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18.-24.11.18


Sich in die Verantwortung nehmen lassen

2. Korinther 5,10


Man mag über den Realitätsgehalt dieser Vorstellung von einem letzten Gericht unterschiedlicher Meinung sein. Eines scheint mir sicher zu sein: Wer sein Leben in dem Bewusstsein führt, sich eines Tages mit seinem ganzen Leben vor einer letzten und höchsten Instanz verantworten zu müssen, für den werden alle Entscheidungen seines Lebens bedeutsam, sie erhalten einen tiefen Ernst.

Die Vorstellung von einem letzten Gericht mag zum einen beängstigend sein. Sie könnten die Spontaneität unserer Lebensäußerungen beeinträchtigen. Wir könnten uns beobachtet fühlen durch unser gestrenges Über-Ich; wir könnten verunsichert sein. Zum andern aber könnten wir unser Leben von einem tiefen Sinn erfüllt sehen. Wir könnten unser Leben als eine Aufgabe begreifen, als Teil eines größeren Ganzen, innerhalb dessen unser Leben einen Sinn und Zweck hat, und innerhalb dessen wir uns zu bewähren haben.

Der Vorstellung von einem letzten Gericht können wir uns nicht einfach dadurch entledigen, dass wir sie als altertümliche, überholte religiöse Anschauung einfach streichen. Denn sie meint ihrem Sinngehalt nach nichts anderes als die Verantwortung vor einer höchsten Instanz. Ohne eine solche letzte Verantwortung bekäme unser Leben möglicherweise einen destruktiven, zerstörerischen, haltlosen, bindungslosen und chaotischen Charakter, der unser ganzes Leben überhaupt infrage stellen könnte.

Die Väter unseres Grundgesetzes haben ihre Aufgabe - wie sie in der Präambel des Grundgesetzes formulierten - in Verantwortung vor Gott wahrgenommen. Das heißt auch nichts anderes, als dass sie sich bei der Schaffung unserer staatlichen Rechtsordnung in ihren Entscheidungen gebunden wussten von einer Verantwortung vor einer Instanz, die oberhalb des menschlichen Zweck- und Nützlichkeitsdenkens und oberhalb des menschlichen Egoismus und der Gruppeninteressen angesiedelt ist. Erst von der Verantwortung vor einer solchen höheren Instanz her wird so etwas wie die Würde des Menschen und die Unantastbarkeit der Grundrechte verstehbar.

Die große Verunsicherung und Belastung, die mit der Vorstellung von einem letzten Gericht - oder anders gesagt - von einer letzten Verantwortung verbunden ist, ist in unserem christlichen Glauben aufgehoben durch die Zusage der Vergebung Gottes in Jesus Christus.

Wir können dieser großen Verantwortung niemals im vollen Sinne gerecht werden, zum einen wegen unserer menschlichen Schwächen, zum anderen weil jede konkrete Entscheidung auch beim besten Willen ein Wagnis ist und das Risiko des Irrtums beinhaltet.

Die Last der Verantwortung dennoch bewusst auf sich zu nehmen, dazu macht der Glaube an die göttliche Vergebung Mut. Das ist gut so. Denn Verantwortung wahrzunehmen ist zwar eine Belastung, schenkt unserem Leben aber auch Sinn und Erfüllung. 

(Morgenandacht in St. Markus, Hamburg-Hoheluft, 21. November 2000)

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