch unsere Frage – bezüglich des Friedens in Israel und bezüglich des Friedens auf unserem ganzen Erdball. Michael Wildt, der vorletzte Woche für ein paar Tage aus Jerusalem zurückgekommen war, sagte mir, die Stimmung in Israel sei depressiv. Er habe niemanden getroffen, der Hoffnung auf Besserung habe. Jedenfalls brächte niemand eventuelle hoffnungsvolle Gedanken zum Ausdruck. Und seit dem Wochenende, an dem er nach Jerusalem zurückgekehrt ist, ist ja genug Schlimmes dort geschehen, um die im Verborgenen vielleicht noch vorhandenen kleinen Reste von Hoffnung weiter zu dezimieren.
Jerusalem – das Krisenzentrum Nr. 1. Solange dort kein Frieden herrscht, wird unser Erdball im Ganzen wohl weiter bedroht bleiben. Und wenn dort einmal Frieden einkehren sollte, dann wird dies für unseren ganzen Erdball gut sein.
Kann von Jerusalem der Frieden für die Welt ausgehen? Jerusalem – zentrale Stätte der großen Buchreligionen Judentum, Christentum, Islam. Wo ist die geistige Kraft der Religionen, die der politischen Macht etwas entgegensetzen könnte? Wo ist das Friedenspotential der Kirchen und der Religionen in dieser heiligen Stadt? Ich habe Michael Wildt gefragt: „Gibt es denn in Jerusalem einen ,Council of Religions‘ – ein gemeinsames Gremium der Religionen, das den Willen zum Frieden und die Hoffnung auf Frieden wieder stark machen könnte?“ Ich habe ihn gefragt, ob es denn einzelne religiöse Persönlichkeiten gäbe, die den politischen Mandatsträgern mit geistiger und geistlicher Macht Paroli bieten könnten.
Ihm fielen weder einzelne Persönlichkeiten noch irgend ein Gremium ein. Von wo aus kann Hoffnung neu wachsen?
Sacharja hat eine Vision gehabt – im Angesicht einer Wirklichkeit, die zur Hoffnung keinen Anlass bot.
Wir, auch wir brauchen eine Vision, eine Vision des Friedens. Wir knüpfen jetzt in der Adventszeit an eben diese Vision des Sacharja an. Denn den König, auf den er gehofft hat, den haben später viele in Jesus von Nazareth erkannt. Ein König freilich, der einen ganz anderen Weg zum Frieden aufgezeigt hat als den der Vergeltung, der Gewalt und Gegengewalt.
Christus ist unsere Hoffnung.
(Morgenandacht in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, 1. Dezember 2001)